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Am sozialen Tropf

Von Marina Delcheva

Politik

Mit der Flüchtlingskrise dominiert auch die Debatte um die Mindestsicherung das politische Geschehen.


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Wien. Die Mindestsicherung biete die falschen Anreize, betont Finanzminister Hans Jörg Schelling immer wieder. Die Mindestsicherung sei so hoch bemessen, dass Menschen der Anreiz fehle, arbeiten zu gehen. Das wiederum predigt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl regelmäßig.

Unternehmer profitieren

Nach der Flüchtlingskrise im Vorjahr ist die Diskussion um die Mindestsicherung inklusive Forderungen nach Reformen aus fast allen politischen Lagern entbrannt. Das vor allem, weil anerkannte Flüchtlinge zunächst in der Mindestsicherung landen, wenn sie keinen Job finden und weil sie davor auch nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Begleitet wird die Debatte von der immer gleichen Rechnung: Wenn man, zum Beispiel als Familie, 1500 Euro an Mindestsicherung bekommt, warum sollte man dann um 1200 Euro netto arbeiten gehen?

Von dem Instrument zur sozialen Absicherung profitieren aber nicht nur die Bezieher, sondern auch die Wirtschaft, zumindest die schwarze. Für manche Unternehmen ist sie ein willkommener Anlass, ihre Arbeitnehmer schwarz zu beschäftigen und sich dadurch Sozialabgaben und Lohnnebenkosten zu sparen.

Das ist zum Beispiel bei Nathalie V. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) der Fall. Sie arbeitet als Kellnerin in einem Wiener Innenstadtlokal. Offiziell ist sie für lediglich einen Tag in der Woche beschäftigt. Weil sie mittlerweile keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, bezieht sie nun die Mindestsicherung als Aufstockung zu ihrem Gehalt.

Tatsächlich arbeitet sie ungefähr 25 Stunden in der Woche. Den Lohn bekommt sie bar auf die Hand. "Mir wäre lieber, mein Chef stellt mich an, damit ich normal versichert bin und Pensionsjahre sammle. Aber er will das nicht", sagt sie. Denn so sei sie ja im Krankheitsfall abgesichert und der Lokalbesitzer spare sich mehrere tausend Euro an Abgaben jährlich. In der Überzahl sind solche Fälle nicht. Ein Großteil der Menschen ist auf dieses Geld angewiesen, um nicht in die totale Armut abzurutschen. Dennoch missbrauchen sie Arbeitnehmer und Arbeitgeber manchmal als quasi indirekte staatliche Förderung, um sich eine Reihe von Abgaben zu ersparen.

Wenig Vollbezieher

Eine detaillierte Statistik und österreichweite Daten zur Mindestsicherung gibt es nicht. Sie liegt in der Kompetenz der Länder und der Austausch mit dem zuständigen Sozialministerium funktioniert kaum. In Wien beziehen derzeit etwas mehr als 180.000 Menschen Mindestsicherung. Ob der höheren Zahl an Schutzsuchenden ist der Anteil an Flüchtlingen 2015 insgesamt größer geworden. Betrug dieser 2014 noch 13,6 Prozent, kletterte er 2015 auf insgesamt 17,4 Prozent.

Aber nur zehn Prozent der Mindestsicherungsbezieher sind sogenannte Vollbezieher. 77,4 Prozent bekommen die Mindestsicherung als Ergänzung zu einer zu niedrigen Pension oder Gehalt. Der Rest verteilt sich auf Mietbeihilfen oder vergleichbare Zuwendungen. Die Durchschnittshöhe beträgt dabei 311 Euro pro Monat.

Sogenannte Sanktionsfälle gab es 8050 im Vorjahr. Das bedeutet, dass die Mindestsicherung gekürzt oder sogar gestrichen wurde. In der Steiermark beziehen derzeit 19.607 Personen in 9943 Haushalten Mindestsicherung. Rund 60 Prozent sind sogenannte Aufstocker, erklärt Josef Reinprecht aus dem Büro der Grazer Soziallandesrätin Doris Kampus auf Nachfrage. Kürzungen gab es 128.

"Normalerweise erfolgt die Aberkennung wegen Arbeitsverweigerung", erklärt Norbert Schnurrer, Sprecher der Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely. Dabei handle es sich in der Regel um Bezieher, die etwa AMS-Termine nicht einhalten oder bei Vorstellungsgesprächen nicht erscheinen.

Wie viele ihren Anspruch auf Mindestsicherung verloren haben, weil sie nebenher schwarz gearbeitet haben oder schwarz arbeiten mussten, wird nicht erhoben, in keinem Bundesland. "Wir sind uns der Problematik aber bewusst", sagt Reinprecht. Diese Fälle würden auch geahndet, allerdings könne man Missbrauch nie ganz ausschließen, den gebe es auch beim AMS-Geld.

WKO kritisiert System

In der Wirtschaftskammer gibt man eher dem System Mindestsicherung als den handelnden Personen die Schuld für den Missbrauch. "Wir sind unglücklich mit der Mindestsicherung, weil die Integration in den Arbeitsmarkt nicht gelingt", sagt Rolf Gleißner, stellvertretender Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer.

Viele Unternehmer würden beklagen, dass sie keine Arbeitnehmer finden, die bereit seien, um das angebotene Geld zu arbeiten. Gleißner räumt aber ein, dass es auch Missbrauch gebe und kaum beziehungsweise nur unwirksam kontrolliert werde. "Wir sind nicht für eine gänzliche Streichung, aber es darf kein bedingungsloses Grundeinkommen sein", sagt er.