Zunehmend bezweifelt, jetzt rehabilitiert? - In einer Langzeitstudie haben Mediziner die Wirksamkeit der Psychoanalyse nachgewiesen. Eine psychoanalytische Behandlung beseitigt demnach nicht nur Symptome. Vielmehr gelinge es mit ihr häufiger als mit kürzeren Psychotherapien, die Persönlichkeit umzustrukturieren, berichtet die Universitätsklinik Heidelberg.
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Seit 1996 hatten Heidelberger und Berliner Forscher insgesamt 72 Personen untersucht, die an neurotischen und Persönlichkeitsstörungen litten, meist verbunden mit körperlichen Beschwerden. Bei insgesamt 60 Prozent der psychoanalytisch behandelten Patienten wurde eine nachhaltige Persönlichkeitsveränderung nachgewiesen. Bei anderen Therapieformen gelang dies nur bei etwa elf Prozent der Patienten.
Die psychoanalytische Behandlung beinhaltet meist insgesamt bis zu 240 bis 300 Stunden mit etwa drei Sitzungen pro Woche, während andere Therapien rund 50 bis 80 Stunden und meist eine Sitzung pro Woche umfassen. Zudem haben beide Therapieformen unterschiedliche Ziele: Während Psychotherapien auf die Bewältigung der aktuellen Konflikte und Belastungen abzielen, soll die Psychoanalyse eine tief greifende Änderung der Persönlichkeitsstruktur erreichen.
In der Langzeitstudie stellten sowohl die Patienten selbst als auch ihre Therapeuten sowie wissenschaftliche Beobachter unabhängig voneinander deutliche Merkmale der Strukturveränderung durch die Psychoanalyse fest. Die psychischen und körperlichen Symptome gingen deutlich zurück, das Selbsterleben wurde positiver, die Lebensqualität stieg. Dadurch waren die Betroffenen in der Lage, Belastungen zu ertragen und ihr Leben besser zu gestalten. Gleichzeitig nahmen sie der Studie zufolge medizinische Leistungen wesentlich seltener in Anspruch.
Gerade unter dem gegenwärtigen Kostendruck im Gesundheitswesen sei die Studie von Bedeutung, betonen die Wissenschafter. "Oft wird die Wirksamkeit der Psychoanalyse mit dem Hinweis angezweifelt, dass bereits kürzere Psychotherapien effektiv seien", sagt Professor Gerd Rudolf, Leiter der Psychosomatischen Uniklinik Heidelberg. Psychische und psychosomatische Beschwerden seien aber oft Ausdruck von tiefer liegenden Schwierigkeiten der Persönlichkeit.
Nachhaltige Veränderungen der Persönlichkeit können nach Ansicht Rudolfs nur durch eine intensive und längere Behandlung erreicht werden, wie sie etwa die Psychoanalyse biete. Finanziert wurde die Langzeitstudie überwiegend von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) sowie der Robert-Bosch-Stiftung.
"Evaluierungen" dieser Art scheinen dennoch nicht unproblematisch. Anzumerken ist, dass es zunächst wohl herauszufinden gilt, wer tatsächlich eine derart intensive Zuwendung benötigt, wie sie die Analyse darstellt, bzw. wessen Probleme durchaus effizient psychotherapeutisch behandelt werden können. - Allerdings geht der Trend ohnehin bereits seit Jahren dahin, Analyse und Therapie so miteinander zu verbinden, dass daraus die jeweils individuell bestmögliche Behandlungsform resultiert.