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Anarchie, Alkohol und erfundene Tiere

Von Christian Hütterer

Reflexionen
Jaroslav Hašek (1883-1923), ca. 1910.
© Gamma-Keystone via Getty Images

Eine Erinnerung an den vor 100 Jahren verstorbenen Prager Vielschreiber, dem das Trinken zum Verhängnis wurde.


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Er ist ein behördlich anerkannter Idiot, schlägt sich mit einer Mischung aus Bauernschläue und Naivität durch den Ersten Weltkrieg und verursacht durch das buchstabengetreue Befolgen von Befehlen so manches Durcheinander. Sie haben es vielleicht schon erraten, die Rede ist von einem braven Soldaten namens Josef Švejk. Der Roman des Schriftstellers Jaroslav Hašek war Grundlage für Theaterstücke, Filme und Fernsehserien und heute gilt der "Švejk" als das bekannteste Werk der tschechischen Literatur.

Falls Sie sich über die Schreibweise wundern: Sowohl im tschechischen Original als auch in den ersten Übersetzungen ins Deutsche schreibt sich dieser brave Soldat Švejk, in einer späteren Übersetzung wurde aus ihm ein Schwejk (diese Version wurde auch in den Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Fritz Muliar verwendet), in der neuesten Übersetzung durfte er wieder seinen ursprünglichen Namen tragen.

Ob Švejk oder Schwejk, das Buch ist ein Schelmenroman, dessen Protagonist ein einfach gestrickter Mann ist, dem das Glück nie hold war: "Von klein auf hab ich so ein Pech, immer will ich was besser machen, gut machen und nie kommt was heraus als eine Unannehmlichkeit für mich und die Umgebung." Und genau das ist das Problem, Švejk will allen alles recht machen, hält sich minutiös an die Vorgaben und verursacht dadurch erst recht eine Komplikation nach der anderen. Aber gerade weil er bei all dem immer ehrlich und gutmütig bleibt, führt er vor Augen, wie lächerlich die Militärbürokratie und die Kriegsbegeisterung sind.

Trauriges Vorbild

Der brave Soldat steckt in der Militärmaschinerie und kann ihr nicht entkommen, trotzdem ist das Buch kein (Anti-)Kriegsroman. Es endet nämlich, bevor Švejk an der Front eintrifft, und so bleiben die Beschreibungen der Schrecken des Krieges aus. Kurz vor dem Abmarsch an die Front verabschiedet sich Švejk von einem Kameraden, die beiden wollen sich nach dem Krieg um sechs Uhr in Švejks Stammlokal "Zum Kelch" treffen. Ob es je so weit kommt, erfahren die Leser aber nicht, denn das Buch endet abrupt, weil sein Autor Jaroslav Hašek knapp vor seinem 40. Geburtstag starb.

Wer war dieser Jaroslav Hašek, über den es in einem Nachruf hieß, dass er "in seinen kleinen, stechenden Augen Witz, Übermut und Geisteskraft" trug? Er wurde am 30. April 1883 als Sohn eines Lehrers in Prag geboren, seine Kindheit war aber alles andere als idyllisch. Der Vater war Alkoholiker und sollte darin seinen beiden Söhnen Jaroslav und dem jüngeren Bohuslav ein trauriges Vorbild sein, denn auch die zwei glitten schon in jungen Jahren in den Alkoholismus. Es sagt viel, wenn in einem Nachruf auf Hašek geschrieben wurde, dass er "nicht immer" betrunken war.

Ein Hašek-Denkmal in Lipnice nad Sázavou, wo der Schriftsteller am 3. Jänner 1923 verstarb.
© Matěj Baťha, CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons

Der kleine Jaroslav erlebte eine Stadt im Umbruch, Prag wuchs damals durch den Zuzug aus allen Teilen Böhmens und Mährens von Jahr zu Jahr. Viele der Neuankömmlinge mussten unter erbärmlichen Bedingungen leben, dazu kam der nationale Streit, denn mit den Zuzüglern stieg der Anteil der Tschechen in der Stadt, jener der wirtschaftlich und kulturell dominanten deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe sank. Demonstrationen und Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen waren an der Tagesordnung - und der junge Hašek war mittendrin.

