Die US-Republikaner hätten sich nichts Besseres wünschen können, als die negative - und teilweise an den Haaren herbeigezogene - Propaganda gegen ihre Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin. Dadurch drehte sich das nächtliche Rededuell mit ihrem demokratischen Konkurrenten, Joe Biden, ausschließlich um die Gouverneurin aus Alaska: Wie sie sich schlagen würde, ob sie Fehler machen würde, ob sie stark genug sei, um gegen ihr erfahrenes 65-jähriges Gegenüber zu bestehen. Der Fokus war ganz auf die 44-Jährige gerichtet und das, obwohl sie im Vergleich zu Biden ein politisches Leichtgewicht ist. | Die negativen Schlagzeilen, die Palin im Vorfeld des TV-Duells machte, hatten noch einen weiteren Vorteil: Die Gouverneurin konnte relativ einfach brillieren, da sie lediglich niedrige Erwartungshaltungen zu übertreffen hatte. Schwerer tat sich da schon Joe Biden, von dem Souveränität als selbstverständlich erwartet wurde.
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So fielen die Schnitzer, die sich Palin bei dem Rededuell leistete, nicht weiter auf oder ins Gewicht. Obwohl sie ihrer politischen Unerfahrenheit Tribut zollen musste: Sie kam immer wieder ins Stottern (obwohl sie ihren Text großteils ablas); sie ignorierte unangenehme Fragen beharrlich; sie verwechselte den Truppenkommandanten in Afghanistan McKiernan mit Ex-Bush-Pressesprecher McClellan.
Palin verstärkte in dem Duell sogar noch gezielt ihre Rolle als Außenseiterin. Wie das nette Mädchen von nebenan fragte sie Biden zu Beginn der Fernsehübertragung, ob sie ihn Joe nennen dürfe. Dann, als ihr eine Frage zu brenzlig wurde, stellte sie sich als die Arme dar, die von Moderatorin wie Konkurrenten zu Unrecht gepiesackt wird.
Vielleicht hat Biden diese Haltung geahnt, vielleicht ist er improvisierend darauf eingegangen. Jedenfalls hat er von der scharfen, aggressiven Art Abstand genommen haben, für die er sonst so berühmt ist, um die Mitleidsgefühle für Palin nicht noch zu schüren.
Im Gegenzug konnte die Gouverneurin mit Bissigkeit und fast schon bösartigen Sticheleien sehr wohl punkten. Ihr Gegner konnte da meist nur mit einem aufgesetzt wirkenden Grinsen reagieren. Nach einem lauen Start wurde Palin mit jedem Treffer, den sie gegen Biden landete, sicherer.
Insgesamt - so waren sich fast alle Medien einig - hat sich Palin überraschend gut geschlagen. Damit hat der Running-mate von Präsidentschaftskandidat John McCain genau rechtzeitig funktioniert. Denn dessen Popularität war nach einem kurzen Hoch zuletzt wieder im Abnehmen. Der gute Auftritt seiner Partnerin könnte diesem Trend nun entgegenwirken.
Auch nach dem Duell stand Palin weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen. Journalisten, Politiker und Politologen analysierten, wie sie es doch noch geschafft hatte zu reüssieren. Alles konzentrierte sich auf die Leistung Palins und das, obwohl 51 Prozent der Amerikaner den Umfragen zufolge Biden als Gewinner sahen. Doch um diesen Titel dürfte es Palin von Haus aus gar nicht gegangen sein. Viel wichtiger war für sie eine zweite Umfrage, derzufolge 54 Prozent der Zuseher sie sympathischer fanden.
Damit dürfte der schwerste Teil von Palins Arbeit vorerst erledigt sein. Denn einerseits ist kein weiteres Vize-Duell geplant, andererseits spielen die Running-mates in der Schlussphase des Wahlkampfs keine Rolle mehr.
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