Plewneliew ist Favorit, sein Scheitern könnte Neuwahlen vom Zaun brechen.
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Sofia. Achtzehn Kandidaten bewerben sich am Sonntag um das Amt des bulgarischen Staatspräsidenten und hunderte weitere um politische Ämter in den Städten und Gemeinden. Doch eigentlich geht es nur um einen: Boiko Borissow. Seit gut zwei Jahren führt der Ministerpräsident das Land auf seine typisch hemdsärmlige Weise und polarisiert damit die Massen. Wie viele der sieben Millionen Wahlberechtigten noch hinter ihm stehen und wie viele ihm den Rücken kehren, darüber werden die anstehenden Präsidentschafts- und Kommunalwahlen vor allem Auskunft geben.
Roma-Pogrome
Zwei Ereignisse werden von diesem Wahlkampf in Erinnerung bleiben; die pogromartigen Ausschreitungen bei Anti-Roma-Kundgebungen in Katunitsa und mehreren Großstädten sowie das in die Luft gesprengte Auto des populären und regierungskritischen TV-Journalisten Sascho Dikow. Substanzielle politische Debatten waren dagegen im Wahlkampf kaum zu vernehmen, und so konnte sich auch Rossen Plewneliew, Präsidentschaftskandidat von Borissows Regierungspartei Bürger für eine europäische Entwicklung (GERB), nicht als künftiger "Staatsmann" profilieren.
Dennoch gilt der bisherige Regionalentwicklungsminister Plewneliew als Favorit. Die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang wird er vermutlich verfehlen, doch wird erwartet, dass er sich in der Stichwahl am 30. Oktober gegenüber dem früheren Außenminister Iwailo Kalfin von der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) oder der als Unabhängige antretenden Ex-EU-Kommissarin Meglena Kunewa, durchsetzen wird. Allerdings gibt es auch Meinungsforscher, die eine "Sanktionswahl" gegen Borissow und damit ein Scheitern von Plewneliew für möglich halten. Dann aber wäre Borissows politische Position so geschwächt, dass vorgezogene Neuwahlen zur bulgarischen Nationalversammlung wahrscheinlich würden. In einer ähnlichen Ausgangsposition wie Plewneliew befindet sich in Sofia die zur Wiederwahl anstehende Bürgermeisterin Jordanka Fandukow (GERB).
Eine Woche vor den Wahlen lud Boiko Borissow seine politischen Freunde aus Europa ein, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek kamen. Lobende Worte waren bei der Versammlung der Europäischen Volkspartei (EVP) in Sofia am vergangenen Wochenende wohlfeil. Bulgarien sei "ein Hort finanzpolitischer Stabilität" und könne "anderen europäischen Ländern als Vorbild" dienen, hieß es da. Es war dieselbe Rhetorik, die auch Wahlkämpfer Borissow in den letzten Monaten beim Eröffnen von Kläranlagen und reparierten Straßen gebetsmühlenartig wiederholte.
Manipulations-Vorwürfe
Borissows Kritikern erscheinen solche Lobesworte wie Hohn; sie weisen mit derselben Inbrunst darauf hin, dass Bulgarien weiterhin das ärmste Land der Europäischen Union sei und das Land auch in der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität kaum durchschlagende Erfolge nachzuweisen habe.
Außer über die gegenwärtige politische Kräfteverteilung geben Wahlen in Bulgarien immer auch Auskunft über den Entwicklungsstand der Demokratie in dem südosteuropäischen Land. Alle Wahlen der vergangenen Jahre waren von Wahlmanipulationen durch Stimmenkauf vor allem in den Roma-Vierteln überschattet. Und selbst die Zentrale Wahlkommission, der die korrekte Durchführung der Wahlen obliegt, ist in den letzten Wochen mehrfach in die Kritik geraten; so sollen nach Informationen der Tageszeitung "Dnevnik" auf den Wahllisten bis zu 15 Prozent "tote Seelen" verzeichnet sein.