Die Klagen der Bauern sind heuer noch heftiger ausgefallen. Weniger in Österreich - wo den Landwirten ein Hang zum Jammern unterstellt wird - als in Deutschland. Der Spargel hätte teilweise auf den Feldern verrotten müssen, manche Betriebe hätten ein Drittel ihrer Ernte verloren. Denn der deutschen Landwirtschaft fehlen zehntausende Erntehelfer. Und die kommen nun normalerweise meist aus Osteuropa.
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Zu Beginn der Erntezeit im April hatten rund 100.000 Polen eine befristete Arbeitserlaubnis; 14.000 weniger als im Vorjahr. Im Mai arbeiteten knapp 180.000 ausländische Helfer auf deutschen Feldern; 40.000 weniger als im Jahr 2005. Denn mittlerweile verdingen sich viele lieber in Großbritannien oder den Niederlanden. Dort dürfen sie unbefristet arbeiten und auch den Arbeitgeber wechseln. Deutschland aber schottet sich - wie Österreich - mit Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt vor Bürgern aus den neuen EU-Staaten ab.
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Die neu entbrannte Debatte über die Öffnung des Arbeitsmarkts resultiert nicht nur aus den Forderungen der Landwirtschaft, Beschränkungen für die nötigen Arbeiter aufzuheben. Auch die Industrie klagt zunehmend über den Mangel an Fachkräften und drohende Standortnachteile gegenüber Ländern ohne Übergangsfristen. Daher begrüßte sie den Vorstoß des SPD-Staatssekretärs im deutschen Arbeitsministerium, Gerd Andres, die Übergangsfristen schon vor dem Jahr 2009 zu lockern. Dann könnten etwa Erntehelfer oder Ingenieure leichter angeworben werden.
Die Zugangsbeschränkungen hat Deutschland - wie Österreich - erst im Vorjahr um drei Jahre verlängert. Eine nochmalige Verlängerung bis 2011 wäre der EU-Kommission in Brüssel nur mit guten Argumenten zu verkaufen, etwa wenn eine Öffnung zu erheblichen Störungen der jeweiligen Arbeitsmärkte führen würde.
Genau dies befürchtet aber schon jetzt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Er warnt vor der Gefahr eines "Lohndumpings ungeahnten Ausmaßes". Die Beschränkungen dürfen erst dann gelockert werden, wenn der deutsche Arbeitsmarkt vor Billiglöhnen geschützt sei.
Ebenso sprechen sich Unionspolitiker gegen eine vorzeitige Öffnung aus. Wie leicht die Ängste in der Bevölkerung vor Billigarbeitern zu schüren sind, weiß etwa der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder - und erklärt der "Bild"-Zeitung wie unverständlich es sei, "auf der einen Seite über Dumpinggehälter zu klagen und gleichzeitig im großen Stil Arbeitskräfte aus Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland zu holen, die hier für Billiglöhne arbeiten wollen".
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Die gesamte Diskussion lässt sich auch auf Österreich umlegen. Die Namen der Akteure sind zwar anders, die Rollenverteilung aber ist die gleiche:
Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, vorsichtig: Im Gleichklang mit Deutschland sollte der Arbeitsmarkt schrittweise geöffnet werden - wenn auch erst nach 2009.
Industriellenvereinigung, drängend: Je länger das Zuwarten, umso schwieriger die Suche nach Fachkräften.
Österreichischer Gewerkschaftsbund, warnend: Lohndumping droht.
Koalition: uneinig.
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Bei all dem geht die Schnapsidee, dass Millionen Polen, Slowaken und Rumänen in den Startlöchern scharren, um den deutschen und österreichischen Arbeitsmarkt zu überfluten, völlig an der Realität vorbei. Denn viele sind schon aus ihren Ländern weggegangen: an die 300.000 Polen und 40.000 Slowaken allein nach Irland. Die besten Köpfe sind bereits vergeben, warnen Wirtschaftstreibende in Österreich.
Und auch in Osteuropa selbst werden Fachkräfte gebraucht. Etliche Branchen kommen unter Druck, die Gehälter zu heben. So gab es in Polens Baugewerbe im Vorjahr Lohnsteigerungen von 16 Prozent. Ins Ausland zu gehen ist zwar noch immer finanziell attraktiver. Aber Deutschland und Österreich sind da nicht unbedingt erste Wahl.