Däubler-Gmelin gegen Tötung auf Verlangen und assistierten Suizid.
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Wien/Berlin. Nicht nur in Österreich ist Sterbehilfe ein Thema, auch in Deutschland läuft eine Debatte darüber, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht. Für Herta Däubler-Gmelin, Schirmherrin der deutschen Hospizbewegung und Ex-SPD-Justizministerin, stellen sich die Sterbehilfe-Regelungen in Belgien und den Niederlanden gegen die Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens, wie sie der "Wiener Zeitung" erklärt.
"Wiener Zeitung": Die große Koalition in Österreich hat sich vorgenommen, das Verbot von aktiver sowie passiver Sterbehilfe in der Verfassung zu verankern. Welche Vor- oder Nachteile hat ein derartiges verfassungsrechtliches Verbot?Herta Däubler-Gmelin: Sterben müssen wir alle. Viele unserer Mitbürger verdrängen das, lassen dieses angstbesetzte Thema viel zu lange beiseite liegen. In der Tat müssen viele ganz unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden. In Deutschland setzt sich mittlerweile als wichtigste Forderung durch, Palliativmedizin mit der Sicherung möglichst umfassender Schmerzfreiheit und Betreuung beim Sterben flächendeckend vorzusehen. Das bedeutet, Hospizdienste überall auszubauen. Die Aufgabe von Ärzten am Ende des Lebens umschreiben wir gesetzlich folgendermaßen: Helfen beim Sterben durch Möglichkeiten der Schmerzlinderung ist selbstverständlich geboten. Aktives Eingreifen, um jemanden zu töten, ebenso selbstverständlich nicht. Es kann auch nicht die Aufgabe von Ärzten sein, jemandem bei der Selbsttötung zu helfen. Deren Aufgabe muss sich auf Heilen und Lindern begrenzen, sonst schwindet das Vertrauen in diesen Berufsstand. Ob man diese Regelungen in Gesetzen oder in der Verfassung verankern will, ist eine politische Entscheidung, die jedes Land nach seinen Überlegungen durch die vorgesehenen Verfassungsorgane treffen muss.
In Österreich gibt es auch die Möglichkeiten einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht.
Das sind sehr gute und wichtige Instrumente, um den Willen des Menschen zum Ausdruck zu bringen, der damit für eine Zeit vorsorgen will, in der er seinen Willen aufgrund einer Krankheit möglicherweise nicht mehr äußern kann. Mit beiden Instrumenten kann man vieles regeln und klarstellen. Das vermeidet Unsicherheit bei Ärzten und Angehörigen. In keinem dieser Dokumente kann man jedoch überschreiten, was Gesetze verbieten: Tötung auf Verlangen können Sie also auch mit einer Patientenverfügung nicht durchsetzen.
In Deutschland ist aktive Sterbehilfe, also Tötung auf Verlangen, verboten, Beihilfe zum Suizid dagegen nicht. In den Niederlanden oder Luxemburg etwa ist das Recht auf Sterbehilfe sehr liberal. In Belgien soll die Option der aktiven Sterbehilfe auf schwerkranke Kinder ohne Alterslimit ausgedehnt werden. Was sind die Ursachen für diese länderspezifischen Unterschiede?
Viele ganz unterschiedliche Aspekte spielen in diesem schwierigen Bereich eine Rolle. In Deutschland - und das könnte wohl auch für Österreich zutreffen - haben wir die furchtbaren Erfahrungen mit der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" durch die Nazis machen müssen. Das prägt natürlich auch das politische Denken heute. Andere Länder haben diese Erfahrungen nicht in gleicher Weise. Ich lehne jedoch viele der Regelungen in den Niederlanden oder Belgien ab, weil sie mehr als problematisch sind; "liberal" sind sie nicht, sie stellen sich vielmehr gegen die mir wichtigen Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens. In Deutschland ist Suizid, also die Selbsttötung eines Menschen nicht strafbar, wenn er bis zuletzt selbst über seinen Tod entscheidet. Das geht auf die seit langer Zeit geltenden Grundsätze des individuellen Selbstbestimmungsrechts zurück. Außerdem können Sie einen erfolgreichen Suizid ja nicht bestrafen. Auch Beihilfe dazu ist wegen des Vorrangs der Entscheidung des Betroffenen selbst nicht strafbar - für nahe Angehörige und Ärzte wegen deren Garantenstellung allerdings schon.
