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Angelika Kirchschlager

Von Michaela Schlögl

Reflexionen
"Ich glaube, dass man durch die Begegnung und Auseinandersetzung mit Kultur in allen Lebensbereichen kultiviert wird": Angelika Kirchschlager (l.) im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Michaela Schlögl. Foto: privat

Die Sängerin Angelika Kirchschlager spricht über ihren schrittweisen Rückzug vom internationalen Opernbetrieb, über ihre Liebe zum Liedgesang - und darüber, was ihr Weihnachten und Silvester bedeuten und warum sie nicht mehr e-mailt.


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"Wiener Zeitung": Frau Kirchschlager, Sie singen heuer zu Silvester an der Wiener Staatsoper den Prinzen Orlofsky. Ist der eine interessante Figur? Angelika Kirchschlager: Nein, er langweilt sich, ist aber selbst auch langweilig. Der Prinz aus der Strauß´schen Operette ist doch schon "après", was typisch ist für einen dieser Superreichen, die absolut tun und lassen können, was sie wollen. Trotzdem versuche ich, die Rolle charakterlich so anzulegen, dass eine eigene Linie auszumachen sein wird. Mein Orlofsky wird wacher, vielleicht auch aggressiver sein, als man das in den letzten Jahren von dieser Figur gewohnt war.

Gibt es heute überhaupt noch diese extreme Ausprägung des Geldadels?

Das glaube ich sehr wohl. Orlofsky beteuert in der Fledermaus zwar, er würde Künstler lieben, aber das ist nur ein Lippenbekenntnis. In Wahrheit hat er mit Kultur nichts am Hut. Er will zerstreut, unterhalten werden. Das ist doch sehr aktuell. . . Ich habe selbst erlebt, wie in einem österreichischen Luxushotel reiche Gäste nach reichlichem Alkoholgenuß aus Jux ihre Kleidung im offenen Kamin verbrannt haben.

Sie orten also einen Mangel an Kultur?

Ja, denn Kultur umfasst ja mehr, als dass man ins Theater geht. Es beginnt damit, dass ich beim Einkaufen im Supermarkt angerempelt werde und niemand sagt mehr "Pardon" oder "Entschuldigung". Und genau deshalb möchte ich die Menschen, auf meine Weise, wieder zur Kultur hinführen. Denn ich glaube, dass man durch die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Kultur in allen Lebensbereichen kultiviert wird.

Diese schwierige Aufgabe möchten Sie als Opernsängerin, quasi von der Rampe aus, bewältigen?

Eigentlich nicht. Ich singe in den letzten Jahren immer weniger Opernrollen. Für 2012 plane ich eine besondere Österreich-Tournee mit speziellen Liederabenden. Ich möchte das klassische Volkslied wieder vorstellen, zum Beispiel Schuberts "Heidenröslein". Das Besondere an dieser Tour wird sein, dass ich prinzipiell in keiner Landeshauptstadt auftreten werde, da war ich ohnehin schon oft genug. Ich möchte in kleinen Städten und Ortschaften singen, möglichst weit weg von allen Festspielorten.

Glauben Sie, dass Sie in der sogenannten Provinz genügend Publikum für ein solches Programm finden werden?

Ja, wir haben´s ja schon probiert, mit dem Wiener Pianisten Robert Lehrbaumer, der mich bei diesen Liederabenden am Klavier begleiten wird, haben wir beispielsweise in meinem Salzburger Heimatort ein solches Konzert gegeben. Gekommen sind ein paar hundert Landwirte aus der Umgebung und natürlich auch Freunde. Ich habe Gustav Mahler, Richard Strauss, Mozart und Schubert gesungen, also kein sogenanntes "leichtes" Programm. Das Publikum war so erstaunt, im positiven Sinn! Das hat mich bestärkt in meinem Glauben, dass es funktioniert. Ich nehme einfach nicht zur Kenntnis, dass so etwas nicht möglich sein soll. Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen ein solches Programm überall verstehen, nicht nur in Salzburg und in Wien.

Wo sollen denn diese kleinen Anti-Festivals stattfinden?

In Schulsälen, in Turnhallen, in Pfarrsälen, im Gemeindesaal, was sich halt anbietet. Wir sind gerade am Organisieren, für solche Dinge wie Ehrenschutz oder Pressebegleitung. Ich selbst stelle bei dieser atypischen Tour, die mir ein Herzensanliegen ist, kein Honorar in Rechnung. Ich möchte mir Zeit dafür nehmen, auch nach den Konzerten bin ich noch da auf ein "Glaserl", um mit den Menschen ins Gespräch kommen. Das Ganze soll aus der Perspektive der "Begegnung" stattfinden. Für solche Begegnungen muss man auch als Künstler zur Verfügung stehen.

