Gegen einen Abriss des ehemaligen Hotels National spricht sich Planungsstadträtin Maria Vassilakou aus. Die Mieter sorgen sich aber weiterhin um ihren Verbleib.
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Wien. Vor dem Eingang des Hauses wartet an diesem kalten Morgen eine kleine Gruppe Menschen, dick eingepackt in Winterjacken. Sie sehen besorgt aus, verängstigt. Seit Jahrzehnten wohnen sie in diesem Haus in der Taborstraße 18, das vor mehr als hundert Jahren von Ringstraßenarchitekt Theophil Hansen als "Grand Hotel National" gebaut wurde und nun seit Jahrzehnten verfällt.
Eine unscheinbare Eisentür führt ins Innere, Putz blättert von den Wänden, Risse im Gemäuer, ein Zuhause verkommt vor den Augen der Bewohner. Im Stiegenhaus und in den kalten, labyrinthartigen Gängen erinnert nichts mehr an den alten Glanz des Hotels, das einmal eines der prestigeträchtigsten und größten der Stadt gewesen ist. Die Stimmung ist gespenstisch, fast bedrohlich. Viele Türen sind mit schweren Eisenriegeln verrammelt. Erst gestern habe wieder eine Familie mit kleinen Kindern ausziehen müssen, in eine teurere Wohnung, erzählen sie. Deren befristeter Mietvertrag sei abgelaufen, verlängert wurde er nicht. Die verbliebenen Mieter haben zwar unbefristete Verträge, doch sie bangen, dass auch sie bald ausziehen müssen.
Denn das Gebäude wurde 2009 vom angrenzenden Krankenhaus der Barmherzigen Brüder gekauft, mit dem Ziel, ebenso ein Spital daraus zu machen und somit ihr Krankenhaus zu erweitern. Danach war Ruhe eingekehrt, die Brüder hatten es scheinbar nicht eilig. Bis zu diesem Herbst, als der scheidende Leopoldstädter SPÖ-Bezirkschef Karlheinz Hora einen überraschenden Antrag zur Erweiterung des Spitals eingebrachte. Bis auf Wien Anders stimmten alle Parteien dafür.
Die Mieter reagierten schockiert, Krankenhausleiter Helmut Kern erklärte, das Krankenhaus platze aus allen Nähten. Viele Medien berichteten schon vom geplanten Abriss des Hauses. Ein Schnellschuss. Denn das geschichtsträchtige Haus steht in einer Schutzzone, ein Abriss droht nur bei Zustimmung der MA 19, der Abteilung für Stadtentwicklung, der Vizebürgermeisterin Vassilakou vorsteht. Und die stellt jetzt gegenüber der "Wiener Zeitung" erstmals klar: "Es ist ausgeschlossen, dass eine solche Genehmigung erteilt wird." Und fügt hinzu, es habe - entgegen den bisherigen Medienberichten - zu keinem Zeitpunkt eine andere Haltung ihres Ressorts gegeben.
"Diese Ablehnung von Vassilakou überrascht uns"
Krankenhausleiter Helmut Kern, der sich bereits siegessicher gegeben hatte, gibt sich schockiert: "Diese Ablehnung von Frau Vassilakou überrascht uns. In keinem Gespräch auf Beamtenebene wurde uns bisher mitgeteilt, dass ein Abbruch kategorisch ausgeschlossen wird."
Tomka Lokic zeigt nach oben auf ihre mit gepflegten Geranien geschmückten Fensterbänke, sie sind um eine Handbreit nach unten gesackt. Das feuchte Gemäuer scheint nachzugeben, langsam aufzugeben. Nicht so Tomka Lokic. Sie war einmal Hausbesorgerin, bevor die Hausverwaltung statt ihr eine Reinigungsfirma beauftragte. Seit über zwanzig Jahren wohnt Lokic hier. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der es in der Taborstraße noch günstige kleine Geschäfte gegeben habe, bevor die großen Ketten kamen. "Wir können uns hier nicht mehr viel leisten", sagt sie und meint damit sich und ihre Nachbarn. Zu den Plänen des Spitals hat sie einen klaren Standpunkt: "Ich will nicht verhandeln, ich will hier bleiben." Ihre Wohnung ist behindertengerecht ausgebaut, der Parkplatz vor der Tür, alles ist so eingerichtet, wie sie es braucht. Sie glaubt nicht, dass sie es woanders genauso angenehm haben kann, und sie will auch nicht darüber nachdenken. Ihr Nachbar, der pensionierte Künstler Jörn Lassmann, gibt ihr recht. Er wohnt in einer winzigen Wohnung unter seinem Atelier im Dachgeschoß. Er lebt gern in diesem besonderen Haus. Für den Abriss hat er kein Verständnis, der ganze Karmeliterplatz würde seiner Meinung nach dadurch zerstört.
Dass die Erweiterung in den kommenden Jahren dringend nötig wird, daran will Helmut Kern keinen Zweifel aufkommen lassen, als er in seinem Büro im Erdgeschoß des Spitals zum Gespräch bittet. Um die Platznot zu demonstrieren, führt er durch das Spital und zeigt auf überquellende Lager im Keller und mit Spinden vollgestellte Kammern, in denen sich die Ärzte und Ärztinnen vor und nach ihrer Schicht auf die Füße treten. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder leiste viel für das Grätzl, die Zahl der Patienten übersteige sogar die Zahl der Einwohner der Stadt Salzburg, so Kern. Hier werden auch Menschen ohne Krankenschein und Gefängnisinsassen behandelt, finanziert durch Spenden. Das christliche Spital bietet außerdem die einzige Gehörlosenambulanz der Stadt.
