Die USA kreuzen vermehrt im Schwarzen Meer - auch mit hochmodernen Aegis-Raketenabwehrsystemen.
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Korfu. Die "USS Vella Gulf", ein US-Navy-Lenkwaffenkreuzer der Aegis/Ticonderoga-Klasse, liegt vor der griechischen Insel Korfu vor Anker. Sie ist am Ende ihrer rund sechs Monate dauernden Tour, bald geht es für die 390 Besatzungsmitglieder zurück in den Heimathafen in Norfolk, Virginia. Das Kriegsschiff kreuzte zuvor vor der Küste Israels, dann im Schwarzen Meer bis vor Batumi, Georgien im Osten des Schwarzen Meeres. Erst vor wenigen Tagen navigierte der Aegis-Kreuzer durch den Bosporus ins Mittelmeer.
Die USA haben schon seit einiger Zeit die Präsenz ihrer Marine im Schwarzen Meer erhöht, und solange die Krise zwischen Russland und der Ukraine auf dem derzeitigen Gefahrenlevel bleibt, wird das wohl auch so bleiben. Wobei der US-Präsenz im Schwarzen Meer durch das 1936 geschlossene Meerengenabkommen von Montreux enge Grenzen gesetzt sind: Nach diesem Vertrag dürfen sich Kriegsschiffe von Staaten, die keine Schwarzmeeranrainer sind, höchsten 21 Tage im Schwarzen Meer aufhalten, ihre Gesamttonnage darf 30.000 Tonnen nicht übersteigen. Die Vella Gulf kommt auf 9600 Tonnen.
Die Präsenz des Kreuzers im Schwarzen Meer sandte aber wohl noch eine zusätzliche Botschaft an Moskau: Die "Vella Gulf" hat neben ihren Waffensystemen zur Bekämpfung von Schiffen, U-Booten, Boden- und Luftzielen noch eine weitere Besonderheit: Sie hat antiballistische Raketen an Bord, kann also beispielsweise Interkontinentalraketen vom Himmel holen.
Das Thema Raketenabwehr-Schirm - während der Amtszeit von US-Präsident Ronald Reagan als "Star Wars" bekannt - befand sich spätestens seit dem Amtsantritt von Barack Obama in der Mottenkiste. Denn das Programm wurde bereits zuvor aus finanziellen Gründen zurechtgestutzt, sodass es nicht zum Schutz vor einem groß angelegten Nuklearschlag einer Atom-Supermacht, sondern zur Abwehr von Nuklear-Raketen eines Gegners wie etwa Nordkorea oder Iran dient. Russland und China haben das US-Programm aber stets mit Argwohn beäugt, da sie für den Fall einer Ausweitung des amerikanischen ABM-Programms längerfristig um die Abschreckungswirkung ihrer Nuklearstreitkräfte fürchten mussten. Die Krise in der Ukraine macht "Star Wars" wieder zu einem aktuellen Thema.
Robert D. Katz, der Kapitän der "USS Vella Gulf", erklärt, wie man sich eine derartige Raketenabwehr vorstellen muss: "Ein Bad- Guy-Land schießt eine ballistische Rakete ab. Eine solche Rakete verlässt die Erdatmosphäre und fliegt mit ungeheurer Geschwindigkeit ihrem Ziel entgegen. Was wir nun tun, ist zu versuchen, diese Rakete mit unseren Anti-Raketen-Raketen vom Himmel zu holen. Aber dafür muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, denn unsere Abwehrraketen haben keine unbegrenzte Reichweite". Lieutenant Commander Jenna Raunig ist an Bord für Medienkontakte zuständig und führt durch das 173 Meter lange und 16,8 Meter breite Schiff. An Deck die Hinweistafel: "Danger! Stand clear of launcher deck area - Vom Raketenabschuss-Areal fernbleiben". Unter massiven Stahlklappen verbergen sich 48 Raketensilos. In diesen Silos sind die SM-3-Raketen untergebracht, von denen Kapitän Katz zuvor gesprochen hat.
Es gibt Abschussröhren zum Abfeuern von Marschflugkörpern, eine Bordkanone, Maschinenkanonen, Torpedoabschussvorrichtungen, Maschinengewehre und es sind sogar zwei Helikopter an Bord. Dazu ein Wald von Antennen, Radar, Satellitenkommunikation, Ortungseinrichtungen.
