Gesellschaftspolitische Differenzen und Ukraine-Konflikt vergiften Stimmung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel/Moskau. Die Sprecherin der EU drückte sich vornehm-zurückhaltend aus. Ein "leicht geändertes Format" habe jenes Spitzentreffen, das kommenden Dienstag in Brüssel stattfinden wird. Es ist der 32. Gipfel zwischen Russland und der EU, und es ist der bisher kürzeste: Russlands Präsident Wladimir Putin bleibt am 28. Jänner nur zweieinhalb Stunden in Brüssel, um mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso über die angeschlagenen Beziehungen zwischen beiden Seiten, die durch den Konflikt um die Ukraine noch zusätzlich belastet wurden, zu sprechen.
Das sonst übliche Essen am Vorabend, bei dem über die schwierigsten aktuellen Fragen gesprochen wurde, wurde ersatzlos gestrichen. Nun ist nur noch vorgesehen, zwischen 13.30 Uhr und 16 Uhr zu Mittag zu essen und in kleiner Runde "über Art und Richtung unserer Partnerschaft zu sprechen". Das heißt übersetzt: Wir befinden uns an einem toten Punkt, so wie bisher kann es nicht weitergehen. Auf zwischenmenschlicher Ebene würde man das wohl so ausdrücken: "Wir müssen reden."
Ein grundlegender Neuanfang in den gegenseitigen Beziehungen, der die konkreten Konflikte um Handelsfragen, Visa-Erleichterungen für russische Bürger, die politische Ausrichtung Osteuropas oder den Export von russischem Gas nach Europa einer Lösung wenigstens näherbringen könnte, ist aber schon aufgrund der Kürze des Gipfel genannten Treffens schwer vorstellbar. Und auch über dem nächsten Gesprächstermin im späten Frühjahr schwebt ein Fragezeichen. Gut möglich, dass Putin auf neue EU-Spitzenvertreter wartet - vielleicht bis 2015.
"Nur noch Cohabitation"
"Normalerweise müsste man ein solches Treffen nutzen, um über die aktuellen Themen zu reden, etwa die Ukraine", sagte der deutsche Politologe Alexander Rahr der "Wiener Zeitung". "Das Problem in der Ukraine ist ja nicht nur ein innenpolitisches. Hier findet sozusagen die letzte große Schlacht zwischen West und Ost nach dem Kalten Krieg statt", meinte Rahr am Rande einer von der Wiener Forschungsstelle für Eurasische Studien (Euras) organisierten Veranstaltung in Wien. Große Hoffnungen auf einen erneuerten Dialog mit Russland hegt der Biograph von Russlands Präsidenten Wladimir Putin jedenfalls nicht: "Die Idee eines gemeinsamen Europäischen Hauses, die Charles de Gaulle entwickelt hatte, ist tot. Heute geht es nur noch um die Cohabitation zweier Machtbereiche, die sich schwer verständigen können."
Das liegt auch daran, dass Putin, der zu Beginn seiner ersten Amtszeit noch eine kooperative Politik gegenüber dem Westen verfolgte, sich immer stärker vom einstigen westlichen Vorbild abgrenzt. Russland definiert sich als traditionalistischer, wertkonservativer Staat. "Putin spielt Werte wie Gemeinschaft, Volk, Glaube und Religion gegen den libertären Westen aus, der stark auf individuelle Freiheiten setzt", sagte der Russlandexperte Gerhard Mangott der "Wiener Zeitung". Auf seiner Jahrespressekonferenz im Vorjahr hat sich der russische Präsident als Konservativer "geoutet" und sein Bekenntnis mit einem Zitat des russischen Philosophen Nikolaj Berdjajew unterfüttert: Er, Putin, habe eine "konservative Sicht, doch der Konservativismus zielt darauf, eine Bewegung nach hinten und unten, in das Chaos der Finsternis zu verhindern". Unterstützung holt sich Putin dabei von der Orthodoxen Kirche. Sie steht dem missionarischen westlichen Universalismus und Individualismus skeptisch gegenüber und ist dem byzantinischen Ideal einer "Harmonie" zwischen Kirche und Herrscher verpflichtet. "Wir wissen, dass Sie wie kein anderer Ihren Beitrag leisten, damit Russland mächtig wird und seine alten Positionen zurückgewinnt", sagte Patriarch Kirill im Herbst anlässlich einer Ordensverleihung für den Präsidenten.
Putin richtet seine konservative Botschaft in guter russischer Tradition auch und vor allem Richtung Westen: Die neue Medien-Staatsholding "Rossija Segodnja" (Russland heute), die auch die Kontrolle über den im Westen immer populärer werdenden englischsprachigen TV-Sender "Russian Television" (RT) hat, hat wohl auch die Aufgabe, Russland als konservativen, wertbewussten Anker in einer instabilen Welt zu verkaufen. Genussvoll berichtet RT über die gegenwärtige europäische Krise, die gesellschaftlichen Verwerfungen, die Jugendarbeitslosigkeit und auch über die zunehmende Einwanderung außereuropäischer Menschen in den alten Kontinent - ebenso genussvoll, wie sich westliche Medien am "halbstarken" Putin (so ein Cover des "Spiegel") reiben, die ungenügende Menschenrechtslage in Russland thematisieren, den Umgang mit Homosexuellen kritisieren und in der Machtpolitik des russischen Präsidenten einen Versuch wittern, eine Art UdSSR wiederzuerrichten. Bei manchen europäischen Konservativen, die die gesellschaftsliberalen Politionen, die in der EU in den letzten Jahren dominant geworden sind, ablehnen, kommt Putins Botschaft allerdings an. Auch in Amerika: Der Blogger Matt Drudge nannte Putin nach der Snowden-Affäre gar den "Führer der freien Welt". "Russland schafft auf diese Art sicher eine Stärkung seiner Soft Power. Diese Positionen sind in vielen Ländern populär, rund um den ganzen Globus. Europa vergisst bisweilen, dass es nicht die Welt ist", sagt der Politologe Mangott.
Ringen um Ostmitteleuropa
Dennoch ließe sich zwischen Russland und der EU wohl noch relativ entspannt diskutieren, wenn die Wertefrage das einzige Problem wäre. Mit der vor allem von Schweden, den baltischen Staaten und Polen forcierten Östlichen Partnerschaft hat sich aber auch der geopolitische Konflikt intensiviert. "Russland hat einen schweren Fehler begangen, als es die mittelosteuropäischen Staaten, selbst so wichtige wie Polen, in seiner Europapolitik völlig missachtet hat", sagt Rahr. "Moskau will immer nur mit ausgewählten EU-Staaten verhandeln und hat nicht verstanden, dass die EU ein gefestigter Block ist", meint der Politologe. Er kritisiert aber auch die Position der EU, die in ihren eigenen Vorstellungen verharre. "Ein Problem sind sicher auch die mittelosteuropäischen Staaten", sagte Rahr. "Sie fürchten sich aus historisch verständlichen Gründen vor Moskau und sind EU und Nato beigetreten, um Schutz vor Russland zu bekommen. Seit Ende des Kalten Krieges sind EU und Nato aber nicht mehr gegen Russland ausgerichtet", meint Rahr. "Ein folgenreiches Missverständnis."