Sex-Affären, Privat-Außenpolitik: Die britische Premierministerin May hat Probleme mit ihrem Kabinett.
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London. Binnen einer Woche ist Theresa May schwer ins Wanken gekommen. Erst verlor sie mit Michael Fallon ihren Verteidigungsminister im Zuge der Sex-Affären im Londoner Parlament. Dann musste sie das Kabinettsamt anweisen, den als Vize-Premier fungierenden Damian Green wegen des Verdachts sexueller Fehltritte und des angeblichen Besitzes pornografischen Materials unter die Lupe zu nehmen. Das Urteil über Green steht noch aus.
Hernach machte sich Außenminister Boris Johnson eines möglicherweise folgenschweren Fehltritts schuldig. Den Vogel aber schoss Entwicklungshilfeministerin Priti Patel ab. Patel, die Mittwoch Abend zum Rücktritt gezwungen wurde, verhandelte auf eigene Faust mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und diversen israelischen Stellen und Ministern und bereitete finanzielle Hilfe für das israelische Militär auf den Golan-Höhen vor - ohne dass May oder Johnson vorab irgendetwas wussten.
Mittlerweile raufen sich Tory-Politiker in Westminster die Haare über den Zustand ihrer Regierung. Ausgerechnet zum Zeitpunkt, da May an der Brexit-Front gebraucht würde, scheint ihr Kabinett zu zerfallen. Londons "Financial Times" sprach am Mittwoch davon, dass Mays Regierungsriege "in Anarchie zu versinken" drohe, da einzelne Minister "sich über ihre Autorität hinwegsetzen, auf eigene Faust Politik machen und sich gegenseitig bitter bekriegen".
Zwölf Treffen auf eigene Faust
Der frühere Generalsekretär der Konservativen, Lord Patten, findet die Lage schockierend. Wenn niemand sie mehr respektiere, meint er, habe die Premierministerin ein echtes Problem. "Es ist furchtbar - und das ausgerechnet zu einer Zeit, da wir die schwierigsten Verhandlungen zu bewältigen haben, die es in meinem Leben gegeben hat." Derweil rüstet man sich in Downing Street für die Enthüllung neuer Skandale in den nächsten Tagen.
Geradezu bizarre Formen nahm am Mittwoch die Krise um Ministerin Patel an. Priti Patel war von May angewiesen worden, eine Afrika-Reise abzubrechen und unverzüglich nach London zurückzukehren. Patel hatte im August bei einem privaten Israel-Urlaub, ohne dies mit May oder Johnson abzusprechen, zwölf Treffen mit Repräsentanten der israelischen Regierung, darunter mit Netanjahu, absolviert.
Patels Privattour war nach israelischen Angaben vom israelischen Außenministerium organisiert worden. Unter anderem besuchte sie offenbar ein Militärkrankenhaus auf den Golanhöhen, dem sie Gelder zur Betreuung syrischer Flüchtlinge zukommen lassen wollte. Die Golanhöhen sind tabu für westliche Politiker: Auch Großbritannien betrachtet sie als syrisches Territorium. Während Patel in Israel ihre Privatgespräche führte, hielt sich übrigens ihr Staatssekretär Alistair Burt in offizieller Kapazität ebenfalls in Israel auf - angeblich ohne zu wissen, dass seine Ressortleiterin dort gleichzeitig inoffiziell zugange war.
Nach Bekanntwerden der zwölf August-Gespräche Patels mit den Israelis Ende voriger Woche suchte die Ministerin den Eindruck zu erwecken, das Außenministerium habe von Anfang an von dem Trip gewusst. Diese Behauptung nahm sie am Montag zurück.
May suchte sie zu diesem Zeitpunkt noch im Amt zu halten. Danach aber wurden zwei weitere, bis dahin nicht deklarierte September-Termine Patels bekannt - ein Treffen mit dem israelischen Minister für öffentliche Sicherheit in London und eins mit einem hohen Beamten des israelischen Außenministeriums in New York. Die Enthüllung dieser "privaten Außenpolitik" Patels führte zu wachsender Entrüstung bei May und zur Rückbeorderung der Ministerin aus Afrika am Mittwoch Mittwoch - und letztlich zu ihrem Rücktritt aus dem Kabinett.
War May informiert?
Ein Bericht im "Jewish Chronicle" gab der Geschichte allerdings eine neue Dimension. Diesem Bericht zufolge hatte man im Außenministerium und in der Regierungszentrale bereits seit Wochen Kenntnis von einzelnen Patel-Aktionen, suchte sie aber zu vertuschen. Das wird von May scharf zurückgewiesen. Die Regierungschefin will zum Beispiel von Patels Treffen mit Netanjahu erst vorigen Freitag erfahren haben - einen Tag, nachdem Netanjahu ihr selbst seine Aufwartung machte in Downing Street.