Zum Hauptinhalt springen

Am Ende doch der Lendenschurz

Von Bernhard Baumgartner

Politik

Angelo Soliman, der "Mohr von Wien", als zynische Parabel auf die gelungene Integration. | Erst als angesehener Bürger hofiert, dann wie ein Tier ausgestopft. | Wien Museum mit klugem Nachdenkstoff.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Er ist eine der Legenden des alten Wiens. Die "urban legend", die fast jeder Wiener irgendwo schon einmal gehört hat, und wenn schon nicht den Namen dann ein "da gab es doch" und ein "wurde der nicht . . ?" Ja, genau. Da gab es. Und er wurde: Angelo Soliman, Kammerdiener und hoher Beamter am Wiener Hofe des Fürsten Liechtenstein, angesehener Bürger, Zeitgenosse und Logenbruder Mozarts. Das alles wäre noch nichts, was sich zwangsläufig ins kollektive Gedächtnis einprägen muss, wäre da nicht das beachtliche Faktum, dass Soliman schwarz war und nach seinem Tode im hohen Alter auf kaiserliche Entschließung hin gehäutet, präpariert und im "Natur-Tier-Cabinet" als Exponat zur Schau gestellt wurde.

Es ist eine von jenen Geschichten, wie es sie auch nur in Wien geben kann. Dankenswerter Weise hat das Wien Museum in seiner großen Herbst-Schau "Angelo Soliman - Ein Afrikaner in Wien" den Recherchemotor eines großen Museums angeworfen und Soliman damit sozusagen nachträglich einen Kontext gebaut, der seiner Geschichte gerecht wird. Diese zeigt mehr als das tragische Schicksal eines Leibeigenen. Eines geraubten Sklavenkindes, das durch Integration, Glück und Anpassung die soziale Leiter emporkletterte, was ihn jedoch auch nicht davor schützte, posthum als Wilder im federbestickten Lendenschurz in der allerhöchsten kaiserlichen Wunderkammer zu landen.

Was ist die Moral im Subtext dieser Geschichte? Du kannst als Migrant gar nicht so gut sein, am Ende bleibst Du doch, was die anderen, allen voran die Obrigkeit, im Kern schon immer in Dir gesehen haben: ein Fremder, im Falle des "Mohren" im 18. Jahrhundert eine Kuriosität, irgendwo zwischen exotischem Aufputz und Laune der Natur.

Der Fall Mmadi Make

Am Anfang der Geschichte steht schon die erste Unwahrheit. Denn Angelo Soliman ist natürlich nicht der echte Name des geraubten Sklavenkinds, dessen Geburtsort die Ausstellungsmacher Philipp Blom, Eva-Maria Orosz und Wolfgang Kos nach genauer Recherche irgendwo zwischen Niger, Nigeria und dem Tschad verorten. Mmadi Make hieß das Kind, das um 1721 in der Sahelzone zur Welt kam. Dann folgten Entführung, Verschleppung und der Kauf durch eine Adelsfamilie in Messina. Ab 1734 steht der ehemalige Moslembub Mmadi, der "Angelo" als christliches Pseudonym annehmen muss, erst im "Besitz" der Fürsten Lobkowitz, dann als Kammerdiener bei Fürst Liechtenstein in Wien. Dank einer soliden Erziehung fällt ihm die Anpassung ans Adelshaus nicht schwer, im Gegenteil, er wird als gebildeter, angesehener Gesprächspartner geschätzt, steigt in die höchsten Ränge des fürstlichen Dienstes auf. Später wird er als Freimaurer auf Mozart treffen und für die Erziehung des Erbprinzen Liechtensteins verantwortlich sein. Man kann sagen, er hat es geschafft.

