Zum Hauptinhalt springen

An der schönen braunen Dender

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

Aalster Stadtregierung hat Angst vor frankophoner Unterwanderung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel. Etwas Hemmungsloses scheint in dieser Stadt zu wohnen. Da gibt es den Karneval, der dieser Tage zehntausende Promillefixierte anlockt. Eine ehemalige christdemokratische Bürgermeisterin, die einst im Urlaub Sex auf einem Turm hatte und dabei von anderen Touristen gefilmt wurde. Und nun ihre Nachfolger im Stadthaus, die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA). Im Oktober gewann sie die Kommunalwahlen mit einer Agenda voll flämisch- nationalistischen Furors.

Weil das Städtchen Aalst, 30 Kilometer westlich von Brüssel gelegen, mit "einem Zustrom Anderssprachiger konfrontiert" werde, fordert die N-VA ein "Flämisches Manifest". Ziel: die "bedrohte soziale Kohärenz mithilfe gemeinschaftsverstärkenden Maßnahmen zu schützen". In Gemeindeeinrichtungen soll nur noch niederländisch gesprochen werden, und die alteingesessene Bevölkerung wird angehalten, mit Immigranten in keiner andere Sprache mehr zu parlieren. Beim lokalen Einzelhandel will man für flämische Geschäftsnamen werben, den Bewohnern "Festfahnen" schenken und neue Straßenschilder anbringen, auf denen der flämische Löwe prangt.

Auf den ersten Blick gibt es viel zu tun für die N-VA, die seit Anfang Jänner mit Bürgermeister Christoph d’Haese und vier der neun Dezernenten im Stadthaus sitzt. Dem Besucher springt sogleich das "New Hotel" ins Auge, und die Bars um die Großbaustelle am Bahnhofsvorplatz tragen ebenfalls fremdsprachige Namen. "New Atlanta", "Brussels City" und - womöglich das erste Zeichen frankophoner Expansion - "Déjà-vu".

Dort hat man jedoch noch nichts davon gehört hat, dass der Name im Rathaus nicht goutiert werde. Die Wirtin glaubt nicht, dass sie zur Umbenennung angehalten wird, ebenso wenig das ältere Paar, das nach Landessitte einen flüssigen Nachmittagsimbiss zu sich nimmt. "Sie sind auf der falschen Spur", versichert der Mann treuherzig. "Hier passiert so etwas nicht." Die Wirtin grinst, als sie anfügt: "Noch nicht."

In belgischen Medien ist das 80.000 Einwohnerstädtchen zum Symbol für den Aufstieg der Nationalisten geworden. Ein fragwürdiger Ruf - und Mia De Brouwer, eine der frisch vereidigten N-VA- Dezernentinnen, will ihn aufpolieren, denn zum Portfolio der zuvorkommenden älteren Dame gehört Tourismus. Niemand, beruhigt sie, werde aufgefordert, seinen Geschäftsnamen zu ändern. Und die flämischen Löwen auf den Straßenschildern? Das werde nach dem Erdrutschsieg ihrer Partei hochgespielt. Höchstens einen Preis werde es geben, "für den Betrieb mit dem schönsten flämischen Namen".

"Behalten euch im Auge"

Was aber will die N-VA dann? "Dass unsere Stadt nicht verfranzt. Weil wir nah an Brüssel liegen, ziehen viele Frankophone zu." Die Flamen hätten sich früher immer an die Frankophonen angepasst, die Belgien bis nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten. Nun sollten "andere sich uns anpassen". Für Mia De Brouwer geht es demnach um Selbstverteidigung: "Wir wollen nur unsere flämischen Wurzeln beschützen." Eigentlich, meint sie, liegt all das Aufheben nur am "Namen eines unserer Dezernenten". Und dieser Name hat es in sich: Karim Van Overmeire, in Aalst nun zuständig für "Einbürgerung und flämische Angelegenheiten", streifte als junger Mann an den rechtsextremen Rändern der flämischen Bewegung herum. Danach prägte er 20 Jahre die ideologische Ausrichtung von Vlaams Blok sowie - nach dessen Verbot als rassistischer Partei - der Nachfolgerin Vlaams Belang. 2010 trat er dort aus und ein Jahr später der deutlich gemäßigteren N-VA bei, die den Vlaams Belang als größte nationalistische Partei abgelöst hat.

Die Personalie Van Overmeire führte dazu, es die N-VA in Aalst nun gleich zwei Mal gibt. Nach der Wahl gründete sich ein progressives Bündnis namens Noig Verontruste Aalstenaars, was "ziemlich besorgte Aalster" bedeutet. Erstmals in Erscheinung traten sie bei der Vereidigung des Stadtrats. "Wir behalten Euch im Auge", kündigten sie an. Das bedeutet, bei jeder Ratssitzung anwesend zu sein und gegebenenfalls Protestaktionen zu starten. Sprecher Johan Dumortier, Regio - Sekretär der Angestelltengewerkschaft BBTK, erläutert: "Wir fürchten, dass Aalst zum Laboratorium für ultranationalistische Konzepte wird."

Ohnehin sieht Dumortier die Probleme eher im größeren Rahmen. Zu Hochzeiten des Vlaams Blok vereinbarten die anderen Parteien einen cordon sanitaire: Auf keiner Ebene sollte mit den Rechtsextremen kooperiert werden. Set dem Herbst nun wird er mehrfach aufgeweicht, und zwar just in der Gegend um Aalst. Johan Dumortier zählt mehrere Beispiele auf, in denen sich neue Stadtregierungen auf die Stimmen von Vlaams-Belang-Delegierten stützen. "Die Probleme ziehen sich am Fluss Dender entlang. Wir nennen sie daher auch die braune Dender."

Die N-VA hat sich zwar deutlich vom Vlaams Belang distanziert, aber in den vergangenen Jahren rund 40 seiner früheren Mitglieder aufgenommen. Ob diese dem alten Gedankengut abgeschworen haben, wird in Belgien zurzeit diskutiert. Wenig Zweifel gibt es an der Gesinnung anderer Kräfte. Unlängst bekam eine linke Aalster Gruppierung nach ihrem abendlichen Treffen Besuch. Die Männern stellten sich als Vlaams-
Belang-Mitglieder aus der Nähe von Brüssel vor. Sie bedrohten die Linken, zeigten den Hitler-Gruß und verließen den Laden, das Horst-Wessel-Lied singend.