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Corona-Krisenmanagement sei Chaos, Forschungsfinanzierung wenig nachhaltig, sagt Industrieller Hannes Androsch.
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"Wiener Zeitung": 2020 hat die Welt in der Erforschung des Coronavirus und der Impfungen zusammengearbeitet. Auch Österreich scheint den Wert von Wissenschaft insofern erkannt zu haben, als eine neue Forschungsstrategie und ein Pakt für Forschung 3,86 Milliarden Euro für die größten Förderagenturen beschlossen wurden. Wissenschaftsminister Heinz Faßmann bezeichnete diese Schritte, in Anlehnung an eine von Ihnen geprägte Metapher, als "Pralinenschachtel, die mit Bonbons gefüllt ist". Sehen Sie das auch so?Hannes Androsch: Ich konnte das nicht im Budget 2020 finden und finde es auch nicht im Budget 2021. Wenn es also die Schachtel gibt, sind die Bonbons nach wie vor nicht drinnen.
Emmanuelle Charpentier, Chemie-Nobelpreisträgerin 2020, hat Österreich verlassen, weil sie zu wenig Mittel bekam für ihre Arbeit. Wie sollten verbindliche Finanzierungszusagen aussehen, damit so etwas nicht mehr passiert?
Damit so etwas nicht passiert, brauchen wir Planbarkeit und langfristige Finanzierungspfade, auch um die von Österreich mit verursachten gekürzten EU-Budgets für die nächsten zehn Jahre auszugleichen. Wir müssen es bei Universitäten und Fachhochschulen genau so machen, wie es richtigerweise beim Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg getan wurde: Budgets über mehrere Jahre absichern. Jedes Jahr verlassen uns 8.000 der besten Köpfe, das ist ein Brain Drain insbesondere bei fertigen Medizinern, die bei uns studieren und dann in die Schweiz und nach Deutschland gehen, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden. Derzeit haben wir aber noch weniger Bonbons als Dosen des groß angekündigten Impfstoffs: Das arme Griechenland hat vier Millionen Impfungen bereits abgewickelt und das reiche Österreich nur 100.000. (Tatsächlich möchte Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis zwei Millionen Bürger mit beiden Shots versorgen, Kritiker halten zwei Mal 800.000 für realistisch, Anm.) In manchen Bundesländern wurde noch nicht einmal mit der Registrierung begonnen. Man sagt: Impfen jetzt, aber ohne Vakzin, weil nicht bestellt wurde - das ist ein Regierungsversagen der besonderen Art. (Nach Kritik an einem verzögerten Impfstart wurde dieser doch früher begonnen. Österreich hat nun mehrere Millionen zusätzliche Dosen der Covid-Schutzimpfung von Biontech/Pfizer bestellt, Anm.)
Üblicherweise dauert es viele Jahre, um einen Impfstoff zu entwickeln. Dass es jetzt so schnell ging, liegt auch daran, dass Forscher und Unternehmen aus aller Welt an einem Strang zogen . . .
. . . und weil es inkrementelle Vorarbeiten gab, wie die Entschlüsselung der DNA, des Genoms und der Proteine - die allerdings nicht in Österreich geleistet wurden. Jetzt sollte klar sein, wie wichtig Forschung ist. Dieses Verständnis hat bislang gefehlt. Auch für Europa geht es darum, die Ärmel hochzukrempeln in den Bereichen Forschung, Bildung und Schulen. Insbesondere in den Schulen sind die Probleme derzeit perfekt, was die soziale Kluft dramatisch vertieft. Das Krisenmanagement ist ein einziges Chaos.
Wenn es Globalisierung gibt, ist es in den Wissenschaften. Sollte das im Allgemeinen auch so sein, oder sichern sich nicht gerade innovative Unternehmen ihre Competitive Edge, eben weil sie anderen nicht sagen, was sie gerade entwickeln?
Was die Ergebnisse von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung betrifft, ist jeder bestrebt, seine Arbeit in Journalen ehestmöglich zu veröffentlichen. Jeder Arzt kann im Computer zu schwierigen Einzelfällen schauen, was in Australien, Harvard oder China passiert. Nur muss man auch in Österreich einen Beitrag leisten und da sind wir Nachzügler. Das zeigen Rückfälle in Rankings und eine größere Arbeitslosigkeit, die seit Corona noch stärker angestiegen ist als in Deutschland.
Auf den Punkt gebracht, was kann die Forschungspolitik aus der Corona-Krise lernen?
Die Politik muss lernen, wie wichtig es ist, den Forschungseinrichtungen die notwendigen Ressourcen zu geben, damit es goldene 20er Jahre der Wissenschaft und Forschung werden. Das ist aber bisher nicht vorgesehen. Die alte Forschungsstrategie wurde nicht erreicht, die neue enthält keinen Finanzierungspfad, das Forschungsfinanzierungsgesetz keine Finanzierung und der Wissenschaftsfonds vergibt mit 237 Millionen Euro im Jahr weiterhin bloß ein Viertel des Schweizer Nationalfonds, während die Uni-Budgets in Wien und Graz sich mit jenen in Heidelberg oder Zürich nicht messen können. Wir reihen in Österreich auf den letzten Plätzen in der Digitalisierung, weil wir das Breitbandnetz zu wenig ausgebaut haben. Die EU hat seit 1990 das Sozialprodukt um 60 Prozent erhöht und den Treibhausgas-Ausstoß um 30 Prozent gesenkt, Österreich aber nicht. Und die Corona-Impfung kann nur dann ein Licht am Ende des Tunnels der Pandemie bringen, wenn man ausreichende Mengen bestellt.
Es geht in diesen Zeiten auch um gesellschaftliche Verantwortung. Deutschlands Außenminister Heiko Maas, ein Sozialdemokrat wie Sie, sagte, dass man die Corona-Einschränkungen für Menschen, die sich gegen Covid-19 impfen lassen, verringern müsste, weil diese die Intensivstationen nicht belasten. Was halten Sie von der Idee, dass sich die Maßnahmen von Gruppe zu Gruppe unterscheiden?
Ich halte nichts davon, wir wollen ja im Bezug auf die Pandemie keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Woran sollte man außerdem Geimpfte erkennen? Mit einer Art Blindenschleife, um vielleicht eine Art Impfneid zu fördern? Wenn wir das machen, müsste mein Enkelsohn bis Ende Sommer zu Hause bleiben, aber der alte Großvater dürfte mit Impfblindenbinde hinaus.
Was ist die Alternative? Auch Geimpfte verweilen im Lockdown?
Man müsste man den Lockdown intelligenter gestalten als unser ständiges Hü und Hott. Die zweite Welle traf uns unvorbereitet, obwohl alle wussten, dass sie kommt, die Regeln ändern sich ständig und niemand kennt sich aus. Dabei gibt es unzählige Studien, wie man das intelligenter hätte machen können und daher müssen. Das gilt für Museen, Gastronomie, den Einzelhandel und insbesondere für die Schulen. Die Impfung ist nur eine zusätzliche Hilfe zur notwendigen, präzisen, vorausschauenden Pandemiebekämpfung, um zu vermeiden, dass das Virus mehr Kollateralschäden verursacht als die Krankheit Opfer zählt. Schutzvorkehrungen wurden ja bereits getroffen, aber abgedreht.
Sind Sie für eine Impfplicht, sei es eine generelle oder eine für bestimmte Berufsgruppen?
Ja, ich bin für eine Impfpflicht für Berufsgruppen, die besonders gefährdet und gefährdend sind, wie Pflege- oder Spitalspersonal. Bei den anderen ist das freiwillig, wenn die Vernunft sich hinreichend verbreitet.