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Amerika im Konkurs?

Von Günter Bischof

Gastkommentare

Die 9/11-Attacken wirken auch 20 Jahre später auf die USA nach.


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Am 11. September 2001 nahmen vier terroristische Angriffe Ziel auf die beiden Türme des Welthandelszentrums in New York City, das US-Verteidigungsministerium im Pentagon und vermutlich das Kapitol in Washington - dieser vierte Flug gelangte jedoch nicht an sein Ziel, da die Flugmannschaft die Terroristen ausschaltete; das Flugzeug stürzte auf ein Feld in Pennsylvania.

Dies war der verwegenste und kostenspieligste terroristische Angriff auf Symbole der US-Finanz- und Militärmacht, der je stattfand. 2.977 Menschen wurden dabei getötet. Die Unverwundbarkeit Amerikas wurde eines Besseren belehrt. Die USA, nach dem Ende des Kalten Krieges oft als alleinige "Hypermacht" auf der Welt bezeichnet, verloren ihren Hegemonialstatus. Es gab zahlreiche Verschwörungstheorien, die die Amerikaner selbst für diese Angriffe verantwortlich machten; mancherorten kannte auch die Schadenfreude keine Grenzen. Psychologisch haben sich die USA von diesem Schock nie ganz erholt. Man spricht von einer "post-traumatischen Stress-Demokratie".

Einschneidende Maßnahmen betreffen Reisende weltweit

Die innenpolitische Folge war das neue Zeitalter des "Homeland Security"-Staates. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden vor allem auf Flughäfen rasch in die Höhe gefahren, um weiter Angriffe zu verhindern. Seither muss sich jeder Flugpassagier durch die rigorose Kontrollen begeben, die die Flugsicherheit gewährleisten sollte, und das weltweit. Ob die enormen Kosten wirklich so viel mehr an Sicherheit gebracht haben, weiß kein Mensch. Auf jeden Fall ist es eine einschneidende Maßnahme für das persönliche Reiseverhalten eines jeden Menschen in einer global vernetzten Welt. In diesem Sinne haben wir alle die Folgen zu ertragen.

Günter Bischof, gebürtiger Vorarlberger, ist der Marshall Plan Chair für Geschichte und der Direktor des Center Austria: The Austrian Marshall Plan Center for European Studies an der Universität von New Orleans. Momentan ist er vor dem Hurrikan "Ida" nach Washington geflüchtet.
© privat

Hat die Verunsicherung Amerikas auch die politischen Spannungen in den USA erzeugt, die 2016 zum Präsidentschaftswahlsieg Donalds Trumps geführt haben? Zahlreiche Beobachter meinen: Ja. Die Anfälligkeit vieler Amerikaner für die großen Vereinfachungen Trumps ("Make America great again") wäre eine Argument dafür, seine in vielen Teilen isolationistische Außen- und Einwanderungspolitik ein anderes. Auf jeden Fall erzeugte Trumps radikaler Nationalismus eine neue politische Polarisierung in Washington, die auch auf das 9/11-Trauma und die einschneidende Maßnahmen unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush nach den Angriffen zurückreicht.

Relativer Machtverlust und enorme Kriegskosten der USA

Außenpolitisch haben die Kriege in Afghanistan und im Irak den relativen Machtverlust der USA markiert. Die Invasion Afghanistan fand Wochen nach dem 9/11-Angriff statt. Ziel war es, die Terroristennester von Al-Kaida, die für die 9/11-Attacken verantwortlich waren, auszuschalten und deren Anführer Osama bin Laden zu töten. Im Zuge des Angriffs wurde auch die islamistische Taliban-Regierung entmachtet. Dem Taliban aber gelang es, sich in ihre Verstecke zurückzuziehen. Bald wurden die Amerikaner attackiert, so wie vor ihnen die Russen, die 1979 ins Land eingefallen waren.

Obwohl bin Laden bereits im Mai 2011 in Pakistan von US-Spezialeinheiten im Auftrag des damaligen Präsidenten Barack Obama getötet wurde, zogen sich die Amerikaner nicht aus Afghanistan zurück, sondern schickten noch mehr Truppen ins Land. Der Krieg gegen die "Taliban-Terroristen" ging weiter. US-Präsident Joe Biden hat Ende August, kurz vor dem 20. Jahrestag des 9/11-Angriffes, die letzten US-Soldaten aus Afghanistan zurückgezogen und diesen "Ewigen Krieg" beendet. In seiner Erklärung zum Rückzug sprach er von geschätzten 1 bis 2 Billionen Dollar an Kosten des Afghanistan-Krieges und dem unsäglichen Zoll von 18 Veteranen, die täglich Suizid begingen.

Im März 2003 marschierten die USA den Irak ein, um Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen aus dem Weg zu räumen. Er wurde in seinem Erdlochversteck aufgespürt und schlussendlich hingerichtet, aber Massenvernichtungswaffen wurden nie gefunden. Dieser Krieg dauerte bis 2011 und kostete die USA 1,1 Billionen Dollar und gut 4.500 Soldatenleben. Präsident Bush, der diese Kriege vom Zaun gebrochen hat, gilt heute nach Trumps Präsidentschaft als gemäßigter Republikaner und muss sich nicht mehr viele Vorwürfe gefallen lassen, obwohl eine Studie der Brown Universität die gesamten Kriegskosten nach den 9/11-Angriffen auf 6,4 Billionen Dollar schätzt (inklusive rund 1 Billion Dollar an Folgekosten für die Veteranenversorgung der beiden Kriege). Wer trägt die Verantwortung für diese immensen Ausgaben, wenn nicht der Präsident und seine Berater, die die Politik nach den 9/11-Angriffen machten?

Schwierige Erneuerung der mangelhaften US-Infrastruktur

2004 meinte bin Laden, er wolle "Amerika bis zum Konkurs ausbluten lassen". War es also seine Strategie, wie der "Washington Post"-Reporter Craig Whitlock schreibt, "die US-Supermacht in einen nicht zu gewinnenden Guerilla-Konflikt zu locken, der ihre nationalen Finanzen erschöpfen und ihren weltweiten Einfluss vermindern würde"? Und geht diese Strategie auf?

Präsident Biden kämpft im Kongress gerade um ein 3-Billionen-Dollar-Paket, um die alternde US-Infrastruktur zu erneuern. Wie vulnerabel sie ist und wie notwendig rasche Verbesserungen sind, haben gerade die Winterstürme in Texas und der jüngste Hurrikan "Ida", der die Golfküste Louisianas verwüstete und in New Orleans und Umgebung die Elektrizitätsversorgung total lahmlegte, gezeigt. Nach den riesigen Kosten der beiden 9\11-Folgekriege ist es aber politisch schwierig, solch gewaltige Ausgaben zu tätigen.

Heute, 20 Jahre nach den verheerenden Angriffen vom 11. September 2001, müssen sich die meisten Amerikaner zudem mehr vor den teils selbst verschuldeten Umweltfolgen der globalen Erwärmung fürchten als vor islamistischen Terroristen, ob sie nun zugeben wollen oder nicht, dass der Klimawandel diese immensen Umweltschäden zur Folge hat, seien es nun die Feuersbrünste in Kalifornien und im Westen der USA oder die Hurrikans im Süden.