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Anderl, Gabriele: 9096 Leben

Von Rainer Mayerhofer

Wissen
Berthold Storfer rettete andere, aber nicht sich selbst.
© privat

Berthold Storfer brachte 9096 Juden durch illegale Schiffstransporte nach Palästina


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9096 Juden aus Österreich, Deutschland, Böhmen und Danzig hat der 1880 in Czernowitz geborene Berthold Storfer durch illegale Schiffstransporte nach dem damaligen Palästina vor der NS-Vernichtung gerettet. Er selbst brachte sich nicht in Sicherheit. Als er im Spätsommer 1943 unterzutauchen versuchte, wurde er aufgespürt, nach Auschwitz deportiert und dort im November 1944 erschossen. Die Historikerin Gabriele Anderl  hat den Lebensweg des bis heute wenig bekannten Judenretters  recherchiert und eine interessante  Biografie vorgelegt.

Storfer, der sich in der Zeit der Donaumonarchie als Geschäftsmann etablierte, im Ersten Weltkrieg  als Kriegswirtschaftsrat im Majorsrang mit der Aufbringung von Lebensmitteln für die VII. Armee aus Feindgebieten wie Rumänien und Russland zuständig war und für seine Leistungen ausgezeichnet wurde, hatte sich dann in Wien niedergelassen, wo er ein erfolgreicher Geschäftsmann und Bankier wurde. Seine berufliche Karriere fand nach dem Anschluss im März 1938 ein jähes Ende. Die Radikalisierung der Judenverfolgung ließ für viele die Flucht als einzigen Ausweg erscheinen, und Storfer, der sich hatte taufen lassen, fand hier eine neue Lebensaufgabe. Er legte den Nazi-Behörden Pläne zur Durchführung der jüdischen Auswanderung vor, die dort auf Interesse stießen. Storfer nahm als Delegierter im Juli 1938 an der internationalen Flüchtlingskonferenz von Evian teil, die zu keiner Lösung des Problems führte.

Im Frühjahr 1939 wurde er von Adolf Eichmann zum Leiter des "Ausschusses  für jüdische Überseetransporte" ernannt. Seine Aufgabe bestand darin, jüdische Auswanderer mit illegalen Transporten nach Palästina zu bringen, nachdem die Briten die Einwanderung dorthin weitgehend unterbunden hatten. Von seinem Büro in der Rotenturmstraße 21/1 in der Wiener Innenstadt aus bemühte sich Storfer, die Transporte zu organisieren. Bevor es aber so weit war, musste er im Oktober 1939 an den ersten Deportationen  nach Nisko am San mitwirken, die in einem Fiasko endeten.

Insgesamt vier Transporte organisierte Berthold Storfer unter größten Schwierigkeiten. Immer wieder traten Verzögerungen auf, musste er sich mit Vorwürfen anderer jüdischer Fluchtorganisationen auseinandersetzen, ein "Kollaborateur" der NS-Behörden zu sein. Die Zionisten waren hauptsächlich daran  interessiert, junge Menschen nach Palästina zu bringen, die Nazi-Behörden wollten natürlich auch die Alten loswerden. "Bedauerlicherweise  bin ich nichts anderes als der hingestellte Vertreter von armen Auswanderern", klagte Storfer einmal in einem Schreiben an den Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Josef Löwenherz.

Schließlich gelang es ihm, Anfang September 1940 mit vier Schiffen  Auswanderer donauabwärts nach Rumänien zu schaffen, wo drei größere Schiffe warteten, die die Flüchtlinge nach Palästina bringen sollten. Gabriele Anderl hat in jahrelangen Recherchen ausgeforscht, welche Hindernisse es zu überwinden galt, bis es so weit war. Jeder wollte an den Flüchtlingen verdienen.

1941 stoppten die NS-Behörden die jüdische Auswanderung. Berthold Storfer  selbst hatte es verabsäumt, sich zeitgerecht in Sicherheit zu bringen. Als er 1943 nach Theresienstadt deportiert werden sollte, tauchte er unter, wurde aber bald festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Dort traf er noch einmal mit Adolf Eichmann zusammen, der in seinem Prozess in Jerusalem diese letzte Begegnung schilderte. Der 63-jährige Storfer hatte ihn  um Freilassung gebeten. "Schauen Sie, ich kann Ihnen wirklich gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers (SS) kann keiner Sie  herausnehmen."

Tod in Auschwitz

Storfer habe dann gebeten, nicht arbeiten zu müssen,  und er, Eichmann, habe zu (Auschwitz-Kommandant) Rudolf Höss gesagt: "Arbeiten braucht Storfer nicht." Höss habe erwidert, in Auschwitz müsse jeder arbeiten. "Da sag ich: Gut, sage ich, ich werde eine Aktennotiz anlegen, sagte ich, dass Storfer hier mit dem Besen die Kieswege in Ordnung hält. So kleine Kieswege waren dort, und dass er das Recht hat, sich jederzeit  mit dem Besen auf eine der Bänke zu setzen. (...) Und dann hat er den  Besen bekommen und hat sich auf die Bank gesetzt, das war für mich eine große Freude gewesen." Sechs Wochen später war Berthold Storfer tot.

Gabriele Anderl: 9096 Leben - Der unbekannnte Judenretter Berthold Storfer. Rotbuch Verlag, 400 Seiten, 20,60 Euro.