Kann man es sich in der klassischen Musikwelt heute noch leisten, sich diese Zeit zu nehmen?

Genau das ist der Punkt. Mir ist das Tempo inzwischen viel zu rasant geworden. Oft wünsche ich mich zurück in die Zeit als Studentin, als ich ein Programm ein bis zwei Monate lang vorbereiten konnte. Ich habe mein Leben schon seit längerer Zeit umgestellt. Mein Motto lautet: kleiner und langsamer. Aber bitte, das heißt nicht, dass ich auf Qualität verzichten will, im Gegenteil. Auch die Liedprogramme, die ich für meine Österreich-Tournee plane, müssen natürlich first quality sein, sonst wäre das Ganze kontraproduktiv.

Ihre letzten CDs, vor allem die mit Liedern des österreichischen Komponisten Josef Marx, sind bei der Kritik gut angekommen.

Ich lese nie Kritiken, das würde mich belasten. Ich versuche ja systematisch, mich weg vom Schuss zu bewegen, und da gehört auch mit dazu, dass ich mich nicht ständig bewerten lassen möchte, auch nicht, wenn alles gut gelaufen ist. Der einzige Grund, warum ich singe und auftrete, ist, dass ich Freude bereiten möchte. Man steht da vorne auf der Bühne oder auf dem Podium, weil man etwas zu sagen hat, weil man etwas Gutes tun will. Jeder gibt auf der Bühne sein Bestes. Wenn die Presse gut war, erfährt man das ja ohnehin.

Wie ist dieser Teil-Rückzug aus dem Business denn mit Ihren vertraglichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen? Ich bin ja schon lange nicht mehr Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, das war ich nur ein paar Jahre lang, anschließend hatte ich einen sogenannten Residenzvertrag. Der bot mir die Möglichkeit, in die künstlerische Selbständigkeit überzugehen, weil ich dann jeweils nur mehr für eine Periode von zwei Wochen oder auch drei Monaten verpflichtet war. Irgendwann hat mir nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Körper gesagt, dass ich etwas ändern muss.

Ich komme jetzt zu unserem Gespräch gerade von einer Probe für die Silvester-"Fledermaus" an der Wiener Staatsoper - wir proben ja jetzt neuerdings zwei Wochen, früher waren´s nur ein paar Tage. An der Staatsoper wird zurzeit auch der "Rosenkavalier" geprobt, und obwohl ich den Oktavian so oft gesungen habe, bin ich überhaupt nicht sentimental oder wehmütig, wenn ich in eine solche Probe hineinschaue, im Gegenteil.

Sie haben an den großen Opernhäusern der Welt Erfolge gefeiert, als Rosina, Idamante, Cherubino, Oktavian, um nur einige Rollen zu nennen. Woher kommt Ihre jetzige Distanz zum Metier?

Oper ist ein Gesamtkunstwerk, da muss wirklich alles zusammenstimmen. Die Orchesterleistung, die Stimmen, aber auch das Optische, die Regie, das Bühnenbild - wenn ein Punkt fehlt, dann hakt das Ganze. Opernproduktionen funktionieren auch nur dann optimal, wenn alle Beteiligten eine Gemeinschaft bilden. Das geht oft sehr gut, manchmal nicht, es gibt auch Fälle, in denen sich alle nicht ausstehen können - und das merkt das Publikum.

Wenn man etwas oft und erfolgreich gemacht hat, sollte man auch Abstand davon gewinnen können. Mein Körper hat mir gesagt: Aus, Schluss, kein "Rosenkavalier" mehr. Ich will auch nicht mehr so viel reisen.

Nur mehr durch Österreich?

Stellen Sie sich vor, wenn mir in zehn, zwanzig Jahren jemand sagen würde, ich darf Wien und den Wiener Wald nie mehr verlassen, dann könnte ich mir sogar das gut vorstellen. Mir ginge nichts ab. Ich liebe Wien und ich freue mich schon jetzt darauf, im Frühling und im Sommer wieder durch den Volksgarten zu gehen und an den duftenden Rosen zu riechen.

Wir müssen dankbar sein, wir leben in einer so wunderbaren Stadt, in einem friedlichen Land. Ich will jedenfalls zur Zeit nicht mehr so weit reisen, nicht lange fliegen. Ich finde das Fliegen schrecklich, das tut meinem Körper absolut nicht gut. Auch das gehört zu meinem Reduktionsprogramm. Ich will Stress vermeiden.

Diese ganzen Kontrollen, die man bei USA-Flügen über sich ergehen lassen muss, da mache ich nicht mehr mit. Wenn ich nicht mehr in Amerika singe, macht mir das gar nichts.

Stehen Sänger unter so starkem Stress?

Ich habe einmal eine wissenschaftliche Untersuchung gelesen. An der Spitze der Gestressten standen die Autorennfahrer. Dann kamen die Chirurgen, und schon am dritten Platz die Opernsänger. Natürlich gibt es in jedem künstlerischen Beruf, in dem man live auftritt, diesen Adrenalinschub. Aber ich glaube, im Sprechtheater verläuft das eine Spur harmloser, was die Zehntelsekunden vor dem Auftritt betrifft. Aber wenn aus dem Orchestergraben der Einsatz erklingt, gibt es nur eine richtige Möglichkeit und nur eine Zehntelsekunde, einen Ton anzusetzen.

Sind Sie des Singens müde?

Nein, überhaupt nicht! Ich liebe das Singen, seit ich ein Kind bin. Mit meiner Mutter habe ich bei Wanderungen oder während längerer Autofahren immer gesungen, ich war schon im Kinderchor ein begeistertes Mitglied. Das Singen ist ein Teil von mir. Ich bin des Singens nicht müde, im Gegenteil, es gibt so viele interessante Dinge, die ich machen will. Und an Angeboten mangelt es beileibe nicht, es verschieben sich nur im Laufe der Jahre die Prioritäten. Ich hatte immer schon einen großen Freiheitsdrang. Den kann ich künstlerisch perfekt in Liederabenden ausleben. Ein Liederabend ist einfach eine unglaubliche Sache! Vor allem gibt es so fantastische Liedtexte, die noch ganz "nebenbei" Weltliteratur sind! Wenn ich ein Lied interpretiere, bin ich von fast niemandem abhängig, ich selbst bin das Werkzeug und ich muss die Botschaft so hinüberbringen, dass die Menschen sie verstehen. Bei der Liedinterpretation muss sich der Sänger extrem zurücknehmen. Das ist gut und lehrreich. Ich hasse Künstler, die sich selbst in den Mittelpunkt stellen.

Man sollte also auch in der Kunst Bereiche aufgeben, um in andere vorzudringen?

Natürlich. Ich glaube, man muss in seinem Leben immer wieder "ausmisten", mental und auch materiell. Nicht nur zum Jahresende. Ich mache das auch zu Hause regelmäßig, ich trenne mich von Hausrat und von allen Dingen, die ich länger nicht mehr verwendet habe. So gewinnt man eine neue Freiheit - einfach durch das Weglassen. Reduktion ist so notwendig. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Speicher ist voll.

Liegt es daran, dass Sie ab sofort nicht mehr e-mailen?

Wenn ich unterwegs bin, kann ich nicht ununterbrochen online sein, ich habe damit schon unzählige Stunden vertan und es hat mich auch einiges gekostet, in den Hotels sind gleich einmal fünfzig Euro weg, wenn man ins Netz geht. Ich habe das Netz jetzt verlassen und schaue, was passiert. Ich habe eine Agentur, über die kann man mich kontaktieren.

Wird Ihnen Ihr Motto "small is beautiful" nicht von manchen in der Branche übelgenommen?

Mag sein. Als ich verkündete, ich singe nicht mehr im "Rosenkavalier", haben das manche überhaupt nicht verstanden. Aber solche Entscheidungen muss man mit sich selbst ausmachen. Schauen Sie, der Christian Petz, ein absoluter Starkoch, mit Sternen und Hauben dekoriert, kocht jetzt am Badeschiff im Donaukanal, fantastisch! Er kann machen, was er will, hingehen, wo er will, die Qualität bleibt - auch wenn er jetzt in Etablissements mit günstigerem Preisgefüge in der Kombüse steht. Insofern sind Kochen und Singen ja ähnliche Berufe, man steht im Blickfeld der Kritiker.

Da Sie aber keine Kritiken lesen, kann nicht das der Grund sein für Ihre Lust an der Veränderung und am Reduzieren?

Man darf Veränderungen nie scheuen. Ich bin ein positiver Mensch und vertraue darauf, dass meine Entscheidungen richtig sind. Meine Stimme hat sich gut entwickelt, ich singe heute besser als vor einigen Jahren. Das ist alles wichtig, aber das Wichtigste ist, in diesem schnellebigen Betrieb ein Mensch zu bleiben!

Sie haben eine Zeitlang sehr viel barocke Musik in Ihre Programme aufgenommen. War das auch schon eine Art des "Aussteigens" aus dem Normal-Betrieb?

