Was bedeutet das Sterben von 300 afrikanischen Fischern gegenüber 100.000 Toten in Indonesien? Was haben mehr als 50.000 Hilfsbedürftige zu besagen auf einem Kontinent, auf dem Millionen in Flüchtlingscamps vegetieren? Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Katastrophe in Südostasien verblassen die Geschichten vom Rande der Flutkatastrophe, die sonst wohl für Schlagzeilen gut wären. Aber auch aus der unmittelbaren Nähe des Beben-Epizentrums könnten solche "vergessenen" Dramen geschildert werden - wenn man davon wüsste.
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Sieben Stunden nach dem Seebeben im Indischen Ozean erreichte die Flutwelle die ostafrikanische Küste. In der halbautonomen Region Puntland im Nordosten Somalias wurden ganze Fischerdörfer hinweggefegt. Rund 300 Tote soll es gegeben haben, 17.000 wurden obdachlos. Die UNO bat ihre Mitgliedstaaten um 9,8 Mio. Euro Soforthilfe, um die Grundbedürfnisse von 54.000 Betroffenen abdecken zu können.
Die versprochene Hilfe verzögert sich. UNO-Beamte erläutern, dass es bisher noch nicht einmal möglich gewesen sei, die Schäden zu begutachten - Flüge über dem abgelegenen Gebiet seien nicht möglich, weil "Kriegsherren" über eine große Zahl von Flugabwehrgeschützen verfügen würden. Erst Donnerstag war bei Kämpfen zwischen verfeindeten Clans 17 Menschen erschossen worden.
Die Herrschaft der "War-lords" resultiert aus 14 Jahren Bürgerkrieg mit einer halben Million Toten, den auch eine UNO-Intervention unter US-Führung nicht beenden konnte. Die Übergangsregierung, die vergangenes Jahr im Rahmen eines zweijährigen Friedensprozesses gebildet wurde, sitzt in Kenia im Exil. Trotz Aufforderung der Gastgeber verweigert sie die Rückkehr in ihr Land, weil dort die Lage weiterhin zu unsicher sei.
Isolierte Inselgruppe
Ungewissheit über die tatsächliche aktuelle Lage herrscht aber auch in Gebieten, die dem die Flut auslösenden Beben vor Sumatra wesentlich näher waren. Indien will beispielsweise für die Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren, die zu seinem Herrschaftsgebiet gehören, keine ausländische Hilfe zulassen, weil man die Situation ohnehin im Griff habe. Auf den insgesamt rund 500, nur zum Teil bewohnten Inseln, zu denen Ausländer äußerst beschränkten Zugang haben, befinden sich mehrere indische Militärstützpunkte. Laut offiziellen Angaben wurden dort bisher 900 Leichen geborgen, rund 5.700 Menschen werden noch vermisst. Befürchtet werden allerdings rund 10.000 Tote unter den insgesamt 350.000 Einwohnern. Die rund 30.000 Ureinwohner, die seit 30.000 bis 60.000 Jahren auf der Insel leben, dürften die Flut aber laut offiziellen Angaben recht gut überstanden haben - sie, die in engem Kontakt zur Natur stehen, folgten den "Frühwarnhinweisen" aus der Tierwelt und flohen ins Landesinnere.
Rund 1.000 der insgesamt 15.000 "Flutflüchtlinge", die in der Hauptstadt Port Blair Unterschlupf gefunden haben, werden zur Zeit von der Caritas betreut. Die traumatisierten Menschen wissen nicht, ob sie je in ihre Heimat zurückkehren können, wurden doch viele der Inseln komplett unter Wasser gesetzt, berichtete eine Caritas-Helferin.
Das "Wunder" von Burma
Obwohl kaum weiter vom Epizentrum entfernt als die indische Inselgruppe dürfte Burma (Myanmar) glimpflicher davon gekommen sein als ursprünglich befürchtet. Zahlreiche Experten und Wissenschaftler hatten die offiziellen Angaben der Militärregierung in Rangun, die eine strikte Informationskontrolle ausübt, bezweifelt. Nun wurde aber von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz nach eigenen Recherchen bestätigt, dass 86 Menschen durch den Tsunami umkamen, zehn würden noch vermisst. Rund 7.000 Menschen wurden obdachlos. Joanna Maclean vom Roten Kreuz sprach von einem "Wunder". Möglicherweise hätten die felsige Küste und der Winkel im Verhältnis zur Welle Schlimmeres verhindert, vermutete sie. Auch Satellitenbilder deuten darauf hin, dass Burma weniger hart getroffen wurde als das benachbarte Thailand. Ungeklärt ist aber noch, ob die vor der Küste gelegenen Coco-Inseln, die dem Regime als eine Art Gefängnisinseln dienen, von der Flut verschont wurden.
Malediven: Angst vor Zukunft
Auch von einem streng islamischen Land, das nicht nur für Finanzminister Karl-Heinz Grasser als Ferienparadies gilt, werden wenig Neuigkeiten vermeldet: Auf den Malediven hält man bei 82 bestätigten Todesopfern, 26 werden vermisst. Auf der offiziellen Homepage findet man den Hinweis, dass von 87 Tourismusresorts - diese befinden sich meist streng isoliert von der Umgebung auf einzelnen Inseln - 64 funktionieren.
Der autokratisch regierende Präsident Maumoon Abdul Gayoom hat unter dem Eindruck der Katastrophe die Verfahren wegen Hochverrats gegen Oppostionsführer, darunter ehemalige Minister, eingestellt. Denn die Tatsache, dass rund ein Drittel der 280.000 Menschen starken Bevölkerung Nothilfe braucht, lässt die starken politischen Spannungen verblassen. Aber nicht nur die aktuelle Situation macht den Menschen Sorgen - dass nun 40 Prozent der Inseln, die teilweise nur einen Meter über dem Meeresspiegel liegen, überschwemmt wurden, lässt sie um die Zukunft fürchten. Sie wissen, dass wegen der Klimaerwärmung der Wasserspiegel in Zukunft weiter steigen könnte - vom 10. bis 14. Jänner neben dem Tsunami Thema einer UNO-Konferenz über die Zukunft kleiner Inseln auf Mauritius - und denken an Auswanderung.