Mit stolzgeschwellter Brust hatte Michail Saakaschwili den Einmarsch georgischer Truppen in das abtrünnige Südossetien und die Einnahme der Provinzhauptstadt Zchinwali verkündet. Man werde den Separatisten samt ihrer russischen Schutzmacht eine Lektion erteilen, tönte es lautstark aus dem Präsidentenpalast in Tiflis. Das war am Freitag. Nur wenige Stunden später hatte der übermächtige Feind Russland nicht nur die georgischen Streitkräfte in Südossetien aufgerieben, sondern den Krieg auch auf georgisches Territorium getragen.
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Die Geister, die Saakaschwili gerufen hat, wird er nun nicht mehr los. Die Führung in Moskau denkt gar nicht daran, die einseitige Waffenruhe, die er in seiner Verzweiflung am Sonntag ausgerufen hatte, zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen schafft Moskau auf Kosten des pro-westlichen Nachbarlandes neue Tatsachen: Um Südossetien herum will Russland auf georgischem Territorium einen Pufferstreifen errichten. Zudem droht Georgien der Verlust des Kodori-Tals, der letzten von Tiflis kontrollierten Bastion im abtrünnigen Abchasien. Und auch wichtige strategische Einrichtungen in Georgien selbst wie der Militärflughafen in Tiflis oder der Hafen von Poti wurden von den Russen in Schutt und Asche gelegt.
Saakaschwili hat sein Land in ein waghalsiges Kriegsabenteuer gestürzt - und sich dabei kräftig verkalkuliert. Einen größeren Gefallen hätte er Moskau gar nicht tun können. Russlands Vorherrschaft in den sehnsüchtig nach Moskau blickenden Republiken Südossetien und Abchasien ist aufgrund der Niederlage Georgiens für die nächsten Jahre wenn nicht Jahrzehnte zementiert. Dabei hätten die Kremlstrategen noch vor kurzem wohl kaum zu hoffen gewagt, dass ihre Politik der kleinen Nadelstiche - tägliche militärische Provokationen an der Grenze - bei Saakaschili eine derart irrationale Überreaktion auslösen würde.
Auch Saakaschwilis Traum eines baldigen Nato-Beitritts ist vorerst ausgeträumt. Zwar erhält das mit modernen US-Waffen ausgestattete Georgien vom Westen verbale Rückendeckung im Konflikt. In einen Kalten Krieg mit der immer selbstsicherer auftretenden Großmacht Russland hineinziehen lassen will sich das Bündnis aber keinesfalls. Da hilft auch nicht, dass Georgien strategisch von immenser Bedeutung ist - immerhin soll durch das Land (unter Umgehung Russlands) Gas- und Öl aus Aserbeidschan und Zentralasien in großen Mengen nach Europa gepumpt werden. Saakaschwili verrechnete sich auch hier: Seinen Hilferuf nach Militärbeistand ließ Washington an sich vorbeiziehen.
Seine maßlose Selbstüberschätzung könnte den Hitzkopf nun sein Amt kosten. Noch stehen die Georgier, die den 40-Jährigen 2007 vergeblich zu stürzen versucht hatten, im Krieg gegen Moskau zusammen. Doch der Preis, den sie für Saakaschwilis Größenwahn zahlen mussten, dürfte ihnen zu hoch sein, glauben Beobachter. Moskau hätte damit ein weiteres Ziel erreicht: Saakaschwili loszuwerden, in der Hoffnung auf einen Moskau-hörigeren Nachfolger.
SieheGeorgien - Analysen und Hintergrund