Und dennoch ist sein Leben geprägt vom Wunsch nach Eigenständigkeit. Ein hoher Spielgewinn macht ihn ein Stück weit unabhängig. Er muss dennoch zunächst eine geheime Ehe eingehen, da er ohne die Erlaubnis seines Herren nicht heiraten darf. Als die Sache auffliegt, setzt ihn der Fürst vor die Türe, die Familie verarmt. Eine Rückkehr in den fürstlichen Dienst sorgt für finanzielle Stabilität bis zur Pension.
<br style="font-weight: bold;" />

Gehäutet und gegerbt

1796 stirbt Solimann, sein Leichnam wird beschlagnahmt und gehäutet. Von 1797 bis 1806 wird er im kaiserlichen Natur-Cabinet zur Schau gestellt. Eine ganze Wand im Wien Museum zeigt den darauf folgenden Kampf seiner Tochter Josefa gegen die Behörden, die mit einer Eingabe nach der anderen erreichen will, dass sie auch die Haut ihres Vaters bestatten darf. Doch man blieb hart. Es ist wohl eine besondere Ironie der Geschichte, dass erst die Revolution 1848 und der Hofburgbrand das Präparat zerstörte und das Kapitel somit (indirekt) erst durch die Selbstermächtigung der Bürger ein Ende findet.

Die Ausstellung legt das Phänomen breiter an, hebt es hinaus über den Einzelfall. Sie will dokumentieren, wie das Bild von Afrika aussieht, dass damals auch in den Köpfen aufgeklärter Europäer spukte - und das es bis zu einem gewissen Grad auch heute noch tut. Hier finden sich keine Masken, kein Tanz ums Lagerfeuer im Kreis der Stammesbrüder. Es ist bezeichnend, wenn dafür an einer Schautafel Immanuel Kant (!) mit dem Satz zitiert wird "Die Negers haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege" und seien so plauderhaft, dass sie "mit Prügeln auseinander gejagt werden müssen".

Soliman war nicht der einzige "Mohr" im Dienst hoher Herrschaften. Einen jungen, schwarzen Diener zu haben, vorzugsweise um den Kaffee zu servieren, galt als schick und angesagt. Aufputz, Exotik und ein wenig Erotik inklusive. Man ließ sich auf Ölgemälden abbilden, der "Mohr" in unterwürfiger Pose und doch mit listigen erotischen Anspielungen. Kaum erwachsen war es dann mit schick vorbei, meist drohte körperliche Zwangsarbeit.

Alltagsrassismus

Ein weiterer Schwerpunkt der Schau ist dem Alltagsrassismus gewidmet. Da hängen Boulevardzeitungen, die noch in den 60er Jahren Fußballer aus Afrika als "Kongoneger" bezeichneten. Aber ist es heute besser? Dass auch heute noch das Bild des "Mohren" verwendet wird, sozusagen die gelungene Synthese aus Kinderarbeit und Alltagsrassismus, zeigt gerade im Zusammenhang mit Soliman die Aktualität des Themas auf. Das "Aschantidorf" der Jahrhundertwende, von dem Peter Altenberg noch so begeistert war, oder Josephine Baker, die Exotik und Erotik zu Markte trug, sie alle sind Teil der Klischees. Dass Soliman einer islamischen Hochkultur entrissen wurde - sei in diesem Zusammenhang nur am Rande angemerkt.

Wien-Museum-Direktor Wolfgang Kos hat recht, wenn er die Ausstellung als "eine der wichtigeren der vergangenen Jahre bezeichnet". Das ist sie sicherlich, eine absolut gelungene Schnittmenge zwischen Kultur, Migration und Menschenrechten. Wie sagt einer der Österreicher mit afrikanischem Migrationshintergrund, die man für ein Video über Soliman gefragt hat? "Er hat getan, was man von ihm wollte. Das nennt man wohl Integration."

AusstellungAngelo Soliman -
Ein Afrikaner in Wien
Philipp Blom, Eva-Maria Orosz, Wolfgang Kos (Kuratoren)
Wien Museum
bis 29. Jänner 2012