Der Präsidentschaftswahlkampf im Iran tritt in die Endphase. Vor allem junge Menschen, die den Hauptteil der Wahlberechtigten ausmachen, blicken dem Urnengang skeptisch entgegen. Khatamis Nachfolger wird es schwer haben, die Massen für sich zu begeistern. Welche Stimmung kurz vor der Wahl herrscht, zeigt eine Reportage aus der Hauptstadt Teheran.
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Es ist kurz nach 14 Uhr und Atousa (28) drängt sich durch die Menschenmassen im "Meydan Vanak", einem der meistfrequentierten Plätze Teherans. Überall hängt Wahlwerbung. Ein junger Mann will Atousa ein Flugblatt in die Hand drücken, doch sie geht weiter. "Was soll das bringen? Es ist gleichgültig, wer gewählt wird", bringt die Medizinstudentin ihren Unmut zum Ausdruck. "Können Sie sich erinnern damals, was haben wir doch alle für Erwartungen in Khatami gehabt? Was hat er für uns gemacht? Nichts".
Atousa spricht vielen aus der Seele. Überall beherrscht Enttäuschung und Skepsis die Gespräche über die Präsidentschaftswahlen am Freitag kommender Woche. Der Kampf der iranischen Jugendlichen und jungen Frauen für ihre Rechte ist genauso alt wie die islamische Revolution Ayatollah Khomeinis 1979.
"Ohne uns können die gar nichts machen, denn wir waren es ja, die Khatami 1997 zur Macht verholfen haben", bringt es Amir, 29, auf den Punkt. Tatsächlich wären die Siege des jetzigen Präsidenten Mohammad Khatami ohne die klare Unterstützung der Jugendlichen und Frauen bei den Wahlen 1997 und 2001 undenkbar gewesen.
Enttäuschte Hoffnungen
Als Khatami an die Macht kam, versprach er, auf die Nöte und Bedürfnisse der Jugendlichen und Frauen mehr Rücksicht zu nehmen und sich für ihre Rechte im Iran stark zu machen. Zwar gab es in seiner ersten Amtszeit einige kleine Fortschritte (Suchtgift-Aufklärung für die Jugend, Zulassung von 2000 Nichtregierungsorganisationen und Frauenverbänden), doch nach 2001 konnte auch der reformorientierte Khatami nicht verhindern, dass die Reformbewegung stark geschwächt wurde. Liberalere Tageszeitungen wurden verboten, Journalisten und politische Aktivisten verhaftet, oppositionelle Studenten, die Khatami unterstützt hatten, vom Studium suspendiert. Der Ausschluss der Reformer von den Parlamentswahlen im Jahr 2004 war der nächste Rückschlag. Diese Ereignisse sind der Jugend in Teheran noch sehr gut in Erinnerung.
Mandana, eine Jusstudentin aus dem Stadtteil Jordan, ist davon überzeugt, dass die Konservativen nicht in der Lage sind, die Jugend zu stoppen: "Wir sind ja nicht dumm. Die glauben, wir lassen uns das bieten. Ich gehe nicht wählen, denn es sind ja keine freien Wahlen". Mandana folgt dem Beispiel vieler Intellektueller, Journalisten und Frauenrechtlerinnen, die offen zum Boykott der Wahlen aufrufen und selbst nicht wählen gehen.
Hoffnung Rafsandjani
Der 24-jährige Sirous wird seine Stimme dem ehemaligen Präsidenten Akbar Hashemi-Rafsandjani geben: "Sehen Sie, natürlich weiß ich, dass er nicht besonders beliebt ist und dass viele ihm vorwerfen, korrupt zu sein, doch wenn jemand unsere Probleme lösen und den Iran ohne Krieg aus dem Atomstreit bringen kann, dann er", ist Sirous überzeugt. Auch andere junge Menschen bekleben Autos mit Abbildungen des ehemaligen Präsidenten. "Alle halten ihn für einen guten Taktiker. Er ist auch die Balancefigur zwischen der Bevölkerung und dem konservativen Wächterrat. Rafsandjani ist im Moment unsere einzige Hoffnung", erklärt der Arbeitslose.
Der jungen Bevölkerung ist viel versprochen worden im Iran. Nur ein Bruchteil wurde umgesetzt. Bedenkt man, dass fast 70 Prozent der Iraner jünger als 35 Jahre sind, wird klar, dass der nächste Staatspräsident die Jugend und ihre Forderungen nach tiefgreifendem Wandel nicht mehr einfach übergehen kann.