Viele Stunden beim AMS-Kurs seien einfach fad, meint eine Teilnehmerin.
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Wien. Schlechte Nachrichten am Westbahnhof um halb acht in der Früh: Verkehrsbedingt kommt es zu Verspätungen. Die Menschenmenge wird langsam nervös. Niemand will zu spät zur Arbeit kommen, auch nicht Frau Celik (Name von der Redaktion geändert), die aber nicht zu ihrer Arbeitsstelle fährt, sondern zu einem vom Arbeitsmarktservice (AMS) vermittelten Kurs. Auch Arbeitslose müssen pünktlich sein.
Nach ihrem Umzug war Frau Celik drei Monate lang arbeitslos. Von Jobsuche und zahlreichen Absagen erschöpft, unterzeichnete sie vor einem Monat hoffnungsvoll einen Vertrag, der ihr vom AMS-Betreuer empfohlen wurde. Seit diesem Wechsel von den rund 323.00 Arbeitslosen zu den mehr als 62.400 Personen in Schulung bekommt sie ein Gehalt von einem externen Unternehmen, das im Auftrag des AMS Arbeitslose mit einem Ausbildungsprogramm unterstützt. Täglich sechs Stunden nimmt der AMS-Kurs in Anspruch. Frau Celik unterzeichnet wie die anderen Kursteilnehmer zwei Mal am Tag eine Anwesenheitsliste. "Ich muss beweisen, dass ich hier bin und am Seminar teilnehme", sagt sie. Ihr Lächeln verrät, dass die 40-jährige diese Anwesenheitskontrollen als kindisch für ihr Alter empfindet. In den Klassen sitzen in Sesselkreisen Frauen mit Kopftüchern neben Punks mit grün gefärbten Iro-Frisuren.
Jede Woche schickt Frau Celik mindestens eine Bewerbung ab: "Ich hoffe, dass ich hier an eine gute Firma vermittelt werde. Deswegen will ich einen guten Eindruck hinterlassen", sagt sie. Das Ergebnis der Bewerbungen trägt sie in eine Liste ein, die von ihrem Trainer begutachtet wird. Wer sich bei der Jobsuche keine Mühe gibt, wird an das AMS zurückgeschickt. Doch die meiste Zeit verbringt Frau Celik wie die anderen Kursteilnehmer im Computerraum. Generell folgen auf zwei Stunden Seminar mit den Trainern vier Stunden freies Arbeiten. An manchen Tagen verbringen die Arbeitslosen den ganzen Tag im Computerraum. Eigentlich sollen die Teilnehmer in dieser Zeit nach freien Stellen suchen und Bewerbungen abschicken. Hier wird vieles gemacht, aber die wenigsten schreiben Bewerbungen. Es herrscht vor allem Langeweile, erzählt Celik.
Herumsurfen im Internet
Auf ihren Bildschirmen verfolgen die Teilnehmer ihre Lieblingssoaps, schauen sich Nachrichten an oder spielen Browserspiele. Wenn Frau Celik durch den Computerraum geht, sieht sie die Menschen auf unterschiedlichsten Seiten surfen: Männer, die sich mit Bildern von Fotomodels motivieren lassen, oder Frauen, die in Kochblogs für das Abendessen surfen. Besonders beliebte Seiten wie YouTube sind gesperrt. Die Drucker werden verwendet, um neu entdeckte Rezepte auszudrucken, sagt Frau Celik.
Ab und zu überprüfen die Trainer, ob in den Computerräumen gearbeitet wird. Einmal war jemand vom AMS zwecks Evaluierung zu Besuch. Zusätzlich überprüft das AMS die Kurse mit unangemeldeten Kontrollen. Bei mehr als 130.000 Personen, die jedes Jahr an Schulungen teilnehmen, ist das nicht einfach. Man wolle das Personal aufstocken, heißt es von Seiten des AMS.
In den Räumen sitzen hunderte Jobsuchende an den PCs. Da das Unternehmen mit der steigenden Zahl der Kursteilnehmer nicht klarkommt, wurden zusätzlich einige Dutzend Notebooks angeschafft. Die Computer sind alle an das gleiche Netz angebunden. Wenn zu viele Leute mit Online-Spielen ihre Zeit verbringen, verringert sich die Geschwindigkeit des Internets im ganzen Gebäude. "Einmal hat ein Trainer mit den Leuten im PC-Raum geschimpft, weil das Internet zu langsam wurde", erinnert sich Frau Celik.
