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Angela Merkel muss Führungsstärke beweisen

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky war bis 15. Februar Internationaler Präsident der Association of European Journalists (AEJ). Er war Redakteur beim Nahrichtenmagazin "profil".
© Ralph Manfreda

Die deutsche EU-Präsidentschaft muss die EU wieder handlungsfähig machen.


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"Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß. Es geht um den Zusammenhalt Europas." Die deutsche Kanzlerin wählte ihre Worte kurz vor dem Start der EU-Präsidentschaft Deutschlands am 1. Juli mit Bedacht. Die EU stecke in der größten Krise ihrer Geschichte, sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. "Noch nie waren Zusammenhalt und Solidarität in Europa so wichtig wie heute."

Angela Merkel übernimmt den EU-Ratsvorsitz zu einer überaus kritischen Zeit für die EU. Die Covid-19-Pandemie hat der EU die schlimmste Rezession in ihrer Geschichte beschert. Alle EU-Länder, aber vor allem Italien, Spanien, Frankreich und Portugal wurden schwer getroffen und hoffen nun auf solidarische Hilfe beim Wiederaufbau. Merkel muss nun am Ende ihrer politischen Karriere noch einmal Führungsstärke in Europa beweisen. Zunächst muss mit Großbritannien ein Folgeabkommen für die künftigen Beziehungen ausgehandelt werden.

In einer bemerkenswerten Kehrtwende von ihren früheren Positionen legte Merkel - gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - einen beeindruckenden Wiederaufbauplan für Europa vor. 500 Milliarden Euro - der Großteil davon durch nicht rückzahlbare Zuschüsse - sollen über gemeinsame Anleihen auf den Finanzmärkten aufgenommen und an die EU-Staaten transferiert werden - ein Schritt in Richtung gemeinsame Schuldenaufnahme, die Merkel zuvor lange stets energisch ablehnte.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stockte den deutsch-französischen Rettungsplan noch um 250 Milliarden auf 750 Milliarden Euro auf. Auch sie beschwor, nun seien keine halbherzigen Schritte angebracht, wenn die EU aus der Rezession herausfinden solle. Am 17. und 18. Juli soll zum Rettungsplan erstmals wieder ein "normaler" EU-Gipfel stattfinden, bei dem Direktgespräche möglich sein werden. Der Video-Gipfel in der vergangenen Woche brachte keine Ergebnisse.

Die Positionen der EU-Länder liegen noch weit auseinander. Vier Nettozahler - Dänemark, die Niederlande, Österreich und Schweden, die sich selbst die "Sparsamen Vier" nennen - legen sich gegen große Geldgeschenke quer und fordern stattdessen Kredite. Eine Lösung wird durch die laufenden Verhandlungen über das mehrjährige EU-Budget (2021 bis 2027) noch erschwert. Jetzt soll ein Teil der neuen Schulden in einigen Jahren auch von Mitteln aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Neue Eigenmittel für die EU sind dafür im Gespräch: eine Plastiksteuer und eine Abgabe für den Binnenmarkt, die von großen Konzernen eingehoben werden soll. Damit soll ein zu starker Anstieg der Beitragszahlungen vor allem der Nettozahler ans gemeinsame EU-Budget vermieden werden.

In der deutschen EU-Präsidentschaft (Merkels zweite nach 2007) müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die EU muss bald wieder handlungsfähig werden, auch im Verhältnis zum immer erratischer handelnden US-Präsidenten Donald Trump und der Wirtschaftsmacht China, die eine Schwäche der EU für ihre eigenen Zwecke skrupellos ausnutzen würde.