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Amtshaftung für Sachverständige?

Von Stephanie Dirnbacher

Wirtschaft
Im Obsorgestreit liegen die Nerven der Beteiligten oft blank. Foto: bilderbox

Zunehmende Klagsbereitschaft der Parteien schreckt Gutachter ab. | Einheitliche Standards fehlen. | Wien.Es ist kein Job für schwache Nerven: Wer bei Obsorgestreitigkeiten als Gerichtsgutachter tätig ist, kann schnell ins Kreuzfeuer geraten. "Im Pflegschaftsverfahren - also im Obsorge- und Besuchsrechtsstreit - geht es für die Beteiligten um das Schicksal ihrer Kinder, da liegen die Nerven leicht blank. Deshalb werden kinderpsychologische Gerichtsgutachten besonders streng beurteilt, wobei ein Elternteil mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden ist", erzählt Rechtsanwältin Brigitte Birnbaum.


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Höhere Ansprüche

Während es früher kaum zu Schadenersatzklagen gegen Gutachter gekommen sei, habe die Bereitschaft zu klagen in den vergangenen Jahren zugenommen. "Die Rechtskonsumenten sind kritischer geworden. Haftungsklagen nehmen in allen Bereichen der Beratung zu", erläutert die Familienrechtsexpertin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Das steigende Risiko für Sachverständige, mit Schadenersatzansprüchen konfrontiert zu werden, sieht Birnbaum als ernst zu nehmendes Problem. Sie ortet darin den Hauptgrund für den Mangel an Gerichtssachverständigen im Pflegschaftsbereich. "Es ist derzeit ein Horror, überhaupt Gutachter für Obsorgestreitigkeiten zu finden. Aufgrund der drohenden Klagen wollen sich das viele nicht mehr antun."

Ähnlich sieht es auch Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht bei der österreichischen Richtervereinigung. "Sachverständige im Pflegschaftsbereich werden ziemlich angefeindet", weiß die Familienrichterin. Der wohl prominenteste Fall der jüngsten Zeit war der Beschuss des Wiener Kinder-und Jugendpsychiaters Max Friedrich aufgrund dessen Gutachtens in einem Missbrauchs-Prozess.

Zwar müssen Sachverständige eine Haftpflichtversicherung abschließen, die die Kosten im Klagsfall übernimmt. "Trotzdem schreckt das Risiko die meisten ab. Wenn man geklagt wird, muss man zu Gerichtsterminen, dann gibt es Über-Gutachten, die das ursprüngliche Gutachten beurteilen sollen", erzählt Täubel-Weinreich.

Während sich manche Psychologen und Psychiater daher erst gar nicht auf dieses Risiko einlassen, könnte die zunehmende Klagsbereitschaft bei Gutachten aber noch andere weitaus schlimmere Folgen nach sich ziehen. Immerhin könnten Sachverständige versucht sein, ihre Gutachten nicht mehr objektiv zu halten, sondern möglichst so zu formulieren, dass beide Seiten zufrieden sind. Sie könnten also - zu Lasten der Qualität der Gutachten - die Reduzierung des persönlichen Haftungsrisikos in den Vordergrund stellen.

Hoffnung auf Entlastung

Die ganze Haftungsproblematik der Sachverständigen im Pflegschaftsbereich beschäftigt derzeit auch eine Arbeitsgruppe, die beim Obersten Gerichtshof eingerichtet ist. "Es gibt die Idee, dass man für Gutachter im Pflegschaftsbereich, die von Gericht bestellt werden, eine Amtshaftung einführt", erzählt Täubel-Weinreich, die der Arbeitsgruppe angehört. Das würde bedeuten, dass von Amts wegen bestellte Gutachter, also nicht Privatgutachter, bei Haftungsfällen von der Finanzprokuratur vertreten werden, die eigentlich der Anwalt der Republik Österreich ist und sich zum Beispiel bei Klagen gegen Beamte einschaltet. Das Justizministerium steht dieser Idee aber "äußerst skeptisch" gegenüber.

"Eine Amtshaftung würde eine Entlastung bringen", meint hingegen die Psychologin Angelika Göttling, die im Raum Wien auch als Sachverständige tätig ist. Sie selbst wurde "Gott sei Dank" noch nie geklagt. Die Psychologin kann der zunehmenden Klagsbereitschaft aber auch etwas Gutes abgewinnen: "Die Klagsfreude leistet sicher einen Beitrag, um die eigene Qualität ständig zu hinterfragen."

Mit der Qualität der Sachverständigen ist Rechtsanwältin Birnbaum grundsätzlich zufrieden. Sie stört aber, dass es keine einheitlichen Standards gibt, nach denen Gutachten erstellt werden. "Es sollte klar sein, was der Gutachter machen muss, wenn er den Akt bekommt, wie der Prozess von der Übernahme des Gerichtsauftrags bis zur Ablieferung des Gutachtens abläuft. Außerdem sollte es Standards geben, wie der Gutachter mit den Parteien umgehen soll", fordert Birnbaum. Sie glaubt, dass einheitliche Standards auch helfen würden, Gutachten besser zu beurteilen. Gerade im psychologischen Bereich sei die Objektivierbarkeit schwierig.

Birnbaum bemängelt auch die Dauer der Gutachten. Von der Bestellung des Gutachters bis zur Ablieferung des Gutachtens würden oft Monate verstreichen.