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Beim zwölften "Symposium Virtuelles Fahrzeug" in Graz ging es um Umbrüche und Unsicherheiten - und auch um die technologischen Fortschritte der Fahrzeugindustrie.
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Graz. Die heile Welt der Automobilindustrie ist längst aus den Fugen geraten. Wie sehr, zeigte sich beim zwölften "Symposium Virtuelles Fahrzeug" in Graz. Da machte sich ausgerechnet ein Vertreter des VW-Konzerns, Maik Gummert, in seinem Vortrag Sorgen wegen des Klimawandels, obendrein lobte er den Protest von Greta Thunberg. Ob das zarte Pflänzchen grünen Zweifels noch vor fünf Jahren in der Ära des damaligen VW-Chefs Martin Winterkorn gediehen wäre? Wohl kaum. Aber inzwischen habe sich eben viel verändert, wie auch der Geschäftsführer des Grazer Forschungszentrums "Virtual Vehicle", Jost Bernasch, in seiner Rede festhielt.
Fast wehmütig erinnerte sich Bernasch an das Jahr 1998, als eine kleine Computerfirma namens Google gegründet wurde. Vor der Macht des heutigen Weltkonzerns ist die Autoindustrie längst nicht mehr sicher, und auch sonst bleibt laut Bernasch derzeit kein Stein auf dem anderen: "Elektrischer Antrieb, autonome Fahrzeuge, Datensicherheit, Crash-Sicherheit - zahlreiche und zugleich widersprüchliche Anforderungen stürmen wie nie zuvor auf die Fahrzeugindustrie ein. Dazu kommt massive Konkurrenz aus Asien und den USA."
Dass das "Symposium Virtuelles Fahrzeug" in der Steiermark stattgefunden hat, war kein Zufall. Der Automotive-Sektor ist einer der wichtigsten steirischen Wirtschaftsmotoren, zudem ist das Bundesland in Sachen autonomes Fahren ein wichtiger Forschungsstandort. Mit dem "Alp.Lab" wurden im Jahr 2017 einige Straßenabschnitte zu Teststrecken. Die Steiermark bietet wegen ihrer exponierten geografischen Struktur und besonderer klimatischer Bedingungen ideale Voraussetzungen, um in Echtzeit Eventualitäten und Szenarien des Straßenverkehrs durchzuspielen, zu testen oder zu simulieren. Hier kommt auch das Forschungszentrum "Virtual Vehicle" ins Spiel, das sich auf die Virtualisierung der Fahrzeugentwicklung spezialisiert hat. Aktuell ist es bei mehr als 35 EU-Projekten aktiv. Das automatisierte Fahren ist dabei nur ein Schwerpunkt, auch die Themen Sicherheit, Komfort und effiziente Entwicklung werden hier vorangetrieben.
Automatisiertes Fahren
Der jüngste Kongress in Graz hat vor allem auch deutlich gemacht, mit welchen Herausforderungen die Industrie konfrontiert ist und welche Fragen beantwortet werden müssen. "Wie können hochkomplexe Entwicklungsprozesse und Tests mit Millionen von Testkilometern automatisiert werden? Wie kann weiterhin kostengünstig, sicher und effizient entwickelt werden? Wir brauchen erfolgreiche Produkte - mit weniger Rückrufen, die dennoch für den Kunden leistbar sind", umriss Bernasch den Themenkomplex.
Denn wie schnell die Grenzen des Machbaren erreicht sind, zeigt vor allem das Beispiel des automatisierten Fahrens. Das vor nicht allzu langer Zeit vorherrschende "Alles geht"-Gefühl ist einer gewissen Katerstimmung gewichen. Auf einer sechsstufigen Skala von 0 bis 5, die den Automatisierungsgrad eines Fahrzeuges beschreibt, befindet sich die Entwicklung derzeit am Übergang von Stufe zwei zu Stufe drei.
Bisher konnte das autonome Fahrzeug nur selbst beschleunigen und bremsen, die Umgebung musste vom Fahrer kontrolliert werden. Erst jetzt übernimmt der Computer langsam auch die Umgebungsüberwachung. Allerdings ist es bis zur Stufe fünf - einem vollständig autonomen Fahrzeug, das alle Aufgaben inklusive dem Handling brenzliger Situationen beherrscht - noch ein weiter Weg.
Neue Allianzen
Einen neidvollen Blick widmete Bernasch deshalb der boomenden Smartphone-Industrie, die immer schneller neue Modelle auf den Markt bringt: "Die Marktveränderungen beschleunigen sich. Unternehmen müssen deutlich flexibler werden, um darauf rasch und adäquat reagieren zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben." Die Verkürzung der Marktreife sei daher eines der dringlichsten Ziele der Industrie. Durch die sich schnell verändernde Umgebung entstehen allerdings auch neue Allianzen und Kollaborationen - weltweit und über alle Hierarchieebenen. So wollen beispielsweise Daimler und BMW nicht nur beim Carsharing (Autoteilen) und beim autonomen Fahren gemeinsame Sache machen, sondern auf breiterer Basis kooperieren - was bis vor Kurzem völlig undenkbar gewesen wäre.
Darüber hinaus sieht Bernasch noch zwei weitere große Trends der Digitalisierung. Zum einen sei die Wiederverwendung von Wissen und Bausteinen der Entwicklung ein entscheidender Aspekt für die Effizienz, Know-how müsse daher immer und überall abrufbar sein. Zum anderen müssten Daten und Informationen zukunftssicher gemacht werden, um wissensbasierte Arbeitsabläufe und Automatisierung zu ermöglichen.
VW-Manager Gummert sieht vor allem in der Elektro-Mobilität einen "Megatrend", der die komplette Industrie revolutionieren werde. Bis 2025 sollten 25 Prozent der Fahrzeugflotte rein elektrisch angetrieben werden, wobei die Veränderung des Kundenverhaltens der wesentlichste Treiber sein werde.
Mit Blick auf die Umweltbilanz wies Gummert darauf hin, dass Volkswagen als Konzern derzeit für ein Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sei, der Transportsektor insgesamt für 14 Prozent. Der größte Klimaschädling sei nach diesen Berechnungen die Landwirtschaft mit einem Anteil von 24 Prozent, so Gummert. Vor allem der Fleischkonsum wirke sich negativ auf die Umwelt aus. Allerdings: Ganz unschuldig ist VW auch hier nicht, immerhin verkauft das Unternehmen pro Jahr mehr Currywürste als Autos, nämlich rund sieben Millionen Stück. Aus diesem Grund produziert VW seit 2015 auch eine vegane Version der Wurst: "Die Entscheidung liegt bei den Konsumenten, ob sie vegan oder Fleisch kaufen." Es bleibt eben tatsächlich kein Stein auf dem anderen in der Autoindustrie.