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Amerikanische Einsichten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Mit europäischen, wohlfahrtsstaatlich geeichten Augen lässt sich die US-Politik nicht verstehen. Da versucht mit Barack Obama ein glänzend aussehender, rhetorisch brillanter, jugendlich-dynamischer und noch dazu schwarzer Präsident sein Land quasi ein kleines bisschen zu "europäisieren" - und die Wähler danken es ihm mit einer schallenden Ohrfeige für seine Demokratische Partei und geben einer Truppe vermeintlich obskurer rechter Politagitatoren ihre Stimmen.


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Für solche Situationen bieten sich gemeinhin zwei Interpretationen an: Entweder die Wähler für dumm und überfordert zu erklären oder den politischen Gegner zu dämonisieren. Beides ist nicht nur wenig hilfreich, sondern vernebelt zusätzlich den Blick für eine nüchterne Situationsanalyse.

An deren Spitze sollte wohl die Erkenntnis stehen, dass es sich bei den USA um ein Land handelt, dessen Bürger politisch konservativ ticken. Grob übersetzt heißt das nichts anderes, als dass eine solide Mehrheit Forderungen nach weniger Staat, weniger Steuern und mehr persönlicher Freiheit bei gleichzeitiger Übernahme des daraus resultierenden Risikos unterstützt. In europäischen Augen haftet einer solchen Einstellung der Geruch des moralisch Unanständigen an, in den USA befindet man sich damit in der Mitte der Gesellschaft.

Die Republikaner samt Tea Party sollten dennoch nicht vorschnell den Sieg ans eigene Revers heften. Umfragen zeigen, dass Ideologie bei dieser Wahl keine beziehungsweise nur eine untergeordnete Rolle spielte. Alles drehte sich um die schlechte Wirtschaftslage und die Jobs, die an allen Ecken und Enden fehlen. So gesehen war das Votum ein Referendum gegen Obamas Agenda und weniger für die Republikaner. Und wie immer haben die parteiunabhängigen Wechselwähler der Mitte, die vor zwei Jahren noch Obama ihre Stimme gaben, den Ausschlag für die Niederlage gegeben.

Obama muss, will er 2012 wiedergewählt werden, sich neu erfinden und seine Politik wieder verstärkt an den Prioritäten einer Mehrheit der US-Bürger ausrichten - auch wenn ihm selbst (oder uns Europäern) das nicht besonders gefallen sollte. Ansonsten bleibt ein schwacher Gegenkandidat der Republikaner seine einzige Hoffnung.