Berlin - Mit einem Job "ohne Netz und doppelten Boden" hatte die Parteichefin der deutschen Christdemokraten (CDU), Angela Merkel, gerechnet. Doch die Ostdeutsche, die Mittwoch dieser Woche genau 100 Tage die große konservative Volkspartei führt, kämpft mit der Vergangenheit. Das Erbe ihres großen Vorgängers und Entdeckers Helmut Kohl bereitet Merkel, die heute, Montag 46 Jahre alt wird, nach wie vor Probleme.
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"Um der Glaubwürdigkeit der Partei willen" gebe es keine Alternative zum Kurs der Aufklärung in dem Finanzskandal, in dem der frühere Kanzler und Parteichef die zentrale Rolle spielt, hatte sie bei ihrer Wahl auf dem Parteitag in Essen am 10. April betont.
"Wir können nur dann weiter begeistert über Helmut Kohl sprechen, wenn wir auch die Kraft haben, über die Fehler zu sprechen, die in seiner Zeit passiert sind", bekräftigte sie vor kurzem bei einer Parteikundgebung. Ihre Linie war von Anfang an klar: Würdigung der historischen Verdienste des "Kanzlers der deutschen Einheit" und deutliche Kritik an dessen Fehlverhalten gehören zusammen.
Tadel Merkels an Kohl wird unpopulär
Je mehr sich aber der 3. Oktober, der zehnte Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, nähert, umso weniger gerne hören viele in ihrer Partei diesen Tadel. Die CDU habe eine "offene Flanke", weil Kohl sich weiter weigert, die Namen der anonymen Spender von zwei Millionen Mark (1,023 Mill. Euro/14,1 Mill. Schilling) aus den Jahren 1993 bis 1998 zu nennen, erklärte Merkel jüngst.
Dass sie sich noch einmal klar von Kohl distanzierte, als dieser vor den Untersuchungsausschuss zur CDU-Affäre treten musste und der Finanzskandal wieder Schlagzeilen machte, kostete ihr viele Sympathien, vor allem in der Parlamentsfraktion.
Krisenretterin nach Schäuble-Rücktritt
Dabei war Merkel der Partei in den schwersten Wochen der Krise Ende vergangenen und Anfang dieses Jahres als die Retterin aus aller Not erschienen. Im Triumphzug setzte sich die damalige CDU- Generalsekretärin durch, als der in den Affären-Strudel geratene Partei- und Fraktionschef Wolfgang Schäuble abtreten musste.
Bei Regionalkonferenzen feierte die Basis Merkel - alle männlichen Konkurrenten hatten das Nachsehen. Bis zur CDU-Wahlschlappe in Schleswig-Holstein hatte sich auch noch der stellvertretende Parteivorsitzende und ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe Chancen auf die Schäuble-Nachfolge gemacht. Auch die Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Kurt Biedenkopf waren als mögliche Übergangskandidaten genannt worden. Mit fast 96 Prozent wurde sie als erste Frau an die Spitze einer großen deutschen Partei gewählt. 100 Tage später sind jedoch bei manchen Zweifel aufgekommen, ob das eine gute Entscheidung war. Führungsschwäche werden ihr und dem neuen CDU-Bundestags-Fraktionschefs Friedrich Merz, vorgehalten. "Rot-grün kann sich warm anziehen", hatte Merkel bei ihrer Wahl die Regierungskoalition gewarnt. "Es geht zur Sache." Doch die politische Offensive fällt den Christdemokraten schwer.
Die neue CDU-Führung will - etwa bei den großen innenpolitischen Reform-Vorhaben - ihre Forderungen durchsetzen, kann aber damit bislang kaum Punkte machen. "Kritisieren, ohne zu blockieren" heißt die Devise, die kaum als Kampfparole taugt.
Bei der Renten- wie bei der Steuer-Reform tut sich die konservative Partei selbst nach Ansicht wohlgesonnener Beobachter schwer, die Regierung wirksam zu attackieren. Bisher beobachtet Bundeskanzler und SPD-Parteichef Gerhard Schröder seine Konkurrentin noch gelassen, selbst wenn Merkel in Umfragen bessere Sympathie-Werte verbucht.
Ein "Gemeinschafts-Gefühl" will die ehemalige Umweltministerin nach eigener Aussage ihrer Partei vermitteln. Eine "gemeinsame Programmatik und Plattform" wolle sie vertreten und entwickeln. Das ist als Chefin einer Volkspartei wie der CDU nicht einfach, zumal die bayerische Schwesterpartei CSU dabei selbstbewusst mitmischt.
Vor Kohl habe sie dabei aber keine Angst, sagte Merkel der "Süddeutschen Zeitung". Sie gehe davon aus, "dass auch er möchte, dass die CDU wieder auf einen vernünftigen Weg kommt". Denn die Partei sei seine politische Heimat. Daran änderten unterschiedliche Ansichten nichts.