"Sometimes, a hug is all what we need", steht zu lesen auf der offiziellen Seite der "Free Hugs Campaign". Ins Leben gerufen wurde die Plattform von einem Australier mit dem Pseudonym Juan Mann, der sich am Flughafen von Sydney einsam fühlte. Niemand war gekommen, um ihn zu begrüßen, um ihn herum fielen Freunde und Familien einander um den Hals. So malte er sich kurzerhand ein Pappschild, mit dessen Hilfe er "Gratis-Umarmungen" feilbot. Es vergingen 30 Minuten, bis die erste Kundin das Angebot in Anspruch nahm.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Beim Thema Körperkontakt hat sich in den letzten Jahren der Fokus von einem primär pädagogischen zu einem gesellschaftlichen ausgeweitet. Ging es früher darum, wie wichtig es ist, Babys und Kleinkinder zu berühren und zu tragen, so gehen nun die Erkenntnisse dahin, dass Berührungen für Menschen jeden Alters essenziell sind.
Die Haut als unser größtes Organ hat wesentlichen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Die an ihr gemachten Erfahrungen begleiten ein Leben lang und wirken auf die Entwicklung der Wesenszüge eines Menschen, bis hin zu seinen sozialen Kompetenzen.
Berührungen bedeuten ein Angenommenwerden, Wertschätzen und Wahrnehmen der Person. Sie lösen im Körper chemische Prozesse aus, die uns positiv beeinflussen und eine Lust auf mehr auslösen. Gibt es Defizite in diesem Bereich, spricht man von "touch hunger", Berührungshunger.
Dieses Phänomen ist auf die westlichen Kulturen begrenzt und betrifft hier vorwiegend allein lebende und alte Menschen. Allerdings machen Untersuchungen darauf aufmerksam, dass sich der zwischenmenschliche Kontakt in Partnerschaft und Familie über die letzten Jahre weiter reduziert hat. Oft veranlassen gesellschaftliche Konventionen zur Zurückhaltung und hemmen den zwischenmenschlichen Umgang. Einfach so, über den Kaffeehaustisch hinweg, eine Hand auf einen befreundeten Unterarm zu legen, fällt uns immer schwerer. In Brasilien passiert es praktisch permanent, in Großbritannien so gut wie nie.
Wird mit den gesellschaftlichen Spielregeln gebrochen, kommen beklemmende und zurückweisende Gefühle auf. Dabei drängt sich die Frage auf, warum es ob der Seltenheit und des angeblichen Verlangens nach Körperkontakt kaum möglich ist, angenehme Berührungen als solche wahrzunehmen und auch stehen zu lassen. Kompliziert wird es erst, wenn hinter jedem Schulterklopfen und jeder kleinen Liebkosung eine Absicht vermutet wird.
Ein einfaches Nettsein, dass ohne weitere Bedingungen auskommt, ist kaum noch vorstellbar. Soziologen weisen darauf hin, dass flüchtige Berührungen im Bekannten- und Freundeskreis, die ohne weiteren Hintergrund passieren, schnell als latent sexuelle Annäherung gedeutet werden. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Mut zu spontanen, freundlichen Gesten schwindet. Ein altes Dilemma. Jeder will es, keiner traut sich. Der nächste "Free Hug Day" kann am 2. Juli 2011 begangen werden.
Eva Mayer ist evangelische Religionspädagogin in Niederösterreich.