Der Blaue Raum: Herzstück des US-Kreuzers
Das eigentliche Herzstück des Schiffs ist der Gefechtsstand. Ein dunkler Raum, erleuchtet nur durch schwache, blaue Beleuchtung und das Glimmen der Monitore. In einer Ecke steht der Monitor des Bodenradars, wo sich das Bild kreisend ständig erneuert. Daneben eine Menge weiterer Kontroll-Panele mit bunten Knöpfen und Monitoren, die Bilder in psychodelischen Farben zeigen. Ein bestimmtes dieser Panele sei bitte nicht zu fotografieren, ein zweites ebenso wenig. Geheime Militärtechnik?
Die Besatzung simuliert das Abfangen einer Rakete: Auf den riesigen Bildschirmen sieht man die Umrisse der Inselgruppe von Hawaii - von dort geht der simulierte Angriff aus. Der Waffenoffizier erhält den Befehl zum Abfangen der Rakete. Wäre das keine Simulation, dann würden zu diesem Zeitpunkt Raketen aus dem Schiffsbauch in den Himmel schießen, die auf Kollisionskurs mit der angreifenden Rakete gelenkt und in der Nähe der anderen Rakete zur Explosion gebracht würden. In der Simulation gelingt der Abschuss der feindlichen Rakete, die Übung ist zu Ende. Kapitän Katz: "Ich vertraue unserem System voll und ganz. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass wir bei Übungen von 16 Raketenzielen 13 erfolgreich abschießen konnten." Wäre dieses System auch in der Lage, russische Raketen vom Himmel zu holen? "Ob diese Raketen von Russland oder einem anderen Land abgefeuert würden, spielt keine Rolle. Unsere Kapazitäten zur Raketenabwehr sind nicht länderspezifisch." Hat die Präsenz seines Schiffes im Schwarzen Meer etwas mit der Ukraine-Krise zu tun? Der Kapitän signalisiert, dass er ungern "strategische" Fragen beantwortet. So viel könne er aber sagen, meint er: "Das Schwarze Meer ist eine der Regionen, in denen wir tätig sind. Wir sind diesmal vor Rumänien, Bulgarien und Georgien gekreuzt."
Nächster Frage-Versuch: Sieht er, Katz, eine Bedrohung durch Russland? Kapitän Katz: "Ich glaube nicht, dass es eine spezifische Bedrohung durch Russland für die USA oder unsere Nato-Verbündeten gibt. Es gibt eben diese Krise zwischen Russland und der Ukraine, wir beobachten die Situation sehr genau." Werden Sie aufgrund der Situation nun öfters im Schwarzen Meer unterwegs sein? Kapitän Katz: "Wir sind im Schwarzen Meer unter Beachtung der Montreux-Konvention, die die Anzahl unserer Schiffe im Schwarzen Meer begrenzt. Ich glaube nicht, dass es Pläne gibt, das auszuweiten. Unser Kreuzer, die ,Vella Gulf‘, war während unserer Tour insgesamt drei Mal im Schwarzen Meer." Und die Bedeutung der strategischen Raketenabwehr? Ist die seit Ausbruch der Ukraine-Krise gestiegen? "Das hat damit nicht unbedigt etwas zu tun", meint Kapitän Katz, "ich denke, Raketenabwehr wird vor allem deshalb immer wichtiger, weil immer mehr Länder das technische Know-how zum Bau von Raketen haben. Und so, wie sich die Bedrohung verändert, muss sich auch die Antwort auf diese Bedrohung anpassen." Im Moment haben die Vereinigten Staaten 32 Schiffe, die über Raketenabwehrfähigkeit verfügen, im Einsatz. "Krisen gehen derzeit offenbar in Zyklen um die ganze Welt. Wer hätte als wir aus unserem Hafen ausliefen gedacht, dass die Situation im Schwarzen Meer im Sommer so sein wird, wie sie dann war. Die US-Marine geht eben dorthin, wo man uns sagt, dass wir hingehen sollen. Wir sind hochmobil, das ist das Spiel der Navy", sagt Kapitän Katz.
Turbo Dogs - der schwimmende Diner
Jedes fünfte Mitglied an Bord ist weiblich, Lieutenant Commander Jenna Raunig ist eine von ihnen, sie führt durch den Schiffsbauch. Der erste Stopp der Schiffstour ist ein original US-Diner mit der für einen Diner typischen Innenausstattung: Bierschilder, Fernsehschirme, Sitzbänke und Tische, als säße man in einem dieser typischen Restaurants mitten in den USA. "Turbo Dogs" steht auf den blauen Tischen. "Turbo Dogs" ist ein beliebtes Bier aus Pascagoula, Mississippi, wo die "USS Vella Gulf" gebaut wurde. Als Raunig durch den Diner führt, ist der Raum noch leer. Doch der Geruch aus der Küche weht schon herüber: Später gibt es am Buffet Essen. Auf weißen Schildchen ist aufgemalt, was zur Auswahl steht: Hühnchen, Kabeljau, Reis, Mais, Kartoffeln und Gemüse wird serviert. Auf den Schildern ist ein Feld für den Kalorien-Wert vorgesehen - doch der bleibt heute weiß. "Niemand geht hier hungrig weg", sagt Raunig.