Er schrieb für anarchistische Blätter und es war nur eine Frage der Zeit, bis er Bekanntschaft mit der habsburgischen Polizei machen sollte. Der Bub riss amtliche Kundmachungen von den Plakatwänden, wurde deswegen verhaftet und aus dem Gymnasium geschmissen. Dazu kam ein weiteres einschneidendes Erlebnis: Hašeks Vater starb, die Familie war mit einem Schlag mittellos und die Mutter musste sich und ihre Buben mit Aushilfsarbeiten durchbringen.

Hašek nahm eine Lehrstelle in einer Drogerie an, wurde wieder verhaftet, flog wieder raus. Kurz schien es, als würde er seriös werden. Hašek besuchte eine Handelsakademie und fand nach dem Abschluss eine Stelle in der Prager Bank Slavia. Sein Eifer im Büro war sehr überschaubar, seine Pünktlichkeit auch und so war er diese Arbeit bald wieder los. Mit seinem Bruder strawanzte er danach durch die Monarchie, die beiden schlugen sich dabei als Schnorrer durch. Wenn das Geld wieder einmal knapp wurde und sie nicht mehr weiterwussten, gingen Postkarten an die Mutter: "Wir sind gesund, aber haben kein Geld mehr", oder: "Mama, Geld!! Vergiss nicht!! Schicken!!" Immer wieder machte Hašek auf seinen Reisen Bekanntschaft mit der Polizei und verbrachte als Vagabund manche Nacht in einer Zelle.

Pilger fressendes Kalb

Nach seiner Rückkehr nach Prag veröffentlichte Hašek einen Band mit Gedichten, die allerdings sehr altbacken gerieten und bestenfalls als Jugendsünde durchgehen können. Von der Lyrik kam er (zum Glück) bald ab und schlug sich als Journalist durch. Bei der Wahl seiner Auftraggeber war Hašek nicht wählerisch und schrieb für alle, die genug zahlten. Der Legende nach sorgte eine Polemik zwischen zwei Journalisten in Prag für Aufregung, einer schrieb für eine linke, der andere für eine nationale Zeitung. Der Streit zwischen den beiden wurde immer heftiger, die Öffentlichkeit war gespannt, wie weit die beiden noch gehen würden - bis sich eines Tages herausstellte, dass hinter beiden Namen Hašek selbst steckte.

Hašek war Anarchist und lag im Dauerstreit mit Polizei und diversen Ämtern. Im Jahr 1907 landete er wieder einmal im Gefängnis, weil er bei einer Demonstration die Menge dazu aufgestachelt hatte, einen Polizisten zu verprügeln. Dann aber kam eine Wende in diesem turbulenten Leben, und sie hieß Jarmila Mayerová. Die Liebe zu dieser Journalistin und Autorin - aber auch der Druck der künftigen Schwiegereltern - sorgte dafür, dass sich Hašek von den Anarchisten verabschiedete, den Alkohol zumindest reduzierte und eine feste Stelle bei der Zeitschrift "Welt der Tiere" annahm.

Die Arbeit in der Redaktion wurde ihm aber schnell zu langweilig und Hašek erfand Tiere, um die Zeitschrift aufzupeppen. Die "Welt der Tiere" berichtete nun über neu entdeckte Arten wie etwa den sibirischen Werwolf oder das Einhornkalb, das versteckt in Tibet lebt und sich von Pilgern ernährt. Durch die Artikel über diese sensationellen Entdeckungen stiegen die Verkaufszahlen der "Welt der Tiere", aber bald übertrieb es Hašek mit seinen Erfindungen und es folgte der Rauswurf sowie erneut der Weg in die Wirtshäuser und Bars.

Es zog ihn auch noch einmal in die Politik, aber mit den Anarchisten oder anderen Extremisten wollte er nichts mehr zu tun haben. Ganz im Gegenteil, nun sang er ein satirisches Loblied auf das gepflegte Mittelmaß und gründete mit Gleichgesinnten die "Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze". Die Gründungsversammlung dieser Partei fand in einem Prager Wirtshaus mit dem klingenden Titel "Zum goldenen Liter" statt, und die Wahl dieses Ortes war geradezu programmatisch, denn der Alkohol spielte in den Sitzungen der Parteigremien eine wichtige Rolle.

Opus magnum

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sorgte dafür, dass die Spielereien des Jaroslav Hašek ein Ende fanden. Er wurde in die k.u.k. Armee eingezogen, ließ sich aber bei seinem Einsatz an der Ostfront von der russischen Armee gefangen nehmen. Dort schloss er sich der Tschechoslowakischen Legion an, einer Einheit, die auf russischer Seite gegen die Habsburgermonarchie kämpfte. Nach der Oktoberrevolution schlug er sich auf die Seite der Kommunisten und machte dort sogar Karriere, stieg in der Hierarchie auf und wurde in verschiedenen Regionen der Sowjetunion eingesetzt, um Propaganda für die neuen Machthaber zu machen.

