Athen fordert Reparationszahlungen für Nazi-Gräuel und droht mit der Pfändung deutschen Eigentums.
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Athen. Der vorgerückten Stunde zum Trotz: Um genau 2.48 Uhr Ortszeit, tief in der Nacht zu Mittwoch, sagte Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou nach siebenstündiger Debatte mit fester Stimme noch die paar Sätze, die für die noch verbliebenen Abgeordneten im Athener Parlament nicht zuletzt ein akustischer Leckerbissen, wenn nicht der ultimative Ohrenschmaus gewesen sein dürften. "Wir haben gelernt, die Geschichte werde mit Ungehorsam geschrieben. Nach dieser Debatte muss es wohl besser heißen: Die Geschichte wird mit Widerstand und Forderungen geschrieben." Die Genugtuung war dabei an Konstantopoulous Gesicht abzulesen. "Wer stimmt dem Vorschlag zu?", fragte die erst 38-jährige Juristin in die Runde. "Ich stelle fest: alle. Damit ist der Vorschlag vom Parlament einstimmig angenommen."
Besagten Vorschlag hatte Konstantopoulou selbst der Athener Volksvertretung schriftlich unterbreitet. Das sechsseitige Papier, datiert vom 8. März 2015, trägt den etwas holprigen Titel "Erneute Konstituierung, neue Zusammensetzung und Aufwertung des Parlamentarischen Ausschusses für die Forderungen im Zusammenhang mit den Verbindlichkeiten Deutschlands gegenüber Griechenland an Entschädigungen, Reparationen, der Abzahlung der Zwangsanleihe und der Rückkehr gestohlener archäologischer Schätze". Aufgabe des parlamentarischen Ausschusses sei es, allfällige Ansprüche Griechenlands aus der NS-Besatzung in Griechenland von 1941 bi 1944 auf eine "organisierte Art und Weise" substanziell zu untermauern. Bis zum 15. Juli dieses Jahres habe der Ausschuss Zeit, einen betreffenden Bericht zu erstellen.
Mit der heiklen Thematik hatte sich das Athener Parlament in den letzten Jahren zwar wiederholt beschäftigt. Doch diesmal birgt sie besondere Brisanz. Die wieder aufgeflammte Griechenland-Krise lässt grüßen. "Wir schlagen den Verhandlungsweg, den Weg des Dialogs vor", hob Premier Alexis Tsipras mit Blick auf Berlin zwar in der Debatte hervor. Tsipras zitierte dann aber symbolkräftig aus der Bergpredigt Jesu Christi: "Darin ist die Rede davon, den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen zu sehen", sagte er.
Wen Tsipras damit unverhohlen meinte: Deutschland. Seine Lesart mit Blick auf die Nazi-Schreckensherrschaft in Hellas einerseits und der Verpflichtung Athens zur Tilgung der ungeliebten Troika-Kredite inklusive der harten Haltung Berlins gegenüber den Griechen auf der anderen Seite lautet: "Deutschland und die Deutschen sind es, die uns Griechen Geld schulden, nicht wir Griechen ihnen."
Das betrifft auch die NS-Gräueltaten in Distomo im Juni 1944. Damals hatten die Nazis rund 300 Bewohner nach einem Kampf mit Partisanen umgebracht, zudem brannten sie die Wohn- und Geschäftshäuser nieder. Athens Justizminister Nikos Paraskewopoulos kündigte bei der Parlamentsdebatte erstmals an, seine Erlaubnis dafür zu erteilen, ein höchstrichterliches griechisches Urteil aus dem Jahr 2000 ausführen zu lassen, das Opfern der "Sühnemaßnahme" einer in die deutsche Wehrmacht eingegliederten SS-Einheit recht gibt. Die fälligen Zahlungen an die Betroffenen belaufen sich auf 28 Millionen Euro, ohne die angefallenen Zinsen wohlgemerkt.
Berlin lehnt Ansprüche ab
Paraskewopoulos unterstrich dabei ausdrücklich, den Weg für Pfändungen deutschen Staatseigentums in Griechenland ebnen zu wollen, falls Berlin nicht zahlen werde. "Wenn wir auf eine Mauer stoßen, werden wir in der Sache Distomo voranschreiten", stellte auch Sonderminister Alekos Flabouraris, ein enger Tsipras-Vertrauter, am Mittwoch unverblümt klar.
Berlin lehnte jedenfalls alle etwaigen Ansprüche Athens aus der NS-Besatzung, nicht nur in Verbindung mit dem Distomo-Urteil, erneut kategorisch ab. Doch die Griechen wollen nicht locker lassen. Deutschland berufe sich auf "juristische Schlupflöcher", um eine Auseinandersetzung mit der ganzen Thematik im Keim zu ersticken, entgegnet Tsipras.
Obendrein gab Vize-Verteidigungsminister Kostas Isychos in der Parlamentsdebatte am Dienstagabend bekannt, die USA hätten Athen insgesamt 400.000 Unterlagen von der Wehrmacht zur Dokumentation von illegalen archäologischen Ausgrabungen und der Zerstörung unter anderem von historischen Monumenten, Flughäfen, Häfen, Straßen, Brücken, Häusern, Schulen und Universitäten in Griechenland von 1941 bis 1944 bereitgestellt. Das Material, das sich mittlerweile im historischen Archiv der griechischen Streitkräfte befinde, werde unterdessen digitalisiert und dem Parlament zur Untermauerung jeglicher Ansprüche gegenüber Deutschland bereitgestellt.