Obwohl das amerikanische Pensionssystem mit Überschüssen von rund einer Billion Dollar noch weit von dem in Europa drohenden Kollaps entfernt ist, möchte Präsident Georg W. Bush die Bevölkerung dazu bringen, ein Drittel ihrer Renteneinzahlungen an der Wall Street anzulegen. Demokraten und Wirtschaftsforscher orten darin allerdings wenig Vorteile für die Betroffenen, sondern in erster Linie für die Wall Street.
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"Für mich ist die staatliche Pension im Moment das einzige Einkommen. Ohne den monatlichen Scheck müsste ich wieder arbeiten gehen", beschreibt die 69-jährige Vicky Owens ihre derzeitige Situation. Auch für die 21-jährige Studentin Cara Davis war die Invalidenrente, die ihr Vater nach einem Unfall erhielt, überlebensnotwendig für die vierköpfige Familie.
Beide Frauen gehörten zu den "Zeitzeugen", die die US-Demokratische Partei am 4. März zu einer Veranstaltung in New York eingeladen hatten, um als Fürsprecher für das staatliche Pensionssystem aufzutreten. Neben vier prominenten demokratischen Senatoren waren auch die einstige amerikanische First Lady, Hillary Clinton, und der ehemalige Präsidentschaftskandidat John Kerry gekommen, um ihre Sicht der Dinge über die aktuelle Diskussion ums US-Rentensystem darzustellen. "Bush verängstigt Amerika, indem er sagt, dass die Pensionen bald nicht mehr ausbezahlt werden können. Das ist nicht wahr", so Kerry. Und Senatorin Clinton philosophierte: "Es ist nicht nur ein Kampf um die Pensionen, sondern darum, wie das Land in Zukunft aussehen soll."
Am selben Tag tourte Präsident Bush durch New Jersey, den New Yorker Nachbarstaat, um seine Pensionsreform an den Mann zu bringen. Grundtenor: "Leute wir haben ein Problem. Das Sozialnetz hat Löcher."
Börse als Rentenvorsorge
Bush will sich in seiner zweiten Amtszeit innenpolitisch ganz der Reform des Pensionssystems (Social Security) widmen. In seiner "Rede zur Nation" Anfang Februar prognostizierte er, dass "mit 2042 das gesamte US-Pensionssystem funktionsunfähig und bankrott sein wird". Sein Vorschlag daher: Die US-Arbeiter sollen ab 2009 ein Drittel ihres Beitrags zur staatlichen Pensionskasse (derzeit 12,4 Prozent des Einkommens) an der Wall Street investieren - in festverzinsliche Wertpapiere und Aktien, steuerfrei und freiwillig. Er verspricht den US-Bürgern damit nicht nur eine höhere Pension im Alter, sondern auch die bevorstehende Pleite der Pensionskasse (aus der auch Hinterbliebenen- und Invalidenrenten bezahlt werden) abzuwenden.
Seit dieser Ankündigung herrscht große Aufruhr im Land, denn nicht alle wollen an die große Krise glauben. Selbst die einflussreichste Seniorenorganisation des Landes, die "American Association of Retired Persons" (AARP), die über 35 Millionen Mitglieder vertritt und die Bush im letzten Jahr bei der umstrittenen Gesundheitsreform (Medicare) den Rücken gestärkt hat, kontert Bushs Panikmache. Gemeinsam mit "MoveOn", einer Internet-Jugendorganisation, die sich in der US-Präsidentschaftswahl 2004 durch Wählermobilisierung einen Namen gemacht hat, startete AARP eine groß angelegte Kampagne gegen die Privatisierungspläne des Weißen Hauses.
Die Suche nach der Krise
Das US-amerikanische Pensionssystem ist, wie das österreichische, auf einem Generationenvertrag aufgebaut: Die heute Erwerbstätigen bezahlen durch ihre Versicherungsbeiträge die Renten für die gegenwärtig rund 47 Millionen Anspruchsberechtigten. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern decken die einbezahlten Beiträge der Arbeiter in den USA zur Zeit noch die Auszahlungen. Mehr noch, es besteht gegenwärtig sogar ein Überschuss im Pensionstopf ("Trust Fund") von sagenhaften 1,5 Billionen Dollar (2003).
Trotz der momentan guten Finanzlage glauben aber selbst unabhängige Experten, dass das jetzige System zumindest in ferner Zukunft einer Reform unterzogen werden muss. "Irgendwann wird man sicherlich die Beiträge zur Pensionsversicherung erhöhen und das Pensionsalter nach oben setzten müssen", prognostiziert etwa Dean Baker, Direktor des unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts "Center for Economic and Policy Research" in Washington DC. Als Gründe werden die rückgängigen Geburtenzahlen, die - wenn auch langsam - steigende Lebenserwartung der US-Bürger und die Tatsache genannt, dass die Baby-Boomer in die Jahre kommen.
Die Kritikpunkte
Die Hauptkritikpunkte der Opposition am Bush-Konzept: Keine festen Leistungszusagen mehr und bis zu 40 Prozent erwartete Einbußen für den Durchschnitts-Pensionisten. Da die amerikanische Sozialrente lediglich als Auffangnetz und nicht als Einkommensersatz (Amerikaner erhalten maximal 40 Prozent ihres ehemaligen Einkommens) gedacht ist, befürchtet man einen gravierenden Anstieg der Altersarmut.
Zudem wird kritisiert, dass durch den verringerten Geldfluss in den Pensionstopf das bereits bestehende US-Budgetdefizit explosionsartig ansteigen und die zukünftigen Finanzprobleme der Pensionskasse nicht gelöst werden. Nach Berechnungen des unabhängigen Wirtschaftsinstituts "Center on Budget and Policy Priorities" würde die Privatisierung eine zusätzliche Staatsverschuldung von 4.9 Billionen Dollar allein in den ersten zwanzig Jahren bringen. Die Umstellung des Systems und die Implementierung der geschätzten 150 Millionen Privatkonten (personal retirement accounts) würden die amerikanischen Steuerzahler mehr als zwei Billionen Dollar kosten.
"Lediglich die Wall Street könnte sich auf satte Gewinne freuen", meint dazu Nomi Prins, Finanzexpertin und ehemalige Topmanagerin von Firmen wie Goldman Sachs: "Ich kenne keine Investmentfirma, die gegen Bushs Idee wäre. In der Wall Street setzt man sich gemütlich zurück, wartet und freut sich."
Ob Bush seine Privatisierungspläne tatsächlich noch in diesem Jahr umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Obwohl die Mehrheit der Republikaner das staatliche Pensionssystem "besser früher als später", wie es etwa der US-Notenbankchef Alan Greenspan vor kurzem auf den Punkt brachte, umgestellt haben will, fürchtet man sich vor fallenden Sympathiewerten. Eine Februar-Umfrage der "New York Times" etwa zeigt, dass 63 Prozent der US-Bürger ihrem Präsidenten nicht wirklich zutrauen, das Pensionsproblem zu lösen. Zudem gibt es vordringlichere Aufgaben, denen sich Bush nach Meinung der Amerikaner widmen sollte: Jobs, dem maroden Gesundheitswesen und dem Irak-Krieg.