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Sie sind jung, sie sind wütend, sie stören Ruhe und Ordnung. Manchmal ist das schlecht, mitunter umstritten, öfter noch unverkennbar gut. Nach den Aufständen in Nordafrika, den Demonstrationen in Spanien, den Straßenschlachten in London ist die Welt also um einen Massenprotest reicher: Seit kurzem prägt die Bewegung "Besetzt die Wall Street" das Straßenbild von New York.
Auch dieses Beispiel eines spontanen Wutausbruchs im Großformat kommt überraschend, trotzdem macht es Schule. Am Dienstag ballten sich bunte Haufen aus Studenten, Polit-Aktivisten und Gewerkschaftern bereits in Boston, Los Angeles und Chicago vor den Hochburgen der Finanzindustrie. Mit jedem TV-Übertragungswagen und jeder Prominenten-Grußadresse wächst die Demonstrantenschar. Und wie bei allen Revolten des heurigen Jahres dient auch diesmal wieder das Internet als Werbeplattform, Debattierklub und Taktgeber. Geht es nach den Vorstellungen der Organisatoren auf der Website occupytogether.org, dann soll die Wutwelle rund um den Globus laufen und demnächst auch in Tokio, London, Prag und Frankfurt den Politikern zeigen, dass mit den Hütern finanzieller Massenvernichtungswaffen kein Staat mehr zu machen ist. Die Politiker wissen es vermutlich, sind aber beschäftigt. Gerade plagten sich die Finanzminister der Euro-Staaten in Luxemburg, die Bedingungen der Möglichkeit zu klären, bis Ende Oktober den Griechen ein paar Milliarden Euro mehr auszuzahlen. Eine unkontrollierte Pleite Griechenlands würde die EU wirtschaftspolitisch in einen Kontinent des Horrors verwandeln, das ist bekannt. Aber jenseits aller finanztechnischen Debatten und durchschaubaren Manöver nationalistischer Ego-Politik wächst die Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag.
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der bisher prominenteste Sympathisant von "Occupy Wall Street", spricht einmal mehr von einem "Krieg gegen die Mittelschicht", die besonders in den USA einfach zu viele Rechnungen zu begleichen hat. Viele Bürger sind am Ende ihrer Kaufkraft. Das Verlangen, jederzeit durch Wetten ein Vermögen machen zu können, ist nicht nur in den Augen der Anti-Wall-Street-Demonstranten kein Menschenrecht. Eine harsche Zähmung der Finanzmärkte wäre vermutlich mehrheitsfähig. Schließlich haftet die Allgemeinheit seit 2009 für deren Konstruktionsfehler.