USA: Ein Land der Gegensätze. | Spitze bei Energieverschwendung und Weltmarktführer bei Öko-Technologie. | Angst der Bürger vor Jobverlust hat für die Politik Priorität. | Washington/Denver. In den USA ist alles viel, viel größer als in Europa - vor allem die Autos und deren Spritverbrauch, die Kühlschränke und die Klimaanlagen; und viel, viel dünner - etwa die unionsinternen Wände der Häuser und Wohnungen, die Türen und Fenster. Entsprechend sieht auch die Energiebilanz der USA in Sachen Effizienz aus: In keinem industrialisierten Land der Welt wird mehr Energie zum Fenster hinausgeworfen. | Das Eis schmilzt schneller als erwartet
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US-Präsident Barack Obama steht erst am Anfang einer langen und harten Schlacht um die Lufthoheit über den Stammtischen, um seine Landsleute von Sinn und Nutzen einer neuen Klimapolitik zu überzeugen.
Colorado als Vorreiter
Dabei würde es dem mächtigsten Land der Welt nicht am Know-how mangeln: Die USA sind Technologieführer nicht nur bei Computerchips oder Weltraumtechnologie, sondern auch in Sachen erneuerbarer Energien. Im staatlichen "National Renewable Energy Laboratory" (NREL) in Golden, Colorado, am Fuße der malerischen Rocky Mountains tüfteln 1700 Mitarbeiter, darunter einige der weltbesten Wissenschafter, in enger Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft daran, erneuerbare Energieträger zu etablieren: Photovoltaik, Windenergie oder Kraftstoffe aus Biomasse sollen zu wettbewerbsfähigen Alternativen werden. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie lassen sich die Kosten senken - für die Produzenten und damit letztendlich auch für die Konsumenten?
Nur wenige Kilometer entfernt, in der Universitätsstadt Boulder nahe Denver, sind 1400 Wissenschafter und Computerexperten am "National Center for Athmospheric Research" (NCAR) den hochkomplexen Mechanismen auf der Spur, die unser tägliches Wetter bestimmen. Diese zu verstehen und mit einiger Sicherheit vorhersagen zu können, entscheidet nicht zuletzt über die Zukunftschancen der Windenergie, der nach Meinung vieler erfolgversprechendsten alternativen Energiequelle: Um die im Überfluss vorhandene Windenergie effizient zu nutzen, bedarf es einer zu 95 Prozent verlässlichen Vorhersage, wann der Wind wo wie stark wehen wird. Wenn Stromnetze auf der ganzen Welt etwas nicht vertragen, dann ist es plötzlicher Spannungsabfall.
In Colorado rennt Obama mit seiner grünen Agenda bei fast allen Verantwortlichen und vielen Bürgern offene Türen ein. Tatsächlich hat der Rocky-Mountain-Staat ähnlich wie der Sonnenstaat Kalifornien Umweltschutz und erneuerbare Energie längst als wertvolle Nische für sich entdeckt.
In Washington D.C. klingt das noch ganz anders. Sicher, die Obama-Leute in den Think Tanks und Lobbying-Organisationen der Hauptstadt stehen hinter dem Ziel ihres Präsidenten, Klimaschutz und insbesondere die Reduktion von C02-Emissionen ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Knapp zwei Wochen vor Beginn des Weltklimagipfels in Kopenhagen kämpft Obama noch immer dagegen an, nicht mit leeren Händen zu den Verhandlungen in die dänische Hauptstadt fahren zu müssen.
Zäher Kampf in D.C.
Seit Monaten tobt in der Hauptstadt ein zähes politisches Ringen über ein Klimagesetz. Das Repräsentantenhaus hat zwar bereits im Juni ein CO2-Reduktionsplan verabschiedet, der jedoch seither vom Senat, wo es einer 60-prozentigen Mehrheit bedarf, blockiert wird. Die "New York Times" berichtete nun am Dienstag, dass Obama "in den nächsten Tagen" konkrete Zahlen zu den geplanten CO2-Reduktionen nennen könnte, um nicht mit leeren Händen nach Kopenhagen fahren zu müssen - so der US-Präsident denn überhaupt persönlich nach Dänemark reist. Auch darüber soll in den kommenden Tagen eine endgültige Entscheidung getroffen werden. Ein Triumph wird Kopenhagen für Obama jedenfalls kaum werden: Sämtliche in den USA kursierenden Planspiele und Gesetzesvorlagen zur CO2-Reduktion liegen weit unterhalb der EU-Zielvorgaben.
Sarah O. Ladislaw, Obama-affine Politstrategin am angesehenen Center for Strategic & International Studies, bringt das Dilemma des mit großen Vorschusslorbeeren bedachten US-Präsidenten auf den Punkt: "Klimapolitik hat für die Menschen im Land angesichts der Wirtschaftskrise keine Priorität, das hat die Sorge um den eigenen Job." Angesichts dessen versuche die Obama-Administration das Thema Green-Jobs als Ausweg aus der Krise zu kampagnisieren, um auf diesem Umweg die Klimapolitik wieder ins Spiel zu bringen.
Hinzu komme, so Ladislaw, ein mentales Problem bei vielen politischen Entscheidungsträgern auf dem Capitol Hill, dem Sitz von Repräsentantenhaus und Senat: Zu viele große Entscheidungen in zu kurzer Zeit. Sowohl die Gesundheitsdebatte als auch die Klimapolitik haben über ihre Kosten massiven Einfluss auf die Wirtschaft; hinzu kommt die Sorge um die explodierenden Schulden nach den gigantischen Konjunkturpaketen der US-Administration.
Hinter all diesen Sorgen steht daher für die USA die zentrale wirtschaftspolitische Frage: Woher kommen in Zukunft die Jobs? Ladislaw: "Die Wirtschaftskrise hat hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet, aber niemand weiß, wie viele neue Green-Jobs entstehen werden."
Die klimapolitische Wende, die Obama bei seinem Amtsantritt verkündet hat, droht an der Sorge um die industrielle Zukunft der USA zu scheitern. Bill Clinton würde es folgendermaßen auf den Punkt bringen: "Its the economy, stupid."