Es passt so gar nicht zum karitativen Ruf des Krankenhauses, wenn jetzt anscheinend Mieter vertrieben werden sollen. Die Debatte ärgert Kern. Da werde mit Mietern agitiert, die sich seiner Meinung nach lieber mit dem Krankenhaus einigen sollten. Denn wenn das Gebäude tatsächlich denkmalgeschützt werde, würden die Barmherzigen Brüder wieder verkaufen und dann kämen die Immobilienhaie, das Gebäude werde dann wohl luxussaniert. Es klingt wie eine Drohung.
"Kalt erwischt" von SPÖ-Antrag
Vom überraschenden Antrag des scheidenden SPÖ-Bezirkschefs Hora sei er selbst "kalt erwischt" worden, meint Kern. Man habe es nicht eilig, er habe die Mieter beruhigt, in zwei bis drei Jahren müsse niemand ausziehen. Das heißt aber auch: Auf längere Sicht will er das Gebäude leeren. Ein Treffen mit einem Teil der Mieter hat es schon gegeben, man habe ihnen "schönere, bessere Wohnungen" angeboten. Stefan Ohrhallinger, Mitglied von Wien Anders und Sprecher der Mieterinitiative, sieht das anders. Als Entschädigung habe man ihnen Wohnungen am Stadtrand, im Grünen, schmackhaft machen wollen.
"Aber wir wollen nicht in die Peripherie, wir wollen hierbleiben, in unserem Grätzl." Deshalb wollen sie jetzt aktiv werden, selber sprechen, gehört werden, vom Eigentümer und von der Stadt. Gerade haben sie eine Petition zum Schutz ihres Zuhauses gestartet. Stefan Ohrhallinger ist Informatiker an der TU Wien, als Student ist er vor zwanzig Jahren in die kleine Wohnung in der Taborstraße 18 gezogen. Er hat sie selber renoviert, hängt an ihr und an dem geschichtsträchtigen Haus. Der halbrunde Innenhof gilt als einzigartig in Wien, an der heruntergekommenen blassgelben Fassade stehen auffällige Karyatiden, tragende Frauenfiguren. Das Bundesdenkmalamt prüft gerade, ob das Haus denkmalschutzwürdig ist.
Mieter können nicht aufatmen
Zu Vassilakou steht Uschi Lichtenegger, neu gewählte grüne Bezirksvorsteherin des 2. Bezirks. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" sagt sie: "Ich unterstütze natürlich Maria Vassilakou in ihrer Entscheidung. Schutzzonen dürfen nicht ausgehöhlt werden." Und sie erinnert daran, dass es 2014 die Leopoldstädter Grünen waren, die einen Antrag auf Ausweitung der Schutzzonen eingebracht haben, um, wie es in dem Papier heißt, der zunehmenden Zerstörung der historischen Bausubstanz rund um den Karmelitermarkt, die Taborstraße und in anderen Teilen des Bezirks Einhalt zu gebieten.
Aufatmen können die Mieter aber trotzdem nicht. Es gibt neben dem Mieter- und Denkmalschutz einen weiteren Aspekt: Die Stadt ist dringend auf das private, mit öffentlichen Geldern finanzierte Krankenhaus angewiesen. Sollte der Abriss abgewendet sein, könnte das Gebäude immer noch umgebaut werden. Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger meint dazu: "Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ist für die Leopoldstadt immens wichtig, auch deren Wunsch, das Krankenhaus auszubauen und es an diesem Standort weiterzuführen. Wir müssen weiter Gespräche führen, wie wir die schwierige Situation lösen können."
Patrik Volf, Pressesprecher von Maria Vassilakou: "Es ist jetzt Sache der Barmherzigen Brüder, einen Vorschlag zu machen, unter welchen Bedingungen ihr Vorhaben trotzdem noch Wirklichkeit werden könnte."
Die Entscheidung liegt bei der Stadt
Vielen Bewohnern des Hauses macht das Angst. Denn die Entscheidung liegt jetzt bei der Stadt Wien. Und auch unbefristete Verträge können laut Paragraph 30 des Mietrechtsgesetzes aufgelöst werden, wenn ein öffentliches Interesse an dem Gebäude besteht.
Die Stadt könnte jetzt ein anderes Gutachten, welches den Abbruch befürwortet, als "schlüssiger" als jenes der MA 19 betrachten und diesem folgen, fürchtet Andrea Müller-Schiestl, zweite Sprecherin der Mieterinitiative und Miteigentümerin des Hauses in der Taborstraße 20. Sie meint, die MA 19 sei schon öfter so "umgangen" worden. Wegen ein bisschen Medienrummel würden die Barmherzigen Brüder ein lange geplantes Projekt, für welches es offenbar doch einige politische Unterstützung gibt, nicht zur Seite legen, die Geschichte werde noch lange weitergehen. Für die Mieter bleibt die Situation ungewiss, sie wollen weiterkämpfen, sammeln Unterschriften.
Zum Abschied sagt Milica Mihalovic, die seit 15 Jahren hier wohnt: "Na klar müssen wir einander helfen. Wir wohnen ja im gleichen Haus."