Viele Menschen wissen oft ein Leben lang nicht, dass sie an einer Stelle der Schlagader eine "Gefäßaussackung" oder ein Aneurysma haben. Die Gefahr, dass dieser erweiterte Teil des Gefäßes platzt, ist jederzeit gegeben. In den meisten Fällen wird dieses Phänomen nach der 1. Blutung entdeckt.
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Eine Dame mittleren Alters saß in der Kabine eines Passagierschiffes. Sie unterhielt sich mit ihrer Sitznachbarin, plötzlich griff sich die Frau auf den Kopf und lässt diesen langsam auf den vorderen Sitz sinken. Die Reisende am Nachbarsitz beugt sich über sie und fragt, ob sie vielleicht seekrank geworden sei. Doch die Frau macht eine schwache Handbewegung, so als wollte sie andeuten, es wäre alles in Ordnung. Die Mitreisende erkannte bei der Frau allerdings eine Gesichtslähmung, die sich mit Speichelaustritt aus dem rechten Mundwinkel manifestierte und schlug Alarm.
Über Funk wurde in der nächsten Hafenstadt die Rettung gerufen. Als das Schiff angelegt hatte, befand sich die Frau bereits im Koma. Im Krankenhaus entdeckte man bei einer Punktion der Rückenmarkflüssigkeit große Mengen Blut. Einige Stunden später verstarb die Dame. Die Obduktion ergab ein geplatztes Aneurysma im Gehirn als Ursache. Was ist nun die Ursache einer derartigen Erkrankung?
Man stelle sich einen alten Gartenschlauch vor
Man stelle sich vielleicht einen alten Gartenschlauch aus Kunststoff vor, der sich schon recht rau und brüchig anfühlt. Auf der Innenseite haben Ablagerungen, wie beispielsweise Kalk, das Durchflussvolumen verkleinert. Das unter Druck befindliche Wasser versucht mit aller Kraft durch den verengten Schlauch zu kommen und bläht an einer schwächeren, porösen Stelle den Schlauch leicht auf. Je häufiger man Wasser mit großem Druck durch den Schlauch fließen lässt, desto größer ist die Gefahr, dass dieser an der überdehnten Stelle platzt.
Auch an den Blutgefäßen im Körper, wie der Schlagader, kann bedingt durch Cholesterin- aber ebenso Kalkablagerungen eine solche Aussackung entstehen. Dadurch nimmt die Elastizität der Gefäßwand ab und weitet sich auf Grund des Blutdruckes aus. Die entstandene Erweiterung füllt sich mit Blut und wächst, dadurch werden die Gefäßwände allerdings immer dünner und die Gefahr eines Platzens ist gegeben. Die Folge können etwa Bewusstseinsstörungen, Krämpfe oder Lähmungserscheinungen sein - aber in vielen Fällen auch bis zum Koma führen. Ebenso die Gefahr, dass der Patient innerlich verblutet, ist dabei gegeben.
Diese gefährlichen Gefäßaussackungen treten sehr häufig im Bereich Bauchschlagader auf, jedoch auch im Brustbereich sowie im Gehirn.
Nicht immer bedeutet ein Aneurysma - auch dann, wenn es bereits geplatzt ist - den sicheren Tod für die betroffene Person. Dr. Gedeon Perneczky, Oberarzt an der neurochirurgischen Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung, beziffert die Anzahl jener Patienten, die nach einer Blutung ins Krankenhaus kommen und ohne bleibende Schäden gerettet werden können, mit 70 Prozent.
Bei weiteren 20 bis 30 Prozent der Patienten bleiben nach den Erfahrungen des Neurochirurgen Schäden wie Lähmungen oder auch eine eingeschränkte Sprech- oder Sehfähigkeit zurück. Allerdings sterben 30 Prozent der Erkrankten bei der Erstblutung, und 50 Prozent aller Aneurysma-Patienten erliegen ihrem Leiden, wenn es sich bereits um eine Zweitblutung handelt.
Ein Aneurysma ist deshalb heimtückisch, weil es sich nicht bemerkbar macht. Erst wenn es platzt, klagen die Betroffenen über sehr heftige Kopfschmerzen, Brechreiz und Übelkeit, aber auch über Nackensteife. "Zunehmend stellen wir diese Anomalie bei Untersuchungen fest, bei denen nach etwas ganz anderem gesucht wurde, wie beispielsweise pathologischen Veränderungen im Gehirn," erzählt Neurochirurg Dr. Perneczky aus Erfahrung.
Wie lässt sich nun aus medizinischer Sicht eine Aussackung an der Gefäßwand behandeln? Es gibt diesbezüglich zwei Optionen, die nicht miteinander konkurrieren, sondern einander ergänzen sollen: Die konventionelle Operation mit der Freilegung und Clippung sowie die endovasculäre Ausschaltung des Aneurysma mit kleinen Metallspiralen. Dieses Verfahren bezeichnet man auch als
"Coiling". Die entsprechend dem Krankheitsverlauf des jeweiligen Patienten optimale Therapieoption wird in den meisten Fällen immer von den Neurochirurgen und Neuroradiologen gemeinsam ausgesucht.
