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Andreas Treichl

Von Ingeborg Waldinger und Karl Leban

Reflexionen
"Es muss einen stärkeren Dialog zwischen Wirtschaft und Politik geben." - Andreas Treichl im Gespräch mit Ingeborg Waldinger und Karl Leban. Foto: Robert Wimmer

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Wiener Zeitung: Herr Generaldirektor Treichl, Sie haben im Vorjahr eine "Bank für Menschen ohne Bank" - die "Zweite Sparkasse" - eröffnet und mit diesem Brückenschlag zwischen Kapital und Armut ein neues Kapitel in der europäischen Bankengeschichte aufgeschlagen. Versagt die Politik bei der Sicherung des Gemeinwohls?Andreas Treichl: Man kann nicht sagen, dass die Politik versagt. Die Politik bemüht sich sehr, aber es gibt einen Teil der Gesellschaft, der von den Bemühungen der Politik nicht wirklich berührt wird. Und das ist genau der selbe Teil der Gesellschaft, der auch vom Steigen des Wohlstandes durch das wirtschaftliche Wachstum nicht profitiert. Ich bin überzeugt, dass es einen erheblich stärkeren und engeren Dialog zwischen der Wirtschaft und der Politik geben muss, um die Probleme dieser Menschen zu lösen. Was wir mit der Zweiten Sparkasse gemacht haben, ist etwas ganz Kleines, der Beginn eines Aufbruchs in diese Richtung.

Bekommt grundsätzlich jeder Österreicher ohne Bankverbindung Zugang zur Zweiten Sparkasse, oder gelten da ganz spezielle Kriterien?

Da gelten ganz besondere Kriterien. Man muss berücksichtigen, dass Menschen keineswegs nur aufgrund eines Schicksalsschlages nicht in den Genuss eines Bankkontos kommen. Es gibt auch solche, die kein Bankkonto haben sollten, weil sie damit nicht umgehen können. Bei der Zweiten Sparkasse geht es um die Menschen, denen wir mit einer Bankverbindung den Wiedereinstieg in die Gesellschaft ermöglichen wollen. Diese Anwärter werden einem sehr professionellen Prüfungsprozess unterzogen, damit sie Kunde der Zweiten Sparkasse werden können.

Welche Produkte bietet diese "Sozialbank" ihren Kunden an?

Zunächst einmal ist es das Grundprodukt - schlicht und einfach ein Konto. Das ist ja der wesentliche Faktor, der Menschen vom Geldleben ausschließt: dass sie über kein ganz normales Konto verfügen, auf das Zahlungen eingehen - und von dem aus Zahlungen getätigt werden können. Dieses Basisprodukt bieten wir nun an, allerdings stehen auf dem Konto weder Überziehungsmöglichkeiten noch Kreditrahmen zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es ein Anspar-Modell und eine sogenannte Mikroversicherung, die über unseren Geschäftspartner, die Wiener Städtische, zur Verfügung gestellt wird. Derzeit bietet die Zweite Sparkasse keine Finanzierungs- oder Kreditprodukte an. Dieses Geldinstitut ist kein "Mikrofinance"-Institut. - Das wird aber möglicherweise der nächste Schritt sein.

Ist die Zweite Sparkasse auf der Bankkarte oder den Bankauszügen der Kunden als kontoführendes Institut ausgewiesen - und der Konto-Inhaber dadurch erst recht sozial "markiert"?

Die Kunden sind Kunden der "Zweiten", und als solche auch ausgewiesen. Diesen Aspekt haben wir uns sehr wohl überlegt. Die Nennung der Zweiten Sparkasse als kontoführendes Institut kann eine negative Konnotation haben, aber durchaus auch eine sehr positive. Aufgrund des höchst professionellen Auswahlverfahrens glaube ich eher, dass Zweiteres der Fall ist: Wenn wir dieses Projekt weiterhin erfolgreich führen, werden die Klienten in der Zukunft einen Status als mögliche Kunden haben - hoffentlich bei uns, oder auch bei einer anderen Bank.

Zurzeit gibt es eine Geschäftsstelle im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Sind weitere Filialen, vielleicht auch in den Bundesländern, geplant?

Ja, wir haben Gespräche mit den Sparkassen in Österreich geführt. Es sieht danach aus, dass andere Sparkassen unseren Schritt nach vollziehen wollen, und wir Geschäftsstellen der "Zweiten" in den Bundesländern eröffnen werden.

Während das Neustart-Konto der Zweiten Sparkasse österreichischen Bürgern in wirtschaftlicher Notlage hilft, ermöglicht die neue Mikrofinanzanleihe der Erste Bank privaten Anlegern ethisches Investment. - Lassen sich Performanceerwartungen und das Prinzip der Nachhaltigkeit überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner bringen?