Wer nicht picobello aufräumt, wird abgemahnt
An Deck plagen sich zwei Matrosen an einem Fitnessgerät und an einer Springschnur ab, irgendwo müssen die Kalorien ja auch wieder abgebaut werden, und junge Menschen - das Alter der meisten Matrosen ist um die 22 Jahre - strotzen nur so vor Energie.
Aus dem Lautsprecher tönt der sanfte Sound von "Come a little closer" des US-Country-Stars Dierks Bentley. Der Matrose Tyler Johnson versucht sich an Klimmzügen, eins, zwei, drei, vier, fünf, er verzieht kaum das Gesicht. Er trainiert jeden Tag zwei Stunden; wenn das Wetter schön ist, am liebsten an Deck, sagt er. Was er am meisten vermisst? Seine Frau, die Kinder und Autofahren. Autofahren? "Ja, Autofahren". Und was wird das Erste sein, das er tut, wenn er nach sechs Monaten wieder nach Hause kommt? "Meinen einjährigen Sohn halten und zu McDonalds gehen", sagt Johnson, der dann vorerst einmal einige Monate an Land bleiben wird.
Der nächste Stopp: die Unterkünfte der Matrosinnen. Ein winzig kleines Bett, das Adjektiv eng beschreibt die Wohnumgebung der jungen Schiffsbewohnerinnen nur unzureichend. Es ist hier wirklich, wirklich eng. Raunig erklärt, dass es daher genaue Regeln für das Zusammenleben an Bord gebe. Wer nicht picobello aufräumt, wird abgemahnt.
Doch warum geht jemand zur Navy, wo er sein Zuhause oft für sechs Monate am Stück nicht sieht und jede Nacht in einem Mini-Bett - kleiner als jede Schlafstelle in einem Kapsel-Hotel in Tokio oder Hongkong - schläft?
Petty Officer 2nd Class Arce aus Silver City, New Mexiko, hat eine Antwort auf die Frage parat. Der 30-Jährige ist bereits seit 12 Jahren bei der Navy und gibt die Standard-Antwort, mit der die Marine bei jungen Amerikanern um Nachwuchs wirbt: "Ich bin zur Marine gegangen, weil ich die Welt sehen wollte. Ich komme aus einem wirklich kleinen Nest und wollte in die große, weite Welt." Bei dieser Tour sei das auch wieder einmal der Fall gewesen, Istanbul sei interessant gewesen und zudem sei er noch nie im Schwarzen Meer gewesen. "Aber sonst war ich praktisch schon überall. In mehr Ländern, als ich aufzählen könnte, von Australien bis Brasilien. Ich war im Atlantik, im Pazifik, im Mittelmeer." Und was sind die schönsten Momente an Bord? "Ab und zu sehen wir Delfine, aber am tollsten sind die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge auf offener See."
Idylle mit schwerem MG Kaliber 12,7 mm
Doch die Idylle kann trügerisch sein: Am Bug des Schiffes steht Matrosin Jillian Howard an einem überschweren Maschinengewehr Kaliber 12,7 mm Wache. Seit dem Al-Kaida-Anschlag auf den Zerstörer "USS Cole" (DDG-67) im Hafen von Aden, Jemen, bei dem 17 US-Soldaten und zwei Terroristen ums Leben kamen, wurde der Wachdienst und die Abwehrmaßnahmen gegen hochmobile mögliche Angreifer vom Meer verstärkt. Die beiden Maschinengewehre am Bug sind nicht die einzigen, die mit scharfer Munition halb geladen sind. Die Matrosen müssten nur mehr die Munitionsgurte einlegen und durchladen.
Dieses Bild erinnert daran, welchen Zweck die "Vella Gulf" hat: die strategische Überlegenheit der USA zu demonstrieren. Es waren stets die Seemächte, die den Globus beherrscht haben: zuerst Großbritannien, in dessen Empire die Sonne nie unterging. Dass Deutschland seine Kriegsmarine hochrüstete und damit die Vormachtstellung Großbritanniens herausforderte, war einer der Gründe für die Spannungen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Krieg im Pazifik - Japan gegen die USA - war vor allem ein Krieg der Marine und der Marine-Infantristen. Der Name der "USS Vella Gulf" erinnert daran: In der Schlacht von Vella Gulf bei den Solomon Inseln östlich von Papua Neuguinea vernichteten in der Nacht von 6. auf den 7. August 1943 sechs US-Zerstörer vier japanische Zerstörer ohne eigene Verluste. Die Schlacht war ein Meilenstein im Inselhüpfen im Pazifik, bei dem Japan Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde.
