Durch den erwarteten Tod von Palästinenserpräsident Yasser Arafat wird Israels Regierungschef Ariel Sharon nicht nur seinen Erzfeind verlieren. Arafat ist auch ein bequemer Gegner gewesen. Er war einfach abzulehnen, und mit seinen Nachfolgern wird es sehr viel härter werden.
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Wer auch immer dem Palästinenserpräsidenten folgen wird - Sharon wird sich nicht länger hinter dem Argument verstecken können, dass er keinen palästinensischen Gesprächspartner habe. Ob dies allerdings eine neue Chance für den festgefahrenen Nahost-Friedensprozess bedeutet, bezweifeln Experten.
Die israelische Regierung hatte Arafat seit fast drei Jahren mit einem de-facto-Hausarrest in seinem Hauptquartier in Ramallah eingesperrt. Mehrfach drohte sie ihm mit Verbannung. Tränen vergießen wird in Israel wohl kaum jemand, wenn der als "Terrorist" gebrandmarkte 75-Jährige stirbt. Doch für Sharon wird sich der Druck erhöhen. Er hatte immer betont, eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses sei nur ohne den greisen Palästinenserführer möglich. Nach Arafats Tod wird Sharon sich kaum gegen die internationalen Forderungen sperren können, mit den Nachfolgern des Palästinenserführers in Verhandlungen zu treten, so die Analysten.
Davon könnte vor allem Sharons Plan für den Rückzug aus dem Gazastreifen betroffen sein. Bisher hatte Sharon stets betont, das Vorhaben könne nur einseitig erfolgen, weil es auf Seiten der Palästinenser keinen Ansprechpartner gebe. Dieses Argument wird beim Tod Arafats nun null und nichtig. Ohnehin hatte Sharons Berater Dov Weissglass jüngst enthüllt, welchen Zweck der geplante Abzug aus Gaza und vier Siedlungen im Westjordanland in Wahrheit erfüllen solle - nämlich den Friedensplan für den Nahen Osten auf Eis zu legen und so die darin vorgesehene Schaffung eines Palästinenserstaates zu verzögern. Israel will, wie es gestern anklingen ließ, lediglich neue humanitäre und wirtschaftliche "Gesten" setzen.
Dass nach dem Tod Arafats generell neue Seiten in den israelisch-palästinensischen Beziehungen aufgezogen werden könnten, halten Beobachter derweil für unwahrscheinlich. Israels Position wird sich nicht grundlegend ändern. Auch ein neuer Palästinenserführer wird anti-israelische Angriffe radikaler Palästinenser nicht verhindern können. Und solche Anschläge wird Sharon als neue Entschuldigung zu nutzen versuchen, nicht mit den Palästinensern zu verhandeln - so, wie er dies bereits mit Arafat praktiziert hatte. AFP