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Analyse: Mit Wahlurne in zivilere Zukunft

Von Carola Palzecki

Analysen

Erster Schritt zu einer Normalisierung der politischen Auseinandersetzung. | Gegner des Referendums warnen vor unabsehbaren Konsequenzen. | Budapest. Am Tag danach wandte sich Ferenc Gyurcsány ans Volk. Viel zu sagen hatte der sozialistische ungarische Premier allerdings nicht, dazu war das Ergebnis des Referendums vom Sonntag zu deutlich: 83 Prozent der an der Volksabstimmung Beteiligten hatten gegen die im Vorjahr von der sozialliberalen Regierung eingeführten Praxis-, Spitals- und Studiengebühren gestimmt und damit wichtigen Punkten im Reformprogramm des Premiers eine deutliche Absage erteilt. Gyurcsány warnte in seiner Ansprache vor großem Schaden, der nun drohe.


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Verglichen mit seiner "Lügenrede", die das Land im Herbst 2006 in Aufruhr versetzte, sind das milde Reden. Gyurcsány ist unübersehbar längst nicht mehr der strahlende, Frische suggerierende Held, als der er einst von Péter Medgyessy das Zepter des Regierungschefs übernahm.

Doch es wäre zu einfach, den Ausgang des Referendums allein als überragenden Sieg des langjährigen Gyurcsány-Gegenspielers und Vorsitzenden des konservativen oppositionellen Fidesz, Viktor Orbán zu werten. Schließlich war Orbáns Initiative für eine Volksabstimmung auch im konservativen Lager nicht unumstritten. Ein wichtiges Argument vieler Referendumsgegner: Mit dieser Volksabstimmung könnten von vornherein Reformen schon im Ansatz gekippt werden von denen im Grund jeder wisse, dass sie notwendig seien und bei denen eher die Frage sei, wie sie denn durchzuführen seien.

Vor allem aber bedeutet das Referendum eine Rückkehr zu relativ unumstrittenen Mitteln der demokratischen Auseinandersetzung. Seit dem Publikwerden der "Lügenrede" ist die politische Situation in Ungarn nämlich kaum mehr anders als durch zwei Begriffe zu kennzeichnen: Polarisierung und Radikalisierung.

Bei Auseinandersetzungen auf politischer Ebene ging es in Ungarn oft nur noch um die persönlichen Befindlichkeiten der beiden Kontrahenten Gyurcsány und Orbán statt um Sachargumente. Willensäußerungen des Volkes wiederum scheinen mittlerweile dem Pöbel vorbehalten, der mit Vorliebe an staatlichen Feiertagen agiert.

Mit dem Referendum scheint hier zumindest ein erster ernstzunehmender Schritt in die Gegenrichtung geschehen zu sein. Ob sich Gyurcsány und Orbán künftig mit gegenseitigen persönlichen Anfeindungen zurückhalten, mag dahingestellt sein, auch wenn der Oppositionschef in den Wochen vor dem Referendum einen vergleichsweise sachlichen Ton anschlug. Wichtiger ist wohl, dass die Mehrheit der Ungarn, eben all jene, die sich an der Volksabstimmung beteiligt haben, wieder ins politische Boot geholt wurde. Denn nunmehr kann sich niemand mehr beschweren, er sei von "denen da oben" nicht gefragt worden.