Bürgernähe hat Gusenbauer erst nach 2002 gelernt. | Mit Machtinstinkt ins Kanzleramt. | Wien. Es ist vollbracht. Alfred Gusenbauer, das Kind aus den bescheidenen Verhältnissen einer niederösterreichischen Arbeiterfamilie, stand am Donnerstag am Ziel seiner Träume - auch wenn er sich seine Angelobung als zehnter Bundeskanzler der Republik in helleren Farben ausgemalt hatte. Dass ihm gerade jene Gruppe, die seine politische Heimat war, den Weg ins Bundeskanzleramt beinahe versperrte, ist sicherlich bitter. Die Sozialistische Jugend ist nicht irgendeine Organisation für ihn. Gusenbauer hat selbst 1977 eine Gruppe der SJ in Ybbs aufgebaut und wurde 1984 mit dem Vorsitz der SJ Österreich, den er bis 1990 behielt, für sein Engagement belohnt.
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Er war sicher der Eloquenteste in der SJ und fand schon darum Bewunderung. Rasch setzte er - mit Unterstützung seines politischen Vorbildes Bruno Kreisky - Schritte auf internationales Parkett. Mit 25 wurde er Vorsitzender der Sozialistischen Jugend Internationale, mit 29 löste er Kreisky als Stellvertreter Willy Brandts in der Sozialistischen Internationale ab. Mitte der 80er Jahre war es auch, als er auf einem Flughafen sowjetischen Boden küsste. Damals noch mit langem, dichtem Haar.
Gusenbauer ist gelernter Politiker, er war schon während seiner Studienzeit Parteiangestellter. Erst 1990 wechselte der promovierte Politikwissenschafter in die Arbeiterkammer Niederösterreich. Sein politischer Werdegang lief aber wie geschmiert weiter. Schon 1991 erhielt er ein Bundesratsmandat, zwei Jahre später durfte er im Nationalrat Platz nehmen.
Auf seinem für sein Alter - er wird am 8. Februar 47 - langen politischen Weg hat Gusenbauer viele Höhen und Tiefen durchlaufen. Wenngleich zu sagen ist, dass sich die Tiefen erst mit seinem Aufstieg in die Spitzenpolitik auftaten.
Anfang 2000 - während der ausgesprochen schwierigen Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP, die schließlich scheiterten - wurde er unter Viktor Klima Bundesgeschäftsführer der SPÖ. Das blieb er nur für kurze Zeit, denn bereits am 28. April 2000 kürte ihn der Parteitag zum siebenten Vorsitzenden seit 1945.
Gusenbauer, mit 40 Jahren der jüngste Vorsitzende, übernahm als "pragmatischer Linker" die Partei in der ungewohnten Phase der Opposition. Das Resultat gibt dem Parteiinstinkt recht. Gusenbauer hat es trotz aller Unbill geschafft, mit Beharrlichkeit und Machtinstinkt das Kanzleramt zurückzuerobern.
Vom Leistungsbegriff zu fairen Chancen
In seinen ersten Jahren als Vorsitzender gelang ihm die Konsolidierung der Partei nach innen. Vor allem die desolaten Finanzen wurden in Ordnung gebracht. Nach außen positionierte Gusenbauer die SPÖ als linke Volkspartei.
Von Beginn an verwendete er in seinen Reden aber immer wieder den Begriff "Leistung". Die "solidarische Hochleistungsgesellschaft" hatte er ausgerufen, diesen rhetorischen Wandel vollzogen die Genossen aber nicht mit. Gusenbauer spricht daher seither von einer "Gesellschaft der fairen Chancen".
Die vorgezogenen Neuwahlen 2002 erwischten die SPÖ aber noch auf dem falschen Fuß: Es fehlte ein Angebot an FPÖ-Wähler und Gusenbauer schien vielen zu spröde. Die in seiner Jugend von vielen bewunderte Rhetorik kam bei der Bevölkerung nicht an. So fuhr die ÖVP einen unerwarteten Erdrutsch-Sieg ein.
In der Zwischenzeit hat er dazu gelernt. Auf seiner Startklar-Tour ab 2005 lernte er, auf Menschen zuzugehen. Die Tour half ihm auch, den Umfragevorsprung vor der ÖVP, den die SPÖ seit 2003 hatte, auszubauen und konstant zu halten. Die Bawag-Affäre setzte dem ein jähes Ende. Der Erfolg, der ihm schon sicher schien, entglitt. Aber Gusenbauer, der sich häufig "beratungsresistent" zeigt, ist ein Steher. Er kämpfte gegen die Verquickung von Bawag/ÖGB und SPÖ an und versuchte, seine Themen durchzubringen. Der 1. Oktober 2006 machte ihn und die SPÖ - wider Erwarten aller Beobachter - zur Nummer 1. Der Weg zum Kanzleramt dauerte dann noch 102 Tage.
Arbeit und faire Chancen für alle sind für den Parteivorsitzenden bis heute Garant für eine moderne Gesellschaft. Dabei ist für ihn aber auch Solidarität wichtig. Dass es ihm in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP nicht gelungen ist, die Studiengebühren wegzubringen, gibt er zu. Durch Ausweitung des Stipendien- und Darlehenssystems, so ist er überzeugt, werde aber der Weg auch für ärmere Schichten an die Universitäten frei. Und im Gegensatz zu den SPÖ-Jugendorganisationen hält er an der Alternative dazu fest. Jenen Kindern Nachhilfestunden zu geben, deren Eltern sich das nicht leisten können, ist für ihn eine wertvolle Arbeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft.