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Viele Sportler lehnen aus Sicherheitsgründen ab, in Pakistan zu spielen. | Neu Delhi. "Chacha Cricket" ist schockiert. Der "Cricket-Onkel", wie Abdul Jalil in Pakistan genannt wird, ist der berühmteste und beliebteste Fan des Rasensports auf dem Subkontinent. Der 60-Jährige mit seinem charakteristischen weißen Bart und seiner farbenfrohen Bekleidung ist seit Jahrzehnten bei jedem Spiel der Nationalmannschaft dabei. Stets bewaffnet mit der grünen Fahne Pakistans, guter Laune und Sportsgeist ist "Chacha" von der Zuschauertribüne nicht wegzudenken.
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Doch nun hat Jalil die Fahne eingerollt. Sein Land habe die Cricket-Spieler Sri Lankas enttäuscht, sagt er. Am Dienstag hatten im pakistanischen Lahore ein gutes Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer den Bus der Mannschaft angegriffen, die auf dem Weg uns Stadion war, wo Pakistan gegen Sri Lanka spielen wollte. Fünf Sportler und ein Trainer wurden verletzt, acht Menschen, darunter sechs Polizisten, starben bei dem Terroranschlag.
In Pakistan ist Cricket kein Sport, es ist ein nationales Heiligtum.
Eine holprige Wiese, Wickets und Holzschläger, mehr braucht es nicht für das Rasenspiel, das die Engländer auf den Subkontinent gebracht haben und das heute in der früheren Kolonie beliebter ist als in seiner europäischen Heimat. In Indien, Pakistan, Sri Lanka und Bangladesh ist fast jede Grünfläche ein improvisierter Cricket-Platz, wo Jungen in der Sonne Bälle schlagen. Bei aller Feindschaft verbindet auch die beiden Erzrivalen Indien und Pakistan die große Leidenschaft für das Spiel.
Boten des Friedens
"Cricket-Spieler sind Boten des Friedens", sagt Ammand Riziv, einer der Fans im Stadion von Lahore später einem pakistanischen Fernsehsender. "Das ist ein feiger Akt." Am dritten Tag der Begegnung wären die Pakistanis mit dem Schlagen drangewesen. Die Fans entsetzt und enttäuscht zugleich.
Sri Lanka war als letztes Nationalteam bereit gewesen, zu einer Begegnung nach Pakistan zu reisen. Alle anderen Mannschaften hatten es aus Sicherheitsgründen ablehnt, auf pakistanischem Boden zu spielen. In absehbarer Zeit wird kaum ein internationales Sportteam mehr zu einem Wettkampf in die islamische Republik reisen. "Cricket stirbt in Pakistan", beschwor auch Ex-General Pervez Musharraf, der bis vor einem Jahr das Land regierte.
"Cricket ist vor Terror sicher", hatte Pakistans Cricket-Legende Imran Khan noch vor kurzen erklärt, um den ausländischen Gast-Spieler Mut zu machen. Nun ist Pakistan erschüttert: Denn die Terroristen haben nicht nur die nationale Institution Cricket, sondern auch das in Pakistan heilige Gastrecht angegriffen. "Die Spieler aus Sri Lanka waren doch unsere Gäste", sagte der Fahrer des Mannschaftsbuses. Seiner Geistesgegenwart ist es wohl zu verdanken, dass die Cricketer aus Sri Lanka noch am Leben sind. "Ich dachte daran, dass das Bild meines Landes verletzt würde, wenn den Spielern etwas passiere. Also habe ich meinen Fuß auf dem Gaspedal gelassen und habe den Bus weitergefahren."
Weltweites Entsetzen
Der Angriff auf die Sportler hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Doch auch die Solidarität wächst. "Wir sind im Krieg", titelte die britische Zeitung "The Independent".
Selbst in Indien wurden die Töne gegen Pakistan milder. Die Macher der neuen indischen Cricket-Liga haben Angst um ihre Spielsaison, die in Kürze beginnt. "Unsere Zukunft ist mit der von Pakistan untrennbar verbunden", schrieb ein Kommentator. Der Terroranschlag auf die Sportler in Lahore könnte vielleicht die Ansicht reifen lassen, dass der Terrorismus längst nicht mehr allein ein Problem Pakistans ist.