Das ist leider nicht so einfach. Hier wurde ein Hybridinstrument kreiert, mit dem man eine Investition tätigen kann, die Nachhaltigkeit generieren soll. Diesen Anspruch gibt es auch im Umweltschutzbereich bei vielen Produkten. Über die Mikrofinanzanleihe sollen nun jenen Menschen Geldmittel zufließen, die sonst keinen Zugang zu einem Kredit haben.

Diese Dienstleistung wollen wir mit einem Produkt verbinden, das auch eine angemessene Rendite erwirtschaftet. Es geht hier um eine ganz essentielle Produktentwicklung, die sich noch im Anfangstadium befindet. Wir alle werden, glaube ich, erst über die nächsten Jahre den richtigen Weg finden müssen, wie stark man die Ertragskomponenten für den Investor mit den Nachhaltigkeitskomponenten verbinden kann. Ich halte diese Mikrofinanzanleihe für einen sehr guten Weg, einen Einstieg. Ich betrachte sie als eine Neuorientierung für die Zivilgesellschaft.

Wie gelangen die mit dieser Anleihe finanzierten Mikrokredite an die Zielgruppe, nämlich Kleinstunternehmer in den Entwicklungsländern?

Die Kleinkredite werden über ein Institut an lokale Mikrofinanzinstitute verteilt, die einen Bedarf an langfristiger Refinanzierung haben. Darauf verlassen wir uns natürlich sehr stark, aber auf einem derzeit schon sehr gut funktionierenden Markt.

Gibt es Branchen, die prinzipiell ausgeschlossen werden?

Man kann bei den Kreditnehmern der Mikrofinanzinstitute noch nicht wirklich von Branchen reden, aber es sollten ethisch wertvolle, ins normale Gesellschaftsleben integrierbare Aktivitäten von Kleinkommerzfirmen sein.

Ist das Investmentrisiko in die sem Bereich nicht besonders hoch?

Das Investmentrisiko in diesem Bereich ist erstaunlicherweise sogar sehr viel niedriger als in anderen Segmenten, weil die Rückzahlungsquoten wesentlich höher sind, als man sie üblicherweise im Mikrofinanzierungswesen erwarten würde. Die Quoten liegen weit über 90 Prozent, ja erreichen bis zu 98 Prozent.

Ethische, nachhaltige Investments sind im angloamerikanischen Raum bereits weit verbreitet und werden auch in Europa immer populärer. Sind Anlageformen mit "moralischem Mehrwert" nur ein Ausgleichsprodukt neoliberalen Wirtschaftens, oder zeichnet sich da der Beginn einer ganz neuen Finanzethik ab?

Da könnten wir über die Fragen diskutieren: Was ist ein Ausgleichsprodukt neoliberalen Wirtschaftens, wie will man neoliberales Wirtschaften definieren? Aber wenn Sie von dem Grundprinzip ausgehen, dass eine Wirtschaftseinheit, egal welcher Branche, an und für sich dazu da ist, für ihre Eigentümer einen Mehrwert zu erzeugen, und alles andere im Wesentlichen Mittel zum Zweck ist, dann haben wir hier wahrscheinlich eine der ganz wesentlichen Fragen - und unter Umständen auch Antworten darauf -, wie man das zunehmende Auseinanderklaffen von Armut und Reichtum nicht nur abschwächen, sondern wennmöglichst sogar zurückführen kann. Denn die Reichen werden reicher und die Armen bleiben arm oder werden noch ärmer, und gegen diese Schere muss man etwas tun. Hier liegt vermutlich das gesellschaftliche Problem der nächsten hundert Jahre schlechthin.

Entwickelt sich Corporate Social Responsibility, also ethisches Handeln von Unternehmen nach außen und im eigenen Bereich, Ihrer Ansicht nach zu einer eigenen "Marke"?Und droht ein inflationärer Gebrauch dieses "Labels"?

Der droht nicht, der ist schon da. Corporate Social Responsibility wird in weiten Bereichen zum Marketinginstrument degeneriert und birgt in sich selber eine große Gefahr, weil sie allzu oft mit einem stark auf den Eigennutzen von Personen orientierten Wirtschaften verwechselt wird. Daher mag ich Corporate Social Responsibility - als Begriff - nicht sonderlich gerne.

Die Erste Bank - vormals Erste Österreichische Spar-Casse - hat sich seit ihrer Gründung 1819 zu sozialer Verantwortung bekannt. Sie hat beispielsweise vielen Katastrophenopfern geholfen. - Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Sozialpflichtigkeit des Kapitals?