Mischt sich der Staat zu sehr ein, wenn sowohl aktive als auch passive Sterbehilfe verfassungsrechtlich verboten sind?
Ich halte die gesetzliche Regelung so wichtiger Bereiche nicht für "Einmischung in die Privatsphäre". Sie sind nötig, weil Betroffene, Ärzte und Angehörige dann wissen, was sie dürfen und was nicht. Der Gesetzgeber hat gerade heute im Zeitalter immer neuer technisch-medizinischer Möglichkeiten auch die Pflicht, die Verfassungswerte in der Gesellschaft umzusetzen. Das bedeutet, dass der Schutz des Lebens klar anerkannt sein muss; erst dann kann das individuelle Selbstbestimmungsrecht voll zur Geltung kommen. Sie sollten auch bedenken, dass in unseren älter werdenden Gesellschaften der Druck auf alte Menschen und deren eigene Belastungen sowieso wächst: Alte Menschen wollen niemandem zur Last fallen, ihren Angehörigen schon gar nicht; sie kosten Geld. Wir alle wollen in einer menschlichen Gesellschaft leben, eine "Ex und hopp"-Mentalität am Ende des Lebens oder - wie in einigen Ländern möglich - bei Langzeitpatienten, würde uns in die entgegengesetzte Richtung führen.
Sie erwähnten selbst das "individuelle Selbstbestimmungsrecht". Wird dieses nicht durch ein umfassendes Sterbehilfe-Verbot verletzt und das Leiden von zum Beispiel lebensmüden Schwerstkranken verlängert?
Nein, weil ihnen ja nicht vorgeschrieben wird, was sie selbst tun sollen oder nicht tun dürfen. Das Recht auf Selbstbestimmung räumt jedoch einem Menschen nicht das Recht ein, einen anderen dazu zu verpflichten oder von ihm zu verlangen, ihn vom Leben zum Tod zu befördern. Auch ein Recht oder ein Anspruch an den Staat, so etwas zuzulassen, kann im Selbstbestimmungsrecht nicht enthalten sein.
Mit dem geplanten Sterbehilfe-Verbot soll in Österreich ein Rechtsanspruch auf Sterbebegleitung, also palliativmedizinische Betreuung verknüpft werden. Was ist davon zu erwarten?
Dieser Rechtsanspruch ist großartig. Allerdings darf er nicht auf dem Papier stehen bleiben. Ausbildung von Ärzten, Pflegern in Krankenhäusern und Alten- beziehungsweise Pflegeheimen, aber auch stationäre Hospize und häusliche Hospizdienste sind dann flächendeckend nötig. Das kostet Geld, Zeit und Engagement. Außerdem müssen viele Menschen, Frauen und Männer, bereit sein, sich selbst als ehrenamtliche Sterbebegleiter einzubringen. Das ist eine wichtige, eine menschlich großartige Aufgabe, die belastet, aber auch viel bringt.
Sie sind Schirmherrin der deutschen Hospizbewegung (DHPV). Sehen Sie den Wunsch nach Sterben in Würde in Krisenzeiten wie diesen in Europa bedroht?
Heute höre ich immer wieder, dass viele Menschen Angst davor haben, hilflos neuen medizinischen Geräten und Behandlungsmöglichkeiten ausgeliefert zu sein, die nur das Sterben verlängern. Hier kann man durch Patientenverfügungen klarstellen, dass man eine Verlängerung des Sterbens nicht akzeptiert. Daran müssen sich dann alle halten. Leider beschäftigen sich immer noch nicht genügend Menschen rechtzeitig und ausreichend mit den heutigen Hilfsmöglichkeiten der Palliativmedizin und der hospizlichen Sterbebegleitung. Ich hoffe, dass das künftig mehr werden. Informationen können Angst lindern, Selbstbestimmung stärken und so dabei helfen, Sterben in Würde zu sichern.
Zur Person
HertaDäubler-Gmelin
war in der deutschen Bundesregierung 1998-2002 SPD-Justizministerin. Sie ist Schirmherrin der Deutschen Hospizbewegung, Vorsitzende des Ausschusses für Rechtsangelegenheiten und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Gastprofessorin in Berlin, Aachen und Shanghai sowie Beraterin in Verfassungs-, Völkerrechts- und Menschenrechtsfragen in China, Tunesien, Syrien und Jemen.