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Am Handy überlistet

Politik

"Operation Trojanerschild": Polizisten jubelten weltweit Kriminellen Mobiltelefone unter. Dutzende Hausdurchsuchungen und mehr als 80 Festnahmen in Österreich.


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Der User Canyouguess67 hat die Ermittlungsbehörden plötzlich vor ein Problem gestellt. Er veröffentlichte auf dem Weblog-Portal "WordPress" einen Beitrag, in dem er Anom-Handys als einen "Schwindel" bezeichnete. Er habe eines getestet, und dieses sei "im ständigen Kontakt" mit Google-Servern gewesen und habe Daten an nicht sichere Server in Australien und den USA übermittelt.

Damit schrillten bei den Ermittlern der "Operation Trojanerschild" die Alarmglocken. Denn die Anom-Handys waren das Um und Auf der Operation. Die Polizisten hatte diese Mobiltelefone Kriminellen untergejubelt: Die Verbrecher wähnten, dass sie bei der Kommunikation mit diesen Handys unter sich seien - tatsächlich aber servierten sie den Ermittlern eine heiße Information nach der anderen. Nun schlugen die Behörden zu: Bei einer der größten Polizeiaktionen gegen das Organisierte Verbrechen haben Ermittler weltweit mehr als 800 Verdächtige in 16 Ländern festgenommen, die meisten davon in den vergangenen zwei Tagen. Beteiligt daran waren das FBI, Europol und nationale Behörden. Europol sprach von einer der "größten und ausgeklügeltsten" Polizeiaktionen, die es je gab.

Das Match zwischen Verbrecherbanden und ermittelnden Behörden ist mittlerweile oftmals vor allem zu einem technischen Wettbewerb geworden. Kriminelle versuchen, Verschlüsselungsplattformen zu nutzen, die Ermittler versuchen, diese zu knacken. Eine dieser von Syndikaten genutzten Plattformen war "Phantom Secure", die verschlüsselte Handys an mexikanische Drogenkartelle verkaufte. Deren Boss Vincent Ramos sowie Vertraute von ihm wurden 2018 in den USA verhaftet.

Die Bosse beißen an

Was später folgte, könnte einem Filmdrehbuch entnommen sein und ist nun detailliert in US-Gerichtsakten aufgelistet, über die bereits die "New York Times" berichtete: Offenbar diente sich jemand aus dem Phantom-Secure-Umfeld dem FBI als Verbindungsmann zu kriminellen Netzwerken an. Und er war bereit, Kriminellen Kryptohandys der nächsten Generation zu verkaufen, die den Namen Anom bekamen: Zunächst wurden die Geräte Kriminellen in Australien untergejubelt. Diese waren offenbar davon derart begeistert, dass sich die Geräte in der Szene rasch verbreiten. Und vor allem begannen sie immer mehr dicke Fische, Bosse von Syndikaten, zu verwenden und zu empfehlen.

Anom wurde als vollkommen sicheres verschlüsseltes Handy präsentiert, das seinem Nutzer eine angeblich völlig geheime Kommunikation ermöglicht. Dies bedeutet, dass das Gerät weder zu orten noch zurückverfolgbar ist, und zudem gab es auf den Kryptohandys nicht die üblichen Funktionen zum Telefonieren und SMS-Versenden. Auch das Navigationssatellitensystem GPS war nicht installiert. Die Chat-Funktion war hinter einer Taschenrechner-App auf dem Gerät versteckt. Ansonsten sehen die Anom-Geräte wie bekannte Smartphones aus - schwarz, Touchscreen und wenig auffällig.

In der Theorie und nach Überzeugung seiner Nutzer operierte das Anom-Handy in einem geschlossenen Netzwerk - es konnte nur mit anderen Anom-Geräten kommunizieren. Die Daten wurden wie bei Telekommunikation im militärischen Bereich über sichere Proxy-Server übermittelt. Zur Sicherheit hatten die Anom-Geräte zudem eine "Kill"-Funktion, mit der alle Kontakte oder andere abgespeicherte Daten auf einen Schlag gelöscht werden konnten.

Tatsächlich schaltete sich allerdings das FBI in der Mitte der Kommunikation ein und konnte - zwar nicht in Echtzeit, aber doch - die Anom-Kommunikation mitlesen. Alle über die Plattform versendeten Nachrichten wurden als Blindkopien an FBI-Server geschickt und dann entschlüsselt.

Letztlich konnten das FBI, die australischen Behörden und die Behörden eines dritten, namentlich nicht genannten Landes mehr als 20 Millionen Textnachrichten von 11.800 Anom-Geräten in 90 Ländern entschlüsseln, die von rund 300 kriminellen Syndikaten versendet wurden.

Sie erfuhren, wie Kokain in Thunfischdosen von Ecuador nach Belgien verschifft wurde, wie Morde in Schweden geplant - und laut Ermittlern verhindert wurden. Die Polizisten waren plötzlich hautnah dran, wenn Motorradgangs in Australien mit organisierten Verbrecherbanden absprachen. In Schweden wurden dann auch 155 und in Australien 200 Personen festgenommen. Und auch in dutzenden anderen Ländern verhafteten die Polizisten Auftragskiller, Drogenbarone, Waffenschmuggler oder auch nur einfache Boten, die Schmiergeld und Drogen von einem Ort zum anderen brachten. In Deutschland etwa gab es Razzien in mehr als 100 Wohnungen, Hallen und Geschäftsräumen.

Weitere Aktionen geplant

In Österreich lief diese Aktion unter dem Namen "Achilles". Ihr Ergebnis: 67 Hausdurchsuchungen und 81 Festnahmen, wie Innenminister Karl Nehammer und Justizministerin Alma Zadic am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien berichteten.

Außerdem fanden die heimischen Ermittler 35 Waffen und 650.000 Euro Bargeld. Unter den rund 700 Kilogramm sichergestellten Suchtmittel befanden sich 30 Kilogramm Kokain und 26 Kilogramm Heroin.

Auch eine Entführung und eine schwere Misshandlung einer Person in Serbien sei geklärt worden. Ein "Läufer", ein untergeordnetes Bandenmitglied, das bei der Organisation Schulden hatte, sei in Wien in einen Keller verschleppt, mit einem Hammer malträtiert und schwer verletzt worden. Zudem sei ein wegen dreifachen Mordes gesuchter Mann festgenommen worden - und dabei wurden noch zehn Kilogramm Heroin sichergestellt. Der Verhaftete sei "einer der Anführer der Syndikate", sagte Ruf.

Schwerpunkte der Aktion waren die Bundesländer Wien, Niederösterreich, und Salzburg. Bei einem "Action Day" kamen österreichweit 400 Ermittler und Mitglieder von Spezialeinheiten zum Einsatz.

Es werde noch Monate dauern, bis die Experten alle Daten ausgearbeitet haben, betonte Nehammer. Mehr als ein Dutzend Verdächtige sitzen bereits in Haft, fügte Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien hinzu. Über diese Personen wurde auch schon die U-Haft beantragt. Den Haupttätern werde laut Bussek internationaler Drogenhandel vorgeworfen: "Es geht um Kokain, Heroin und Marihuana in sehr großen Mengen."

Ohnehin waren die nun weltweit erfolgten Verhaftungen erst der Anfang: Europol sprach davon, dass noch mit vielen weiteren Aktionen der Behörden in den nächsten Tagen zu rechnen sei.(klh/temp/grex)