Zum Hauptinhalt springen

Amirpur, Katajun: Den Islam neu denken

Von Veronika Eschbacher

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Schon für die Gründungsväter des islamischen Reformismus im 19. Jahrhundert hatte die Rückständigkeit der islamischen Welt ihre Ursache ausschließlich in einem statischen, unflexiblen Islamverständnis und der blinden Nachahmung der Vorväter. Sie forderten eine moderne Interpretation des Korans, um herauszufinden, wie der Muslim gleichzeitig modern und authentisch sein kann.

Dass man den Koran auch anders lesen kann, wenn man dies nur möchte, ist der Grundtenor des Sachbuches, das sechs moderne muslimische Denker und Denkerinnen vorstellt, die sich mit einem zentralen Problem der modernen islamischen Theologie auseinandergesetzt haben: Wie ist mit bestimmten Aussagen des Korans umzugehen? Einige vorherrschende muslimische Positionen zu Toleranz, Recht, Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit sind mit den Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Die im Buch versammelten Reformdenker haben sich diesem Problem gestellt und zeigen neue Ansätze einer muslimischen Theologie auf.

Die Frauenrechtlerin Amina Wadud etwa stellt durch ihr intensives Studium der Koranaussagen fest, dass man, vor allem wenn es um Frauenrechte im Islam geht, gerne kulturelle Besonderheiten als koranische Botschaft ausgibt. Zudem wurde im Laufe der Geschichte der Koran nur von Männern interpretiert, Frauen und ihre Erfahrungen systematisch ausgeschlossen. Mit ihrer Koraninterpretation soll vor allem aufgezeigt werden, was Muslime durch solch einen Zugang verpassen.

Geht es nach dem Ägypter Nasr Abu Hamid Zaid, ist die starre Deutung des Glaubens ein Phänomen der Moderne: Früher sei man immer von einem Wandel der religiösen Erkenntnis ausgegangen. Die Behauptung, es gebe nur eine einzige gültige Koraninterpretation, ist für ihn geradezu heidnisch. Abu Zaid kritisiert zudem, dass die Tendenz dahin gehe, jenen kleinen Teil des Korans, der von juristischer Relevanz ist - die Scharia -, als dessen eigentliche Botschaft anzusehen. Dabei sei der Koran eine umfassende religiöse und spirituelle Verkündigung.

Gleichzeitig mit der Vorstellung der - wegen ihrer Ansichten oft verfolgten - Reformdenker und ihrer Methodologien werden auch Grundfragen des Islam betrachtet. Das Buch zeigt eindrucksvoll, dass der Islam heute über weit mehr moderne Facet-
ten verfügt, als es Islamisten und Islamkritikern wohl angenehm ist.

Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. C.H. Beck, 256 Seiten, 15,40 Euro.