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Am Ende bleibt nur Druck

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Zu Beginn der vierten Welle ist es Zeit für eine ernüchternde Bilanz im Kampf gegen Corona.


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Die Belegung der Intensivstationen steigt deutlich schneller als ohnehin befürchtet, erste Operationen werden bereits abgesagt und der Anstieg der Impfquote lässt sich nur per Lupe beobachten. Die Summe dieser Entwicklungen zwingt die Bundesregierung, sich neuerlich der Pandemie zuzuwenden, obwohl sie sich längst lieber anderem widmen würde.

Trotzdem bleibt es wahrscheinlich, dass wir Corona erfolgreich zurückdrängen werden. Ein Gutteil dieses Erfolgs wird dabei auf das Konto der Wissenschaften zu buchen sein. Eher düster schaut dagegen die Zwischenbilanz für unsere Idee von Demokratie aus. Deren selbstbewusst vorgetragene Selbstrechtfertigung lautet im Kern: Einer Gesellschaft geht es dann am besten, wenn die Menschen die Verantwortung für ihr Leben in den eigenen Händen halten. An diesem Anspruch rütteln nicht erst die Erfahrungen mit Covid-19, aber der Umgang mit Sars-CoV-2 tut dies eben doch ganz besonders energisch. Es ist vor allem die beispiellose Hartnäckigkeit, für die der Begriff naiv nicht mehr ausreicht, mit der die westlichen Demokratien - die Menschen wie ihre Regierungen - ein ums andere Mal das angebliche Ende der Pandemie verkündet und gefeiert haben, nur um kurz darauf vom Virus eines Besseren belehrt zu werden.

Wie es scheint, stehen wir in wenigen Wochen vor den beiden finalen Alternativen, Impfplicht oder neuerlicher Lockdown, die unendlich weit vom Anspruch auf Eigenverantwortung entfernt sind, wie ihn unsere Idee von Demokratie als eigentliches Herzstück in sich trägt. Und dabei war schon das ständige Wechselspiel vom Zu- und Aufsperren eine ernüchternde Lektion, dass bei viel zu vielen Menschen der kurzfristige Vorteil jede langfristige Perspektive aus dem Blickfeld drängt.

Dabei ist es nicht wirklich ein großer Trost, wenn man sich eingesteht, dass die Sache mit der vernunftgeleiteten Eigenverantwortung der Menschen schon immer eine idealtypische Konstruktion war, die der empirischen Realität nur höchst unzuverlässig entsprochen hat. Deshalb haben wir ja - und dies eigentlich höchst erfolgreich, muss hinzugefügt werden - ein umfassendes System von versteckten Anreizen und kleinen Bestrafungen etabliert, um all den Verlockungen des schnellen Vergnügens die Vorteile eines späteren Glücks entgegenzusetzen.

Mit dieser Logik, so ist zu befürchten, gibt es im Falle von Corona jetzt kein Weiterkommen mehr. Druck scheint unsere letzte Option: Zum Impfen (auch wenn niemand das hässliche Wort vom Impfzwang in den Mund nehmen will) oder zum neuerlichen, zumindest teilweisen Zusperren.