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Am Potsdamer Platz bröckelt es

Von WZ-Korrespondent Roland Mischke

Europaarchiv
Bis zu 120.000 Menschen besuchen das "Hochhaus-Rudel" täglich. Das mittlere Gebäude ist im Jubiläumsjahr eingerüstet und wartet auf seine Sanierung. Foto: Corbis

Deutschlands schönster Wolkenkratzer eingerüstet. | 14 Millionen Klinker müssen getauscht werden. | Berlin. Die deutsche Hauptstadt feiert den zehnten Geburtstages ihres Pracht-Platzes in Berlin-Mitte. Wo einst die Mauer Ost- und Westberlin trennte, tristes Brachland an die Mauer grenzte, beeindrucken heute Wolkenkratzer und die Potsdamer Platz-Arkaden.


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Zum Jubiläum die Hiobsbotschaft. Am Wochenende wird am Potsdamer Platz gefeiert, aber dem schönsten Wolkenkratzer Deutschlands darf man nicht zu nahe kommen - er bröckelt. Der Klinkerbau im New Yorker Art-Deco-Stil von Hans Kollhoff, aus der Werbung bekannt, von Touristen Millionen Mal fotografiert, zeigt zehn Jahre nach Fertigstellung Materialermüdung.

Der Potsdamer Platz leuchtet. Zwischen 80.000 und 120.000 Menschen besuchen ihn täglich, sie wollen das Hochhausrudel rund ums Sony Center, die Potsdamer-Platz-Arkaden, wo viele der großen Markennamen eine Adresse haben, die Wolkenkratzer und das letzte historische Gebäude am Platz sehen, das Weinhaus Huth.

Der Eigentümer des Wolkenkratzers, SEB-Asset-Management, hat beschlossen, alle 14 Millionen Klinkerziegel ausbessern zu lassen. Eine 10 Millionen Euro teure Mammutaktion, die bis 2010 dauern wird. Es wird vermutet, dass Temperaturschwankungen die Mängel auslösten, sämtliche Fugen werden inspiziert. Die Klinker sind eine Spezialanfertigung aus dem norddeutschen Widmund. Das gesamte Gebäude ist von einem Schutzgerüst umzingelt, aber seine güldenen Dachspitzen leuchten weiter im Herbstlicht.

"The Platz to be"

Barbara Knoflach, 43, die Vorstandsvorsitzende der SEB Asset Management, die 2007 die Daimler-City für 1,4 Milliarden Euro vom schwäbischen Autobauer gekauft hat, will den alten Namen loswerden. Der Potsdamer Platz solle eine weltweite "Marke" werden, sagt sie, und hat einen Slogan parat: "Potsdamer Platz, der Platz, wo man sein muss". Leider haben sich die Manager für die in Denglish umformulierte Zeile "Potsdamer Platz - The Platz to be" entschieden. Der ausschließlich auf Deutsch formulierte Slogan hat mehr Ausstrahlungskraft, auch konsequent ins Englische übersetzt.

SEB-Chefin Knoflach, eine bekannte Frankfurter Immobilienexpertin, hat eine Vision, an deren Umsetzung zur Realität sie arbeiten will. Das ist die richtige Botschaft zum Jubiläum. Die Mitte der Hauptstadt, die 44 Jahre an diesem Ort so demonstrativ getrennt war wie nirgendwo in Berlin, soll "vergleichbar" werden mit dem Picadilly Circus in London oder dem Times Square in New York. "Dazu hat der Potsdamer Platz das Zeug", erklärt die neue Platzherrin. Schon jetzt ist fast jeder Quadratmeter vergeben, in Berlin keine Selbstverständlichkeit. Die Arkaden-Passage ist seit Eröffnung voll vermietet, 300 der 305 Apartments sind vermietet, die Cinemaxx-Kinos, das Musical-Theater, Hotels und Gastronomie verzeichnen höchste Umsatzraten. Jeden Tag bremsen Touristenbusse, und wer zum Promi-Schauen angereist ist, kann hier Tom Cruise, Brad Pitt, Madonna und Richard Gere sehen, aber auch Udo Lindenberg und Hans Eichel, die hier wohnen.

Dass am Platz neben Gewerberäumen auch Wohnungen entstanden, verdankt die Stadt dem früheren Stadtplaner Hans Stimmann, der kategorisch auf der "Wiederkenntlichmachen alter Straßenzüge" beharrte und die Höhe der Hochhäuser auf rund 100 Meter begrenzte. Die Investoren jaulten auf, aber Stimmann setzte sich durch. Heute ist man ihm dankbar, dass der Platz menschliche Maßstäbe besitzt. Auch wenn Kritiker wie Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm das Areal als "autistisch" bezeichneten, eine Ministadt in der Großstadt ohne Rücksicht auf angrenzende Viertel. Doch nahverkehrsmäßig ist Berlins Mittelpunkt gut erschlossen, am S- und Regionalbahnhof steigen täglich 48.000 Menschen um, die Touristen sind mit der U2 vom Bahnhof Zoo in zehn Minuten hier.

Hohe Symbolkraft

Der Potsdamer Platz ist von hoher Symbolkraft, er steht mehr als alle anderen Orte in Deutschland für die Einheit der Deutschen. 28 Jahre war er Niemandsland, Flüchtende wurden abgeknallt wie die Kaninchen. Aber am 10. November 1989 schlenderte Richard von Weizsäcker auf einem nach der Maueröffnung frisch von aus Ost-Berlin hereinströmenden Menschen getrampelten Pfad in Richtung DDR. Ein Offizier der Grenztruppen erkannte ihn, legte grüßend die Hand an die Mütze und meldete: "Keine besonderen Vorkommnisse, Herr Bundespräsident."