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Der Entwurf für den Analyseteil einer neuen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin, den die Bundesregierung beschlossen hat, ist politisch, strategisch und taktisch militärisch dominiert.
Politisch beinhaltet diese Doktrin den Primat des Militärs statt der Politik, strategisch die Orientierung an bestehende militärische Institutionen statt an den friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen und taktisch die Stärkung dieser militärischen Institutionen statt der dynamischen Entfaltung jener vor allem nicht-militärischen Bedingungen, die eine kreative Transformation von Konflikten auf eine Ebene geringerer Gewaltförmigkeit unter Einbeziehung möglichst aller an Konflikten beteiligten Akteure erlaubt.
Obwohl in der Doktrin der sicherheitspolitsche Grundsatz formuliert wird: "Soviel kooperative Friedensförderung wie möglich und soviel Zwangsgewalt wie nötig" und damit der Einsatz militärischer Zwangsgewalt als "Ultima-ratio"-Mittel einer modernen Sicherheitspolitik bezeichnet wird, ist die Doktrin Musterbeispiel für den ideologischen Charakter dieser Zuordnung.
Das "Ultima-ratio"-Mittel präformiert und dominiert die gesamte Doktrin, so dass sie als reine Militärdoktrin anzusehen ist.
Anstatt die Grundlagen der österreichischen Sicherheitspolitik aus den sicherheitspolitischen Bedingungen bzw. Herausforderungen zu entwickeln, die im wesentlichen nicht-militärischer Natur sind und auch nicht militärisch gelöst werden können, wird von vorne herein ein institutioneller und militärischer Zugang gewählt. Der institutionelle Zugang wird durch die Feststellung dokumentiert: "Friede und Stabilität in Europa werden primär durch EU, NATO und OSZE, sowie die in diesen Institutionen zusammenarbeitenden Staaten gewährleistet. Für voraussehbare Zeit kommt es daher besonders darauf an, Beiträge zur Funktionsfähigkeit dieser Institutionen zu leisten".
Symptomatisch ist hierbei das Fehlen der UNO aber auch die Nichtberücksichtigung der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als zunehmend wichtiger werdende Akteure für Frieden und Stabilität in Europa.
Das institutionelle Sicherheitsverständnis schlägt sich auch in der sicherheitspolitischen Bewertung der Situation Europas nieder. Entsprechend werden drei Zonen unterschiedlicher Stabilität in Europa unterschieden: "den stabilen, bereits integrierten Kern, jene Staaten, die sich in einem Annäherungsprozess an EU und NATO befinden, und schließlich die Länder, bei denen noch keine Annäherung an den Stabilitätskern EU/NATO ersichtlich ist." Demnach sind die neutralen Länder in einer nicht so stabilen Situation wie die NATO Mitglieder und besonders die Schweiz befindet sich in der instabilsten Gruppe der Länder, die weder NATO noch EU Mitglieder sind.
Dagegen wäre die Türkei als NATO Mitglied und Anwärter für eine Mitgliedschaft in der EU in einer wesentlich stabileren Lage.
Entsprechend dem militärischen Zugang, werden die genannten Organisationen im wesentlichen nach ihrer militärischen Bedeutung beurteilt. WEU und NATO seien unter Bezugnahme auf die Satzung der UNO gegründet worden, "da sich das System kollektiver Sicherheit im Rahmen der UNO nicht generell durchgesetzt hat" und "die UNO der ihr übertragenen Verantwortung für Frieden und internationale Sicherheit für sich allein erfahrungsgemäß nicht voll gerecht werden kann".
Bei der OSZE wird angemerkt: "Da die OSZE nur einstimmige Beschlüsse fassen kann und über keine Machtmittel verfügt, ist sie außer Stande, im Falle von Gewaltausbrüchen wirksam einzuschreiten und den Frieden zu sichern."
Daraus ergibt sich, dass in der Doktrin die österreichischen Beiträge für UNO, OSZE, Europarat und für das friedens- und entwicklungspolitische Engagement von NGOs nicht thematisiert werden. Entsprechend wird auch die österreichische Neutralität als eine unsolidarische Politik des "bewussten Sich-Heraushaltens" denunziert. Dagegen wird die Bedeutung der NATO und vor allem der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) hervorgehoben: "Bis 2003 wird das Bundesheer ein kampftaugliches Infantriebataillon für Friedenserzwingung ein zweites Infantriebataillon für Friedenserhaltung sowie kleinere Spezialeinheiten für Zwecke der GESVP bereitstellen.
Eine Mitwirkung an GESVP-Operationen hat für Österreich Vorrang vor anderen internationalen Friedenseinsätzen. Längerfristiges Ziel der österreichischen Mitwirkung sollte die Beteiligung mit einer Brigade bzw. einem Brigade-Äquivalent sein." (etwa 5000 Soldaten)
Während in der Doktrin die Wandlung des österreichischen Bundesheers in den 90er Jahren "von einer Friedensarmee (mit weitestgehend passivem Abhaltecharakter) zu einer Einsatzarmee" begrüßt wird, und eine weitere Aufrüstung der Offensivkapazitäten verlangt wird, wird das Fehlen qualifizierter Fachkräfte für zivile Aufgaben internationaler Einsätze nicht erwähnt. Der Beitrag Österreichs zum Pool an Polizeikräften (es sind 120 Polizisten für alle internationale Einsätze von UNO, EU, OSZE vorgesehen) wird als "angemessen" bezeichnet, obwohl international eine Verstärkung der Polizeikontingente gefordert wird.
Ebenfalls dringend notwendige Experten für andere zivile Aufgaben (wie z.B. für die Vermittlung zwischen Konfliktparteien, den Schutz von Menschenrechten, die Förderung von Demokratisierungsprozessen, die Wahlbeobachtung, die Humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau) werden mit keinem Wort erwähnt.
Oder sollte die Doktrin vorsehen, dass all diese Aufgaben von Soldaten wahrgenommen werden? In diesem Fall dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das Außenministerium (und vielleicht auch das Innenministerium?) in das Verteidigungsministerium eingegliedert werden.
Damit läge Österreich zumindest in dem Trend, der durch den Wechsel des Generalsekretärs der NATO zum "Mr. Außenpolitik" der EU und durch die Berufung eines Golfkriegsgenerals zum Außenminister der USA vorgegeben wird.
Mag. Arno Truger ist Stellvertretender Leiter des Friedenszentrums Burg Schlaining.