Auch in seiner Heimatstadt Prag wird an Jaroslav Hašek erinnert.
© ŠJů (cs:ŠJů), CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Im Dezember 1920 kam er wieder in Prag an, mit dabei war auch seine russische Frau, die er ohne Scheidung von Jarmila Mayerová geheiratet hatte. In der Heimat sollte er im Auftrag der Sowjets die kommunistische Revolution vorbereiten, das Vorhaben verlief aber im Sand und Hašek führte bald wieder sein gewohntes Leben, immer mit einem Glas in der Hand. In dieser Zeit begann er mit seinem Opus magnum über den braven Soldaten Švejk. Die Figur hatte Hašek schon vor dem Ersten Weltkrieg für einige Kurzgeschichten erfunden, nun sollte sie in einem groß angelegten Panorama der untergehenden Habsburgermonarchie die Hauptrolle spielen.

Hašek nahm an vielen Stellen Elemente aus seinem eigenen Leben auf: Sowohl Hašek wie auch seine Kunstfigur handelten mit Hunden, passten die Stammbäume der Tiere den Wünschen der Kunden an und verkauften so manche Promenadenmischung als Rassehund. Hašek und Švejk rückten beim 91. Infanterieregiment in Budweis ein und waren in Bruck an der Leitha stationiert. Im Roman freundet sich Švejk mit einem anarchistischen Intellektuellen an, der vor dem Krieg Redakteur einer Tierzeitschrift war und nun die Heldentaten des Regiments für die Nachwelt aufschreiben soll.

Kraftausdrücke

Die Grenzen zwischen Realität und Roman verschwimmen also, und wenn im Buch vertrottelte Vorgesetzte und obskure Figuren wie ein Generalmajor auftauchen, der sich vor allem um den Stuhlgang der Soldaten sorgt, so weiß der Leser nicht, ob’s wahr oder nur gut erfunden ist. Die eigentliche Handlung des Romans wird jedenfalls oft unterbrochen und driftet in Anekdoten ab, die Švejk oder seinen Kameraden zu allen möglichen Themen einfallen.

Dass dabei Kraftausdrücke verwendetet werden, machte Hašek zwar populär, war damals aber auch ein Tabubruch, der dafür sorgte, dass der "Švejk" von der Literaturkritik lange nicht ernst genommen wurde. Hašek fand zunächst keinen Verlag für seinen Roman und veröffentlichte die Geschichte vom braven Soldaten deshalb in kleinen, selbst gedruckten Heftchen, die sich wie die warmen Semmeln verkauften.

Hašek war ein Autor, der wie am Fließband schrieb. Neben "Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg" (so der deutsche Titel in der bei Reclam erschienenen Übersetzung) hat er über 2.000 Artikel, Satiren und Humoresken unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlicht. Dabei kam manchmal aber die Qualität zu kurz und so manches Stück geriet nicht wirklich witzig, sondern eher flach. Am meisten hatten es ihm die Institutionen angetan. Schulen, Ämter, Kirche und Militär bekommen ihr Fett ab. In den Geschichten über die Zustände in der Armee ist von verklärter K.u.k.-Romantik und Harmonie zwischen den Nationen unter dem Doppeladler nicht viel zu finden, Hašek entlarvt vielmehr den Umgang der Offiziere mit den einfachen Soldaten. "Du tschechische Sau", heißt es dann etwa und mit Sicherheit gibt es dann wieder eine aufs Maul, denn wie sagt ein Offizier über seinen Burschen: "Ich habe ihn schon geschlagen, aber es nützt nichts. Ich ohrfeige ihn, sooft ich ihn sehe, aber es hilft nichts. Ich hab ihm ein paar Vorderzähne rausgehaut, aber der Kerl bessert sich nicht."

Jaroslav Hašek konnte seinen "Švejk" nicht vollenden. Er starb am 3. Jänner 1923 in Lipnice nad Sázavou an Tuberkulose, die er sich in Russland eingefangen hatte, und an den Folgen seines jahrelangen Alkoholismus.

Christian Hütterer, geboren 1974, schreibt Kulturporträts und Reportagen.