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"Amerika ist wieder da"

Von Michael Schmölzer

Politik

Demokrat Joe Biden ging in Georgia und Pennsylvania in Führung. In den USA steigen nach der Wahl die Spannungen.


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Donald Trump sind bei der US-Präsidentschaftswahl schwere taktische Fehler unterlaufen. So ging der amtierende US-Präsident davon aus, dass die Wahl an der Urne entschieden würde. Dann musste der Republikaner zähneknirschend zusehen, wie sein ursprünglicher Vorsprung in entscheidenden Staaten zusammenschmolz. Sein Herausforderer, der Demokrat Joe Biden, ging im Verlauf des Freitags in Georgia und in Pennsylvania in Führung. CNN-Analysten zufolge war dem demokratischen Herausforderer der Wahlsieg damit nicht mehr zu nehmen. Grund für diese aus republikanischer Sicht unerfreuliche Wendung war, dass Trumps Anhänger nur spärlich die Möglichkeit der Briefwahl nutzten.

Was kein Wunder ist: So hat Trump bereits in den Wochen vor dem Votum diese Art der Entscheidung in Frage gezogen, die so abgegebenen Stimmen als "ungültig" und "nicht legal" abqualifiziert und damit jene republikanischen Wähler abgeschreckt, die aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht in die Wahllokale gehen wollten. Damit hat er Unterstützer verloren, ohne auf der anderen Seite Wähler zu gewinnen. Biden hingegen sammelte beim "Early Voting" wichtige Stimmen. Insgesamt 65 Millionen Briefwahlstimmen wurden abgegeben, so viele wie noch nie zuvor.

Biden - kein Visionär

Dass sich Trump über das Alter seines Kontrahenten Joe Biden lustig gemacht hat - Biden ist 77, Trump 74 Jahre alt -, hat den US-Präsidenten ebenfalls Stimmen und damit den Sieg gekostet. Seine Parole "Biden for Resident", also "Biden ins Altersheim", hat betagtere Republikaner abgeschreckt. Biden wurde im Rollstuhl sitzend dargestellt, eine wichtige Klientel fühlte sich von Trump verhöhnt.

Biden hingegen war am Freitag auf der Siegerstraße. Ihm war bei den Vorwahlen der Demokraten ein fulminanter Erfolg gelungen. Biden ist seit Jahrzehnten Teil des politischen Establishments der USA und nicht nur in dieser Hinsicht ein kompletter Gegenentwurf zu US-Präsident Donald Trump. Er ist kein Visionär. Er will das Land "zurück zur Normalität" führen und zusammenbringen. Er beschwört die alten Zeiten, als Obama und er im Weißen Haus waren und die USA bei Verbündeten als berechenbarer Partner galten. "Das Erste, was ich tun muss, und ich scherze nicht: Wenn ich gewählt werde, muss ich mit den Staatschefs telefonieren und sagen, dass Amerika wieder da ist, Sie können auf uns zählen", so Biden kürzlich.

Unterdessen zeigten sich Trump und sein Umfeld zunehmend verzweifelt. In einem eigenartigen Vortrag beklagte Trump, dass seine ursprüngliche Führung in mehreren Staaten "heruntergedrückt" worden sei. Daraufhin stoppten einige TV-Stationen die Live-Übertragung - zum ersten Mal seit Trumps Amtsantritt. Einige US-Kommentatoren deuteten den Auftritt schon als Trumps Abschiedsvorstellung.

Der Secret Service hat umgehend den Personenschutz für Biden aufgestockt. Bei den Auftritten des Demokraten sind nun dutzende Sicherheitsleute im Einsatz. Die Anzahl der Beamten entspreche aber noch nicht jener, die einem designierten Präsidenten zustehe, hieß es am Freitag.

Bewaffnete festgenommen

Die US-Sicherheitskräfte sind gewarnt und haben ihre Aufmerksamkeit erhöht. In Philadelphia wurden in der Nähe des Kongresszentrums, wo Stimmen ausgezählt wurden, zwei Männer mit Waffen in ihrem Fahrzeug festgenommen. Das FBI hat Ermittlungen eingeleitet. Vor dem Kongresszentrum protestierten Trump-Anhänger und Gegner des Präsidenten. Die Stimmung war aufgeheizt, die Polizei in Alarmbereitschaft, ein Hubschrauber kreiste. In Phoenix, Arizona, gerieten bewaffnete Trump- und Biden-Anhänger vor einem Gebäude, in dem Stimmen ausgezählt wurden, aneinander, es gab keine Verletzten. Noch. Denn Amerika ist gespaltener denn je, und beide Lager werfen einander vor, die Wahl stehlen zu wollen. Auch wenn die Versuche Trumps, die Auszählung der Stimmen juristisch zu stoppen, am Freitag nicht fruchteten.

Unterdessen berichtete CNN, dass Trump keine Anstalten mache, eine mögliche Wahlniederlage einzugestehen. Die Frage, wer dem Präsidenten die möglicherweise bittere Wahrheit beibringen sollte, sei offen. Verschiedene Quellen aus dem Weißen Haus würden die These unterstützen, dass Trump wirklich an Wahlbetrug glaubt und sich für den legitimen Sieger hält.

Wortloser Abgang?

Eine der wichtigsten Etappen einer US-Präsidentschaftswahl ist unter normalen Umständen, dass der unterlege Kandidat seine Niederlage freiwillig einräumt. Oft passiert das noch in der Wahlnacht in einer Rede vor Anhängern - der sogenannten "concession speech". Die Frage war, ob Trump zu einem derartigen Schritt in der Lage ist.

Immer wieder wird die Möglichkeit angeführt, dass Trump zuerst Unruhen schürt und dann die Nationalgarde zu Hilfe ruft und schließlich das Kriegsrecht ausruft. Dann könnte er im Weißen Haus bleiben. Der Trump-Kenner und Pulitzer-Preisträger David Cay Johnston sieht allerdings trotz der aufgeheizten Stimmung "null Risiko" für einen Bürgerkrieg.

Das Wahlkampfteam Bidens hat bereits die erzwungene Entfernung von Trump aus dem Weißen Haus ins Spiel gebracht. Man sei durchaus "in der Lage, Eindringlinge aus dem Weißen Haus zu eskortieren".