Die Marine: wichtigstes Mittel zur Machtprojektion
Schon seit jeher denkt man bei der Marine in strategischen Zusammenhängen: Schiffe brauchen riesige Basen, das Marinebasis-Netzwerk ergibt im Zusammenhang mit den Schiffen der Marine den Schlüssel zur Herrschaft über die sieben Weltmeere. "Power Projection" - Machtprojektion - nennen die Strategen die Fähigkeit eines Staates, seine Interessen mit Androhung oder unter Anwendung von Gewalt auch weit entfernt von seinem eigenen Territorium durchzusetzen. Flugzeugträger oder eben Raketen-Kreuzer wie die "USS Vella Gulf" sind ein wichtiger Baustein dazu. Ohne Marine keine Weltmacht, keine Weltmacht ohne Marine.
Wenn die "USS Vella Gulf" im Schwarzen Meer kreuzt, dann heißt das nichts anderes als: "Obacht, wir, die USA, sind da" - und das im Vorgarten Russlands und der von Russland besetzten Krim mit seiner Schwarzmeer-Flottenbasis. Das Ringen zwischen Ost und West um die Ukraine hat eine starke geopolitische Komponente: Verliert Russland an Einfluss im Schwarzen Meer, dann ist seine Marine geschwächt. Angesichts der Kämpfe in der Ostukraine hat man beinahe vergessen, dass die erste Militäraktion Moskaus war, die Krim in Besitz zu nehmen und damit den Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol abzusichern.
Diese Geopolitik macht diesen Konflikt so gefährlich, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ist es mit der Aggression gegen die Ukraine jedenfalls gelungen, der Nato neues Leben - samt Retro-Kalte-Kriegs-Romantik - einzuhauchen.
"USS VeLLA Gulf"
Die "USS Vella Gulf" (CG-92) ist ein Lenkwaffenkreuzer der US-Navy. Sie gehört der Ticonderoga-Klasse an. Die Schiffe gelten aufgrund ihres Aegis-Kampfsystems, eines elektronischen Warn- und Feuerleitsystems, als eine der modernsten Kreuzer-Typen der Welt. Die Schiffe können Über- und Unterwasserziele, außerdem Luft- und Landziele angreifen und werden als Geleitschutz in jeder amerikanischen Kampfgruppe für Flugzeugträger eingesetzt. Die Planung für diese neue Klasse von Kriegsschiffen begann in den 1970er Jahren. Die Schiffe waren ursprünglich als Lenkwaffenzerstörer gedacht. Am 1. Jänner 1980 wurde die Kennung jedoch in CG (Lenkwaffenkreuzer) geändert. Dies geschah vor allem, da die Schiffe durch den Einbau von Aegis starke Luftverteidigungsfähigkeiten besaßen, womit sie den Aufgaben eines Zerstörers entwachsen waren. Die "Vella Gulf" wurde 1988 in Auftrag gegeben. Der Kreuzer lief 1992 vom Stapel, im Juli 1993 erfolgte die offizielle Indienststellung in die Flotte der US Navy. Aus der Adria startete der Kreuzer 1999 im Rahmen der "Operation Allied Force" Marschflugkörper gegen Landziele im damaligen Jugoslawien. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 kreuzte das Kriegsschiff an der Seite der "USS George Washington" (CVN-73) vor der Küste New Yorks. Im Rahmen der Operation "Iraqi Freedom" - dem Krieg gegen den Irak - kreuzte das US-Schiff im Persischen Golf. Im Februar 2009 verhinderte der Kreuzer einen Angriff somalischer Piraten auf Frachtschiffe und nahm insgesamt 16 mutmaßliche Piraten fest. Darüber hinaus nahm das Schiff mehrmals an der Übung "Baltops" teil - einem multidimensionalen Manöver, das seit 1971 jährlich in der Ostsee stattfindet und von der US Navy organisiert wird. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden auch Marinen der ehemaligen UdSSR dazu eingeladen. In der zweiten Jahreshälfte 2010 hielt sich der Kreuzer im Rahmen der "National Missile Defense", des Raketenabwehrprogramms der Nato, im Mittelmeer auf. (leg)