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Analyse: Kampf um die politische Priorität in Ungarn

Von Eugen-Géza Pogány

Politik

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Péter Medgyessy ist der erste ungarische Regierungschef, der sich nicht dem zentral-, sondern dem westeuropäischen Kulturkreis hingezogen fühlt: Er wuchs in Siebenbürgen auf, wo das Romanische vorherrschte. Und so ist nicht zu verwundern, dass er wie einst ein französischer Herrscher dem Gedankengut "L'état c'est moi" nacheifert. Die von ihm geleitete Regierung, und nicht jene politische Kraft, die ihn als Wahlmotor nominiert hatte, soll - so fordert Medgyessy - den politischen Kurs bestimmen. Daher gibt es zwischen den Ministern der von ihm angeführten sozial-liberalen Koalitionsregierung und den Partnerparteien um die Führungsrolle im Staate einen Machtkampf. Dieser konnte auch beim am vergangenen Wochenende abgehaltenen Parteitag der MSZP (Ungarische Sozialistische Partei) nicht geglättet werden. Dieser Kongress brachte nur Routine: Die versprochene Verjüngung der Führungscrew blieb Kosmetik und auch die angepeilte sozial-demokratische Richtlinie der Partei in den Anfängen stecken. Die seit der Wende vor 13 Jahren noch immer von Kaderkräften des gemäßigten kommunistischen Kádár-Regimes angeführte Partei hat nach 1989 wohl die neue demokratische Linie verkündet, aber nicht rigoros befolgt und ist noch immer auf der Suche nach einer Persönlichkeit von überragenden europäischen Qualitäten, der dem Tribun der Rechten, Medgyessy-Vorgänger Viktor Orbán, Paroli bieten könnte.

Der jetzige Premier ist als Wirtschaftsfachmann anerkannt, aber in der Partei nicht verankert. Die "alten Kämpfer" in der MSZP haben vor den Wahlen 2002 den reichen Banker Medgyessy - da sich keine andere Führungspersönlichkeit anbot, als Kompromisskandidaten der drei Partei-Fraktion gegen Orbán in den Kampf geschickt. Obwohl er - überraschend - den Rechtspopulisten Orbán übertrumpfen konnte, blieb Medgyessy innerhalb des Linken Lagers ein Fremdkörper. Er hat nämlich nach der Wende seiner sozialistischen politischen Heimat Ade gesagt und blieb bis heute Nicht-Parteimitglied. Seine vor der Realität diktierten Maßnahmen befolgen keine "sozialistische" Linie und werden daher von der Parteibasis argwöhnisch betrachtet. Da er aber jetzt sogar die Regierung über die Partei stellen möchte, ist Feuer am Dach.

Die Differenzen zwischen der größeren (Sozialisten) und der kleineren Regierungspartei, den "Freien Demokraten" (SZDSZ) sind vor allem in der Außenpolitik sichtbar geworden und halten weiter an. Ohne andere politische Gremien zu konsultieren hat Péter Medgyessy den Pro-Bush-Brief in der Irak-Frage der "Acht" unterzeichnet und damit seinen Außenminister (und wiedergewählten Sozialisten-Chef) László Kovács in eine peinliche Situation gebracht. Dieser in Moskau erzogene Diplomat mit Fingerspitzengefühl hat überaus geschickt bis dato nur die Vorteile, die sich aus der NATO-Mitgliedschaft für Ungarn ergaben, genützt, aber das Land vor den Pflichten weitestgehend durch diplomatische Tricks fern zu halten verstanden. Ungarn hat gezögert, dem US-Verbündeten die Überflugsrechte Richtung Bagdad zuzugestehen; hat klipp und klar Washington zu verstehen gegeben, dass es keine wie immer geartete militärische Hilfe im Kampf gegen Saddam zu stellen bereit sein wird und hat auch die Bitte, die diplomatischen Vertreter Iraks des Landes zu verweisen, negiert.

Die Position des Regierungschefs ist auch innerhalb des Kabinetts erschüttert: Sein engster Mitarbeiter, Kabinettchef Elemér Kiss musste - nachdem er in eine Korruptionsaffäre verwickelt wurde - seinen Hut nehmen und auch der Staatssekretär für Kirchenfragen - ebenfalls ein persönlicher Günstling - wurde "gegangen".

Nachdem sich der Premier mit der Arbeit einer Reihe seiner Kabinettsmitglieder öffentlich unzufrieden zeigte, dürfte eine größere Regierungsumbildung in Vorbereitung sein. Als sicher gilt die Ablöse von Kultusminister Gábor Görgey, auch Sportminister György Jánosi scheint auf der Ablöseliste zu stehen, weiter gelten zwei vom Koalitionspartner gestellte Minister als "gefährdet".

Die letzten Meinungsumfragen zeigen, dass die Wähler, die sich vor einem Jahr von der Linken einiges erhofft hatten, ihre damalige Entscheidung bereits zu bereuen scheinen: Kein gutes Omen vor der Abstimmung über den Beitritt zu EU am 12. April. Die Zustimmung wird an das Slowenien-Votum nicht herankommen, über 70 Prozent der Wahlberechtigten lehnen die Pro-Bush-Aussage in der Irak-Frage des Regierungschefs empört ab und die Sozialisten als Partei haben seit Dezember fast 6 Prozent an Popularität verloren. Aber diese warnenden Anzeichen von Problemen wurden von den SP-Parteitag-Delegierten nicht zur Rede gebracht . . .