Die Erste Österreichische hat sich nicht zu etwas bekannt, sondern ist im Wesentlichen mit Sozialkapital gegründet worden. Die Gründungsväter haben das Geld nicht hergegeben, weil sie damit Geld verdienen wollten. Sie haben das Grundkapital für die Erste Österreichische zur Verfügung gestellt, weil sie den sozialen Zweck verfolgten, Menschen Bankprodukte zur Verfügung zu stellen, die damals keinen Zugang dazu hatten, - weder zu Krediten, noch zu Einlagen. Vom Gründungsgedanken her war dieses Institut ein rein soziales Projekt. Diesem Prinzip fühlen wir uns schlicht und einfach verpflichtet, weil es ohne diesen Gedanken die Erste Bank auch nicht gäbe.

Seit einigen Jahren widmen Sie auch den Weltspartag einem gesellschaftspolitischen Anliegen. Steht das Motto für 2007 bereits fest?

Ja, der Tag wird im Zeichen des "Sparefroh" stehen. Mit dem Revival dieser Figur soll die allgemeine Notwendigkeit des Sparens wieder in den Blickpunkt rücken - und insbesondere die Jugendlichen angesprochen werden.

Die Förderung kultureller Projekte hat in Ihrem Institut ebenfalls eine lange Tradition. Was bringt Kultursponsoring der Bank, - und welche Vorgaben bekommen die Geförderten?

Kultursponsoring im eigentlichen Sinne machen wir erst seit wenigen Jahren. Davor hat es sich im Wesentlichen um eine unkoordinierte Zurverfügungstellung von Mitteln an den Kulturbereich gehandelt.

Ich würde Kultursponsoring nicht direkt als Marketing bezeichnen, sondern als eine Imagekomponente. Leider aber wird Kultursponsoring in Österreich üblicherweise noch immer in der Art gepflogen, dass sich Manager großer Firmen mit dem Geld ihrer Aktionäre in Kulturkreisen bewegen. Bei diesen Aktivitäten sollte meines Erachtens immer die Institution im Vordergrund stehen und nicht die handelnden Personen. Kulturmarketing und Kultursponsoring sind sehr wohl getrennt zu sehen.

Unser Kultursponsoring ist extrem stark abgekoppelt von der Erste Bank. Wir tun sehr viel, um Künstlern einfach Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, ohne uns in ihre kulturellen Aktivitäten einzumischen. Und ohne dann lautstark hinauszuposaunen: Das ist eine Aktivität der Erste Bank! Die Förderung läuft auch unter einem anderen Namen. Die Verbindung zur Erste Bank ist natürlich gegeben, aber um wesentlich mehr Ecken, als das im normalen Kulturmarketing der Fall ist. Reines Kulturmarketing praktizieren wir in weitaus geringerem Umfang als viele unserer Konkurrenten.

Die Erste Österreichische Spar-Casse hat im 19. Jahrhundert maßgeblich den Bau des Wiener Musikvereins mitfinanziert und 2003 die Errichtung des neuen Foyers. Was verbindet gerade diese beiden Häuser?

Die Verbindung besteht darin, dass wir ein Gründungsmitglied waren. Und in diesem Fall kann man durchaus von einem langfristigen Kulturmarketing sprechen. Wir haben einen relativ hohen Beitrag geleistet. Dafür gibt es jetzt eine "Erste Lounge" im Musikverein, die sich, glaube ich, relativ dezent darstellt. Das Schöne ist, dass sich so eine Partnerschaft über 150 Jahre halten kann.

Das Vereinsprinzip, das ja bei der Gründung der Ersten Österreichischen Spar-Casse ebenfalls eine Rolle gespielt hat, wirkt in diese Verbindung nicht hinein?

Nicht wirklich. Von Verein zu Verein, meinen Sie?

Ja, - in einem übergeordneten Sinne.

Nun, ein bisschen vielleicht schon, also ja.

Die Erste Bank vergibt an österreichische Nachwuchs-Komponisten Werkaufträge für Neue Musik. Hat es die künstlerische Avantgarde in Österreich besonders schwer?

Ich denke, die künstlerische Avantgarde hat es im Musikbereich extrem schwer, und das nicht nur in Österreich. Aber gerade hier sollte sie es doch etwas leichter haben. Die Musikavantgarde kämpft mit dem Problem, dass sich in ihrem Segment kein Markt entwickelt, weil man sich Musik nicht an die Wand hängen kann.