Nein. Denn die Barockmusik gehört ja heute durchaus zum gängigen Kanon. Ich hatte eine barocke Phase, wenn Sie so wollen, und die ist jetzt vorbei. Ich singe gerne Händel und Monteverdi, aber nicht auf der Opernbühne, denn ich bin nicht darauf erpicht, eine fünfzehnminütige Arie fünf Minuten vor Mitternacht zum Besten zu geben. Auf CD, ja, doch auch da bewahrheitet sich das von Ihnen zitierte "small is beautiful". Glauben Sie, die großen Labels, mit denen ich vor fünfzehn Jahren aufgenommen habe, machen heute mit mir Liedaufnahmen? Nein, das tun die kleinen, die wendig sind und reagieren können. Mit einem Schweizer Label habe ich Lieder von Wolf und Schumann aufgenommen, aber auch Schrammelmusik, Mahler und Schubert.

Was bedeutet Ihnen, abgesehen von Ihrem Auftritt in der "Fledermaus" an der Wiener Staatsoper, der Jahreswechsel mitsamt den Feiertagen zu Weihnachten und Silvester?

Vor Jahren, als mein Sohn noch klein war, raste ich einmal kurz vor Weihnachten im dichten Gedränge über den Wiener Graben. Ich habe mir die hastenden Menschen angeschaut und plötzlich kam´s mir: Du bist auch so eine. Daraufhin ging ich auf ein Postamt und füllte für jeden, den ich beschenken wollte, einen Erlagschein aus. Für eine Tante, die tierliebend ist, eine Spende an ein Tierheim - lauter Spenden mit Bezug auf den Schenkenden. Das haben wir dann in der Familie jahrelang so gehandhabt. Der Jahreswechsel ist mir nicht unwichtig. Aber ich brauche zu Silvester keine Raketen und keinen Lärm, sondern Stille. In solchen Momenten der Ruhe kann ich überlegen, wie das vergangene Jahr abgelaufen ist. Ich bedanke mich, gebetsartig, für alles, was gut gelaufen ist, und ich stelle mich auf das neue Jahr gedanklich ein. Es ist so wichtig, Gedanken überhaupt zuzulassen! Das geht aber nur abseits des Trubels, in der Stille.

Das klingt nach Kontemplation.

Genau so ist es. Ich verstehe jetzt die Mönche, all ihre Übungen der Stille, des Atmens, der Kontemplation. Man muss durchatmen - und warten, was passiert.

Zur Person

Angelika Kirchschlager, geboren 1965 in Salzburg, sang bereits im Kinder- und im Schulchor und studierte am Mozarteum Schlagzeug und Klavier; in Wien absolvierte sie eine Gesangsausbildung, u.a. bei Walter Berry. 1991 gewann sie drei Preise bei dem internationalen Belvedere-Wettbewerb in Wien, von 1992 bis 1994 war sie Mitglied der Grazer Oper, anschließend wurde sie Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper.

Angelika Kirchschlager debütierte in der Rolle des Cherubin in Mozarts "Hochzeit des Figaro" und vermochte sich binnen kurzer Zeit zu einer der gefragtesten Mezzosoprane auf den großen Opernbühnen der Welt zu entwickeln, etwa an der Mailänder Scala, dem Royal Opera House in London, der Opéra de Paris, der Metropolitan Opera New York oder der Wiener Staatsoper. In den letzten Jahren konzentriert sie sich auf Auftritte als Lied- und Oratorieninterpretin, beispielsweise im Rahmen der Schubertiade.

Angelika Kirchschlager hat Vokalwerke aus fast allen Perioden der Musikgeschichte in ihrem Repertoire, 2002 interpretierte sie etwa die Titelpartie in der Uraufführung von "Sophie´s Choice" des britischen Komponisten Nicholas Maw am Royal Opera House in London, sie singt aber auch regelmäßig Werke von Bach, Brahms, Debussy, Korngold und Mahler.

Kirchschlager hat seit 2007 eine Gastprofessur am Mozarteum Salzburg, ab Frühjahr 2011 wird sie an der Kunstuniversität Graz "Musikdramatische Darstellung - Gesang" lehren. Im Juni 2007 wurde Kirchschlager zu einer der jüngsten Kammersängerinnen in der Geschichte der Wiener Staatsoper ernannt. Angelika Kirchschlager lebt mit ihrer Familie in Wien.

Michaela Schlögl, geboren 1960, Dr. iur, lebt als freie Kulturjournalistin in Wien. Zuletzt ist von ihr das Buch "Dominique Meyer. Szenenwechsel Wiener Staatsoper" (Styria Verlag,, 2010) erschienen.