Der neue Pontifex hat einen so eindeutigen Ruf und steht bereits in so einem hohen Alter, dass auf den ersten Blick kaum etwas anderes als eine Fortsetzung der Ära Johannes Pauls II. zu erwarten ist. Benedikt XVI. kann daher nur überraschen.
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Die Kardinäle haben gewählt, das Konklave ist beendet. Warum die Entscheidung relativ rasch und, eher unerwartet, doch für den meistgenannten Favoriten gefallen ist, bleibt das Geheimnis der Beteiligten. Offenbar waren die auf Kontinuität und wenig Veränderung bedachten Kräfte im Kardinalskollegium, die zum Teil dem "Opus Dei", zum Teil anderen konservativen Gruppen der katholischen Kirche angehören oder nahe stehen, so stark und so gut koordiniert, wie es die Personalpolitik Johannes Pauls II. erwarten ließ. Kardinäle, die offen für Reformen eintraten, konnte man nahezu an den Fingern einer Hand abzählen.
Die neue Wahlordnung, die nach 33 Wahlgängen ein Abgehen von der bisher zwingend geforderten Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen erlaubt, könnte ein Übriges getan haben: Hatte ein Kandidat einmal mehr als die Hälfte der Stimmen, so war klar, dass man ihn auf Dauer nicht mehr würde verhindern können. Das würde erklären, warum diesmal kein Kompromisskandidat, sondern der Exponent eines kirchenpolitischen Lagers gewählt wurde, Kardinal Joseph Ratzinger, ohne Zweifel ein Gigant des Geistes und der Theologie, ein Mann von Format - egal, wie man zu seinen Überzeugungen steht.
Die Aufgaben eines neuen Pontifex waren schon vorher bekannt. In den Augen der Kardinäle steht da sicher das Vorleben eines felsenfesten Glaubens an der Spitze, vor allem darum haben sie vermutlich Joseph Ratzinger gewählt. Die vielfältige katholische, christliche und nichtchristliche Welt hat aber durchaus unterschiedliche Vorstellungen, wie sich dieser Glaube im praktischen Leben der Gegenwart noch auswirken sollte.
Entscheidend für die Kirche der Zukunft dürfte sein, wie weit die Kirchenleitung ihre berechtigten Forderungen an die Gesellschaft - etwa die Gleichstellung von Männern und Frauen, die Mitsprache der Betroffenen in Politik oder Arbeitswelt, die Aufklärung von Skandalen, das Wiedergutmachen von begangenem Unrecht - in den eigenen Reihen umsetzt. Wo der Eindruck entsteht, dass Prinzipien um ihrer selbst und nicht um des Menschen willen verteidigt werden - ein bekanntes Zitat von Jesus Christus lautet, der Sabbat sei für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat -, bekommt die Kirche Glaubwürdigkeitsprobleme.
Natürlich kann der neue Papst sich den großen sozialen Problemen nicht entziehen, er muss Existenz, Würde und Lebenschancen aller Menschen schützen, gegen Krieg - der letzte Benedikt war ein Friedenspapst - und Ausbeutung auftreten. Auf dem religiösen Feld steht der Dialog mit anderen Religionen und anderen christlichen Kirchen - die Ratzinger im Dokument "Dominus Iesus" vor den Kopf gestoßen hat - auf dem Programm und ein Aufbrechen der Polarisierung innerhalb der eigenen Kirche.
Von Papst Benedikt XVI. erwartet derzeit niemand Wunder an Reformen. Noch kaum ein Papst ist über den Schatten seines unmittelbaren Vorgängers gesprungen und hat sofort dessen Kirchenpolitik radikal geändert, noch dazu wenn er einer der engsten Mitarbeiter des vorigen Pontifex in Glaubens- und Sittenlehren war. An den Lehren aus Rom wird sich daher in nächster Zeit voraussichtlich nichts ändern.
Woran sich etwas ändern könnte, und das traut man Benedikt XVI. zu, weil auch dieser "einfache Mitarbeiter im Weinberg des Herrn" sicher nicht nur als "Übergangspapst", sondern mit einem eigenen Profil in die Kirchengeschichte eingehen will, das sind die kirchlichen Strukturen. Er könnte den römischen Zentralismus reduzieren, könnte Macht aus dem Vatikan an die Ortskirchen der einzelnen Kontinente abgeben. Dazu würden auch sorgfältiger auf die Gläubigen abgestimmte Bischofsernennungen zählen. Kenner Ratzingers versichern, ihm wären gewisse Ernennungen in Österreich sicher nicht passiert. So könnte wenigstens regional das Vertrauen in die Kirche wieder wachsen.
Benedikt XVI. hat, das ist seine Chance, das konservative Lager hinter sich. Er könnte deshalb ein mutiger Papst sein, denn ihm kann niemand vorwerfen, dass er nicht rechtgläubig sei. Die aus dem Kirchenvolks-Begehren entstandene Plattform "Wir sind Kirche" hat daran erinnert, dass Joseph Ratzinger ein progressiver Theologe war, ehe er zum konservativen Kardinal wurde, und die Hoffnung ausgesprochen, er könnte sich nun noch einmal wandeln - in Richtung Reform-Papst. Die Botschaft hört man wohl, allein hier fehlt der Glaube.