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Angst vor dem Machtvakuum

Von Ines Scholz

Politik

Während Palästinenserpräsident Yasser Arafat in dem französischen Militärspital Percy bei Paris am Freitag weiterhin zwischen Leben und Tod schwebte und nur noch mit Maschinen am Leben erhalten wurde, haben führende Palästinenservertreter damit begonnen, die Post-Arafat-Ära vorzubereiten.


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Ihr Ziel ist es, zu verhindern, dass nach dem Ableben des populären Palästinenserführers ein gefährliches Machtvakuum entsteht. Denn es wird befürchtet, dass es zwischen den einzelnen Organisationen bzw. den unzähligen palästinensischen Sicherheitsdiensten in Gazastreifen und Westjordanland zu Diadochenkämpfen kommen könnte. Bereits in den vergangenen Monaten war es zu Unruhen gekommen, während Yasser Arafat unter israelischem Hausarrest in seinem Hauptquartier in Ramallah ausharren musste.

Am Freitag berieten in Gaza die wichtigsten palästinensischen Organisationen gemeinsam über geeignete Sicherheitsmaßnahmen in Westjordanland und Gazastreifen. An den Beratungen in Gaza nahmen auch die radikalen Bewegungen Islamischer Dschihad, Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLFP) und Hamas teil. Insbesondere die Hamas, die nach der Isolierung Arafats durch Israel in den letzten Jahren ihre Stellung in den Gebieten weiter ausbauen konnte, pocht auf ein größeres Mitspracherecht innerhalb der Autonomiebehörde. Ministerpräsident Ahmed Korei, der gemeinsam mit PLO-Vizechef Mahmud Abbas (Abu Mazen) zurzeit de facto die Regierungsgeschäfte führt, blieb zunächst im PLO-Hauptquartier in Ramallah. Er will sich erst heute, Samstag, den Verhandlungen in Gaza anschließen.

Am Donnerstag hatte ihm das PLO-Exekutivkomitee die Befugnis zur Erledigung der Finanz- und Sicherheitsangelegenheiten erteilt, die bisher in der Hand Arafats lagen. Offiziell ist die Nachfolge zwar im palästinensischen Grundgesetz geregelt: Bis zu den Wahlen, die innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssen, übernimmt der Parlamentspräsident - Rawhi Fatuh - die Amtsgeschäfte - doch Arafats alter Getreuer besitzt keine Autorität. Offen ist indes, wie in den besetzten Gebieten, insbesondere im Westjordanland, überhaupt Wahlen organisiert werden sollen, solange Israels Armee die Gebiete vollständig kontrolliert und Dutzende Kontrollposten verhindern, dass sich die Palästinenser aus ihrer Stadt entfernen können. Ein Wahlkampf ist unter solchen Bedingungen schier unmöglich. Daher dürfte eine Interimslösung proklamiert werden, wonach Korei und sein Amtsvorgänger Abbas bis auf weiteres im Tandem Arafats Erbe verwalten. Weitere Anwärter sind Ex-Geheimdienstchef Mohammed Dahlan, Arafats bisheriger Sicherheitsberater Jibril Rajoub sowie der in Israel zu lebenslanger Haft verurteilte Fatah-Chef im Westjordanland, Marwan Barghuti (Porträts siehe unten). Der Rais, das palästinensische "Oberhaupt", hatte zugunsten des "Gleichgewichts der Kräfte" stets vermieden, einen mächtigen Nachfolger neben ihm aufzubauen - zumal dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon sehr daran gelegen war, einen Keil zwischen potentielle Führungsfiguren und Arafat zu treiben. Oder ihnen ebenso wie Arafat einen Friedensdialog zu verweigern, wie dies etwa im Falle von Ex-Premier Abbas 2003 geschehen war.

Die schwierige Nachfolge-Debatte könnte neben der langsamen Vorbereitung des palästinensischen Volkes auf die Hiobsbotschaft von Arafats Tod mit ein Grund sein, warum die palästinensischen Spitzenvertreter so bemüht waren, Arafats Gesundheitszustand bis zuletzt derart herunterzuspielen.

Auch am Freitag war in Ramallah von einem Hirntod des 75-Jährigen offiziell nicht die Rede, obwohl entsprechende Berichte behandelnder Mediziner hinter vorgehaltener Hand bestätigt wurden. Quellen in Ramallah verwiesen anonym darauf, dass die Entscheidung, wann die lebenserhaltenden Maschinen für den Rais abgedreht würden, allein dessen Ehefrau Suha zu treffen hat. Sie ist auch die Einzige, die am Freitag an das Krankenbett des Palästinerser-Idols gelassen wurde.