Im Gegensatz dazu kann es sehr wohl der Befriedigung der Erwerber dienen, sich ein äußerst schwieriges Bild irgendwo hinzuhängen. Ein Bild, das man zwar nicht versteht, mit dem man aber unter Umständen einen richtigen Griff getan, den richtigen Namen erwischt hat. Hingegen fällt es schwer, sich selber in den Mittelpunkt zu stellen, wenn man als Mann der Wirtschaft eine Komposition unterstützt, die sich kein Mensch anhört. Und die sich zudem weder im Büro noch im Wohnzimmer aufhängen lässt. Daher fristet die kontemporäre Musik ein recht missliches Dasein. Was man an der Reaktion der Komponisten sieht, die sich großteils in eine politische Einsamkeit zurückziehen.

Betätigt sich die Erste Bank auch in ihren neuen Märkten Zentral- und Osteuropas als Kultursponsor?

Die Stiftung und die Bank sehr wohl, sehr viel sogar. Es zählt wahrscheinlich zu den besten und wichtigsten Sachen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, dass wir jungen Künstlern von Tschechien bis nach Serbien die Möglichkeit geboten haben, zu arbeiten, gemeinsam zu schaffen, Erfahrungen auszutauschen. Wir haben sie unterstützt, ihre Werke auszustellen, und den Raum, in dem sie sich bewegen, wesentlich zu erweitern: im gesamten mittel- und osteuropäischen Raum miteinander zu diskutieren, und wieder eine Künstlergemeinschaft zu bilden. Dazu haben wir einen Beitrag geleistet, ja.

Sie haben den Ruf eines exzellenten Klavierspielers. Hatten Sie jemals den Berufswunsch, Musiker zu werden?

Der Ruf ist dramatisch übertrieben, ich bin ein ziemlich durchschnittlicher und leider auch nicht besser werdender Klavierspieler. Und wenn ich wirklich das Talent gehabt hätte, in die Musik zu gehen, sei es als Pianist oder als Dirigent, dann hätte ich es gemacht. Nachdem ich es offensichtlich nicht gehabt habe, habe ich mich dafür entschieden, ins Bankwesen einzutreten - denn dort kann man als durchschnittlich begabter Mensch ziemlich erfolgreich sein.

Eine Werbebotschaft der Erste Bank lautet: "In jeder Beziehung zählen die Menschen." - Ein schönes gesellschaftspolitisches Credo. Denkt der sozial engagierte Bankenchef - und ehemalige Finanzreferent der ÖVP - vielleicht auch an einen Einstieg in die Politik?

Ich? - (Lacht) Nein, sicher nicht, nein. Das ist vorbei und interessiert mich auch nicht mehr.

Zur Person:

Andreas Treichl , gebürtiger Wiener des Jahrgangs 1952, ist seit 1. Juli 1997 Generaldirektor der Erste Bank AG. Seine internationale Bankkarriere begann der Absolvent der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften vor 30 Jahren in New York, als Kreditanalyst der Chase Manhattan Bank. Innerhalb des Institutes wechselte er später an die Standorte Brüssel und Athen. 1983 folgte die erstmalige Tuchfühlung mit der Ersten Österreichischen Spar-Casse Bank AG, wo Andreas Treichl bis 1986 den Großkundenbereich leitete. Alsdann übernahm er für acht Jahre den Vorstandsvorsitz der Chase Manhattan Bank Austria, und eröffnete zudem deren Prager Filiale.

Zwischenzeitig war Andreas Treichl auch dem Ruf der Politik gefolgt: als Wahlkampfhelfer Erhard Buseks bei der Wiener Landtagswahl 1978, und als Finanzreferent der ÖVP. 1994 entschied sich der Manager gegen den Einzug in den Österreichischen Nationalrat - und für den Eintritt in die Erste Österreichische Spar-Casse Bank AG. Drei Jahre später bringt er die Vereinssparkasse an die Börse und macht sie zur größten Bank Österreichs. Die Erste Bank AG expandiert massiv nach Zentral- und Osteuropa und wird in den Reformländern zum führenden Finanzdienstleister.

Gründergeist und Leistungsdenken prägen Andreas Treichls Unternehmensphilosophie ebenso wie kulturelles und soziales Engagement. Beleg dafür sind etwa die zahlreichen Kooperationen mit österreichischen und internationalen Kultureinrichtungen, oder die Partnerschaft mit der Caritas. Einen Meilenstein im Kampf gegen die Armut setzte die Erste Privatstiftung 2006 mit der Gründung der Zweiten Sparkasse, die Erste Bank 2007 mit der Emission einer Mikrofinanzanleihe. Für die Verknüpfung von wirtschaftlichem Erfolg mit sozialem Verantwortungsbewusstsein wurde dem vielfach Ausgezeichneten heuer das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.