Der Politologe Menelaos Givalos über Hintergründe des Syriza-Sieges.
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"Wiener Zeitung":Herr Professor Givalos, wie ist der Wahlerfolg von Syriza bei den Parlamentswahlen in Griechenland am 25. Jänner zu erklären?Menelaos Givalos: Der Erfolg, besser: Triumph von Syriza, ist darin begründet, dass die Vorgängerregierungen mit ihrer Krisenpolitik grandios gescheitert sind. Schon vor zwei, drei Jahren war klar, dass die sogenannten Anpassungsprogramme, hier in Griechenland nennen wir das "Memorandum-Politik", mit ihren strengen Spar- und Reformauflagen in eine Sackgasse führen würden.
Die rechtsextreme, offen ausländerfeindliche Goldene Morgenröte ("Chrysi Avgi") hat bei den jüngsten Parlamentswahlen mit gut sechs Prozent ihr Ergebnis der Doppelwahlen im Frühjahr 2012 in etwa wiederholen können, obgleich die komplette Parteispitze seit dem Mord an einen linken Hip-Hop-Sänger im September 2013 in Untersuchungshaft sitzt. Wie ist das möglich?
Das Phänomen der Goldenen Morgenröte ist besonders komplex. Ihre Wähler waren zuerst vor allem Krisenopfer. Sie wollten das ganze politische System abstrafen und verurteilen. Eine zweite Wählerkategorie der Goldenen Morgenröte sind die Griechen, für die Werte wie die nationale Identität und die nationale Souveränität von den Athener Regierungen verraten, mit den Füßen getreten worden sind. Für sie sind die bisherigen Athener Regierungen gegenüber den Gläubigern nur unterwürfig gewesen. Dann gibt es noch die unverbesserlichen Rassisten. Sie sind gegen die unkontrollierte illegale Einwanderung nach Griechenland. Diese dritte Kategorie stellt aber meiner Ansicht nach die Minderheit der Morgenröte-Wähler dar.
Im Mitte-Links-Spektrum haben zwar zwei Parteien, die ehemals omnipotenten Pasok-Sozialisten, und die noch junge "Fluss"-Partei (To Potami) den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde geschafft, aber mit vier beziehungsweise sechs Prozent der Stimmen fürwahr keine Bäume ausgerissen. Weshalb?
Der Umstand, dass ausgerechnet eine Pasok-Regierung unter dem damaligen Premier Georgios Papandreou die öffentliche Gläubiger-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds und den damit einhergehenden harten Austeritätskurs ins Land gebracht hat, hat das gesamte Mitte-Links-Spektrum politisch, gesellschaftlich und ideologisch zusammenbrechen lassen. Das ist nicht zu unterschätzen. Die Pasok bildete immerhin dreißig Jahre lang den Grundpfeiler des politischen Systems in Griechenland.
Und wie geht es mit der Nea Dimokratia weiter? Hat sie eine Chance, in Athen wieder an die Macht zu kommen?
Die Nea Dimokratia hat sich unter Samaras politisch sehr deutlich nach rechts bewegt. Dieser Rechtsruck ist fatal, um gemäßigte, bürgerliche Wähler wiederzugewinnen. Um diese verlorenen Wählerschichten wieder an sich zu binden, muss sie sich zur Mitte bewegen. Mit Samaras schien das nicht möglich. Das haben auch die ersten Tage nach den Wahlen gezeigt. Samaras setzt weiter, wie vor den Wahlen, auf eine Strategie der Konfrontation mit Syriza. Samaras sieht in der Syriza-Regierung nur eine linke Parenthese angesichts der Katastrophe, die Griechenland wegen der Syriza-Regierung nun bevorstehe. Samaras muss gehen, damit die Nea Dimokratia wieder eine Aussicht auf den Machterwerb hat.
Syriza hat sich im Eiltempo für eine Koalition mit den "Unabhängigen Griechen" (Anel) entschieden - und nicht etwa mit To Potami. Im Ausland ist dies spontan auf Unverständnis gestoßen. Weshalb hat sich Syriza so entschieden?
"Anel"-Chef Panos Kammenos hat sich stets offiziell für eine Koalition mit Syriza ausgesprochen. Er ist von diesem Kurs auch nicht abgerückt, als genau aus diesem Grund diverse Abgeordnete die Partei verlassen haben. Die verbliebenen "Anel"-Abgeordneten haben zudem maßgeblich zum Sturz der Samaras-Regierung beigetragen, indem sie die Präsidentenkür im Athener Parlament im Dezember haben scheitern lassen. Das alles hat Syriza-Chef Alexis Tsipras imponiert. Die Koalition mit der Anel-Partei ist aber nach dem Ausgang der Parlamentswahlen vor allem eine hochgradig strategische Entscheidung von Syriza. Die "Unabhängigen Griechen" sind strikt gegen die Anpassungsprogramme für Griechenland, also den Austeritätskurs mit seinen rigiden Spar- und Reformauflagen. Anel ist eine lupenreine "Anti-Memorandum-Partei". Das ist der gemeinsame Nenner für Syriza.
Zur Person
Menelaos
Givalos
71, von der Athener "Kapodistrias"-Universität,
ist einer der renommiertesten Politikwissenschaftler Griechenlands. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher und Kolumnist der Athener Sonntagszeitung "To Paron". Sein Spezialgebiet: das politische System Griechenlands.