Celik bewertet ihre Zeit im Kurs mit gemischten Gefühlen. "Es ist besser hier zu sein, als zu Hause zu sitzen. Man ist auch viel disziplinierter bei der Arbeitssuche", sagt sie. Aber auch sie habe sich gelangweilt. Die Durchsicht aller Inserate dauere maximal zwei Stunden. In der restlichen Zeit hat sie - wie die Anderen - gespielt und Musik gehört. Wichtiger als das Bewerbungstraining ist für sie der Erfahrungsaustausch mit anderen Frauen in der gleichen Lage gewesen, erzählt Celik. Viele waren bereits zuvor arbeitslos oder hatten ähnliche Kurse besucht. Frau Celik hat sich mehr erhofft, als sie den Vertrag unterschrieben hat. Bis auf ein enttäuschendes Praktikum, das nicht ihren Qualifikationen entsprach, gab es vom Betreuungsunternehmen keine ernsten Vermittlungsversuche.
Kontrollen ausreichend?
Es sei natürlich nicht Sinn und Zweck der Kurse, gelangweilt vor dem Computer zu sitzen, erklärt AMS-Wien-Sprecher Sebastian Paulick: "So soll das nicht sein." Die Ergebnisse der regelmäßigen Kurs-Kontrollen seien aber grundsätzlich nicht schlecht - andernfalls werde das Angebot sofort geändert. Da es auch klare Richtlinien für Trainer gebe, glaubt Paulick nicht an ein Strukturproblem.
Andere AMS-Kunden berichten, für die von AMS-Betreuern zugewiesenen Kurse überqualifiziert zu sein. Eine auf Arbeitssuche befindliche Werbetexterin etwa empfindet ihren Kurs, der sie im Verfassen von Bewerbungen unterweist, schlicht als zeitraubend. Während ihrer Tätigkeit im Marketing-Bereich hat sie regelmäßig Texte verfasst - ob Anzeigen, Folder, Websites, Social Media oder Konzepte. Sie verbringe ohnehin bereits viele Stunden pro Tag mit der Suche nach Jobausschreibungen, verschicke gleich mehrere Bewerbungen pro Woche - obwohl das AMS nur eine Bewerbung pro Woche vorschreibt - und gehe regelmäßig zu Bewerbungsgesprächen, berichtet sie. Ein Kurs, der sie im Formulieren von Bewerbungen unterweist, behindere sie zeitlich eher in ihrer Suche nach einer Anstellung. Trotz ihrer Bitte um andere, ihrer Ausbildung entsprechende Kurse hält ihr AMS-Betreuer den Kursbesuch weiterhin für nötig.
Überrascht über diesen Vorfall ist Sebastian Paulick: Kunden könnten am Bildungsmarkt nach geeigneten Kursen suchen, für die das AMS die Kosten übernehme. Für Bewerbungstrainings werde man zugeteilt, wenn die Jobsuche schon Monatelang erfolglos verlaufen sei. Paulick verweist auf eine kürzlich von der Synthesis Forschung an 53.230 AMS-Kunden durchgeführte Studie. Ergebnis: Speziell weibliche Kundinnen konnten von AMS-Maßnahmen profitieren. Frauen, die 2009 an einer Schulung teilgenommen haben, konnten ihr Jahresbeschäftigungseinkommen von 2008 auf 2010 um 1174 auf 7117 Euro und ihre Beschäftigungsdauer um 27 auf 212 Tage erhöhen, während dasFrauen ohne Schulung einen Einkommensrückgang von 1427 Euro sowie einen Beschäftigungsrückgang von 31 Tagen hinnehmen mussten.
Frau Celik wird ihren Kurs nach dem ersten Monat weiter besuchen dürfen, weil sie zu denjenigen Teilnehmern gehört, die genug Bewerbungen abgeschickt haben. Sie werde sich im Computerraum langweilen und Bewerbungen abschicken, meint sie, Das sei besser als Zuhause zu sitzen, aber viel lieber hätte sie wieder eine echte Arbeit.