Auf der russischen Bahnstrecke werden weiterhin ungehindert Güter nach Europa transportiert.
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Die Europäische Union (EU) hat soeben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die 27 Mitgliedsstaaten billigten die Vorschläge der Kommission. Betroffen sind der Güterverkehr auf der Straße und auf dem Seeweg. Russische sowie weißrussische Containerschiffe und Lkw dürfen keine EU-Häfen mehr anlaufen. Auch die Einreise in die EU ist verboten.
Doch eine Route bleibt von den Sanktionen unberührt. Es ist die Route auf der Schiene entlang der neuen Seidenstraße von China über Russland und Weißrussland nach Europa.
Von den Millionenstädten Xian, Chengdu und Chongqinq startet die mehr als 10.000 Kilometer lange Reise. Sie führt etwa 10 Tage über die Mongolei und Sibirien sowie quer durch Kasachstan nach Moskau, und von dort weiter in die EU.
Obwohl die Züge zweimal umgespurt werden, einmal in Khorgos an der chinesisch-kasachischen Grenze (sowie in der Mongolei) und einmal an der weißrussischen-polnischen Grenze bei Brest, ist der Transport auf der Schiene doppelt so schnell wie der Transport auf dem Seeweg. Es ist ein Angebot für die Logistiker, das sie immer seltener ablehnen. Mittlerweile findet 5,5 Prozent des Handels zwischen der EU und China auf diesem Weg statt, eine Verdreifachung des Volumens seit 2018.
Vor allem der Weg durch Kasachstan wird immer attraktiver. Das Land besteht größtenteils aus einer flachen Steppe, optimal für den Ausbau eines schnellen Schienennetzwerkes. Zudem leben nur 18 Millionen Menschen in dieser unwirtlichen Gegend, im neuntgrößten Land der Erde. Das sind sieben Menschen pro Quadratkilometer, in Österreich leben auf derselben Fläche 105 Menschen.
Der Ausbau der neuen Seidenstraße (One Belt One Road) ist das billionenschwere Prestigeprojekt des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, das er 2013 ins Leben rief. Das Projekt umfasst mehr als 64 Länder, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, mehr als ein Drittel des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP).
Xi Jinping in Kasachstan
Neben der Schifffahrt liegt der Fokus auch auf dem Landweg, vor allem auf der Schiene durch Kasachstan. Als Xi Jinping das Projekt vorstellte, tat er das nicht in Peking oder in Shanghai. Der chinesische Staatspräsident stellte seine Pläne in der Universität Astana vor, der damaligen Hauptstadt Kasachstans.
Doch nicht nur China und Kasachstan wollen von der neuen Seidenstraße profitieren, sondern auch Europa, vor allem Deutschland. In Duisburg entstand in den vergangenen Jahren der weltgrößte Binnenhafen. Mehr als 60 der 650 Meter langen Container-Züge kommen hier pro Woche aus China an, ein Drittel aller Züge auf dieser langen Strecke. Transportiert werden vor allem Elektronikwaren, Maschinen und Autoteile. Davon profitiert auch Österreich, China ist mittlerweile der zweitgrößte Handelspartner.
Der Russland-Krieg und die EU-Sanktionen haben sich bisher noch nicht auf die Route ausgewirkt. Doch wie lange noch?
"Es gibt Sanktionen gegen Manager der russischen Staatsbahn RZB, sowie Importverbot von Kohle und Export von Hightech-Produkten von und nach Russland, die auch die Bahn betreffen können", sagt Andreas Breinbauer, Leiter des Studiengangs "Logistik und Transportmanagement" an der FH des BFI Wien. "Die ersten Logistikdienstleister schauen sich bereits nach Alternativen um."
Im Blickpunkt steht die Bahnroute von Kasachstan über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan, weiter über Georgien in die Türkei und von dort nach Europa. "Das Volumen hat hier im Jahr 2021 um 52 Prozent gegenüber 2020 zugenommen. Die Strecke ist aber weiterhin noch wenig bedeutend und macht nur 3 bis 4 Prozent des Gesamtbahnverkehrsvolumens aus", sagt Breinbauer.
ÖBB prüfen Routenänderung
Auch die Rail Cargo Group der ÖBB prüft einen Umstieg auf diese Route über das Kaspische Meer: "Eine Alternativroute von China über die Türkei ist ausgearbeitet und kann bei Bedarf für einen Teil der Sendungen genutzt werden. Wir nehmen aber auch unsere Verantwortung als verlässlicher Partner unserer europäischen Kunden ernst, indem wir Transportbedarfe von, nach und durch Russland durchführen", sagt ÖBB-Sprecher Bernd Winter.
Breinbauer gibt jedoch zu Bedenken, dass die Strecke durch mehrere Länder führt, die Grenzformalitäten sind teilweise kompliziert. In der kasachischen Hafenstadt Aqtau wird zudem der Zug zerlegt und nach Baku verschifft (siehe Foto). Bei schlechtem Wetter kommt es zu weiteren Verzögerungen. Breinbauer rechnet mit einer Dauer von mindestens 20 Tagen über diese Route von China nach Europa, mehr als doppelt so lange, wie über Moskau. Sollte es zu Sanktionen für den Bahnweg durch Russland kommen, erwartet Breinbauer eine Verlagerung zurück auf den Seeweg.
Das wäre dann das Ende der Bahnambitionen von China und Europa über die neue Seidenstraße.