Zum Hauptinhalt springen

Andersartig ist nicht anderswertig

Von Silke Farmer

Wissen

Schon Dreijährige sehen Unterschiede. | Vorurteile sind | per se nicht böse: | Sie helfen, Informationen zu verarbeiten. | Wien. "Kinder kennen noch keine Vorurteile." Ein Satz, der so nicht stimmt, denn Alltagsszenen aus dem Kindergarten zeichnen ein gänzlich anderes Bild: Max will nicht neben Lena sitzen, sie ist ihm zu dick. Marie mag Joshua nicht, weil er "schwarz ist". Für Ariel und Gerald sind die Kindergartenkolleginnen keine richtigen Cowboys, schließlich sind sie Mädchen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zum Thema "Vorurteile in der Kindheit" hat jüngst das Sir Peter Ustinov Institut eine Tagung in Wien organisiert. Der Einladung des Instituts, das sich seit der Gründung im Jahr 2003 mit dem Entstehen von Vorurteilen beschäftigt, folgten zahlreiche Wissenschafter und Pädagogen, berichteten aus der Praxis und diskutierten über Lösungen.

"Kinder lernen durch Imitation, das ist ein ganz wichtiger Erziehungsprozess", erklärt Max Friedrich, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener AKH. Laut Friedrich geschieht die Bildung von ersten Vorurteilen klassischerweise zwischen fünf und sieben Jahren: "Dann, wenn sich die sozialen Werte entwickeln." Doch können diese auch schon in einer früheren Phase auftreten.

"Schon bei Drei- bis Fünfjährigen lassen sich Diskriminierungen aufgrund von Besonderheiten im Aussehen anderer beobachten", erzählt Petra Wagner, Leiterin des Berliner Projekts "Kinderwelten". Wagner zufolge äußern Kindern Unbehagen gegenüber Andersartigkeit. Das kann zum Beispiel eine andere Hautfarbe oder das Geschlecht sein.

Unterschiede bewerten schafft Vorurteile

Ebenso korrigieren sie bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften als unangemessen für Frauen oder Männer. Sie haben also schon ganz konkrete Vorstellungen davon, was Frauen und was Männer tun.

Eltern und Erzieher würden sich oft Vorwürfe machen, weil sie sich doch bemüht hätten, keine Unterschiede zu machen. In den USA war es lange Zeit üblich, Kinder daran zu hindern, Unterschiede wahrzunehmen. Nach dem Motto: Wer keine Unterschiede sieht, entwickelt keine Vorurteile. "Aber Kinder lernen aktiv und aufmerksam zu beobachten und nehmen gegebene Unterschiede wahr", sagt die Pädagogin Wagner.

Und davon gibt es viele: Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, soziale Klasse, körperliche Fähigkeiten, Behinderungen oder sexuelle Orientierung. Die Unterschiede an sich seien nicht das Problem, meinen die Experten. Erst die unterschiedliche Bewertung und die damit verbundene Rechtfertigung für den ungleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Positionen würden diskriminierende Vorurteile schaffen.

Vorurteile sind per se nicht unbedingt böse. Einem kognitiven Ansatz nach sind sie entstanden, um uns bei der Verarbeitung von Informationen zu helfen. Jeder Mensch bildet demnach in seiner komplexen Umwelt Kategorien, um subjektiv wichtige von unwichtigen Informationen trennen zu können. Dadurch wird die Informationsflut kleiner und man bleibt handlungsfähig.

Eltern müssen gutes Beispiel abgeben

Kinderpsychiater Friedrich sieht den Ursprung von Vorurteilen aber vor allem im Streben nach Macht. "Wir sind ständig darauf aus, besser als andere zu sein", meint er. "Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder drücke ich den anderen hinunter oder ich erhöhe mich über ihn."

Weil alle Menschen diese Bedürfnisse in sich tragen, sei es wichtig, schon früh gegenzusteuern. Eltern und Betreuer müssten einerseits aufmerksam bleiben und gegen das Aufkeimen von Vorurteilen vorgehen. Der Kinderpsychiater rät dazu, die Kleinen aktiv mit ihren Vorurteilen zu konfrontieren. Auf der anderen Seite müssten die Eltern darauf achten, ihren Kindern mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn, wie Friedrich sagt: "Es gibt keine vorurteilsfreie Welt. Aber es kann zumindest eine vorurteilsarme Welt geben."