Auch im Brust- und Bauch- bereich Aneurysmen möglich
Doch nicht nur im Gehirn kann im Bereich der Schlagader ein Aneurysma entstehen, sondern auch im Brust- und Bauchbereich. Univ.Prof. Dr. Ernst Wolner ortet auch hier als Verursacher Bluthochdruck, sowie Gefäßverkalkungen und einen hohen Cholesterinspiegel.
Der auf den Herz-Thorax-Bereich spezialisierte Chirurg bewertet die Gefährlichkeit von einem Aneurysma an der Bauchschlagader als vier Mal so hoch wie eine Gefäßaussackung im Gehirn oder im Brustbereich. Leider manifestiert sich diese Art eines Aneurysma auch nicht vorher durch Schmerzen, sondern wird durch Zufall mittels einer Ultraschalluntersuchung festgestellt.
Nach der genauen Diagnose wird meist, um die genaue Lage und Größe des Aneurysma festzustellen, eine Computertomographie angefertigt oder eine Darstellung der betroffenen Gefäße mit Hilfe eines Kontrastmittels gemacht. Ein Kriterium für den behandelnden Arzt ist die Größe einer Gefäßaussackung, die zwischen fünf und bis zu acht Zentimeter groß werden kann. Ab einer Größe von ungefähr fünf Zentimetern empfehlen sowohl die Internisten als auch die Neurochirurgen die operative Entfernung des Aneurysmas. Je größer die gefährliche Gefäßaussackung, desto größer ist auch die Gefahr einer Ruptur, also eines Platzens des Blutgefäßes.
Das Bauchaortenaneurysma ist gegenwärtig die häufigste Art dieses Phänomens. Wissenschafter haben mittlerweile festgestellt, das gerade dieses Blutgefäß für Schwächen bezüglich der Wandstruktur anfällig ist und aus diesem Grund von einer degenerativen Entwicklung gesprochen werden kann, die durchwegs mit dem Lebenswandel in der Wohlstandsgesellschaft in direktem Zusammenhang steht.
Muss aber nicht immer schmerzfrei bleiben
Es muss nicht immer der Fall sein, dass ein Aneurysma schmerzfrei bleibt und durch Zufall bei einer Routineuntersuchung festgestellt wird: Der 72-jährige Pensionist Hans M. klagt seit einigen Tagen über stärker werdende Rückenschmerzen, die auch im Bereich der Lenden spürbar seien. Der behandelnde Hausarzt schickte seinen Patienten zu einer Bauch (Abdomen)-Ultraschalluntersuchung, bei der ein ungefähr acht Zentimeter großes Aortenaneurysma endeckt wurde. Der Mann wurde sofort ins Spital eingewiesen, wobei dort zur genauen Feststellung der Position der Gefäßaussackung eine Arteriographie der Aorta beziehungsweise eine Computertomographie des Unterleibes durchgeführt wurde. Damit konnte sich das Operationsteam optimal auf eine Notoperation in dieser heiklen Situation auch im Bezug auf das Alter des Patienten vorbereiten, die letzten Endes auch erfolgreich gelang.
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Formen von Aneurysmen
Die Medizin unterscheidet gegenwärtig zwischen sieben verschiedenen Formen von Aneurysmen:
1) Angeborene Aneurysmen, die Menschen seit Geburt an haben und auf einer Fehl- oder Unterentwicklung der mittleren Schicht der Gefäßwand (Media) der Arterien beruhen. Diese treten häufig an den Hirn- und an der Nierenarterien auf. Entsprechend gehören die Hirnaneurysmen zu dieser Gruppe.
2) Arteriosklerotische Aneurysmen entstehen durch Dehnungen der Arterien, bedingt durch Cholesterin- oder Kalkablagerungen und betreffen sehr oft die Baucharterie. Davon sind Männer jenseits des 50. Lebensjahres stärker betroffen als Frauen gleichen Alters oder jüngere Männer.
3) Syphilitische Aneurysmen beruhen auf einer Luesinfektion, welche die mittlere Schicht einer Arterie (Media) nachhaltig schädigen und damit Gefäßaussackungen ermöglichen. Diese Form wird gegenwärtig allerdings selten beobachtet.
4) Traumatische Aneurysmen sind durch eine äußere Verletzung (Trauma) entstanden.
5) Mykotische Aneurysmen können durch bakterielle oder virologische Infektionen der Gefäßwand (ausgenommen die Infektionskrankheit Lues) entstehen.
6) Poststenotische Aneurysmen liegen strömungsmechanisch bedingte Änderungen des Blutflusses zu Grunde, welche die Gefäßwand ermüden lassen.
7) Inflammatorische Aneurysmen sind eine Sonderform der krankhaften Arterienausweitungen ohne Keimnachweis, die bei ungefähr drei bis zehn Prozent der Bauchaortenaneurysmen nachweisbar sind.