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Angst vor einem neuen Wettrüsten mit Atomwaffen

Von Ritt Goldstein

Politik

In den letzten Monaten wurde bekannt, dass in Pakistan eine Art Atom-Supermarkt existiert. Unter den Kunden sollen sich Nordkorea und der Iran befinden und das Warenangebot soll Nuklearwaffen umfassen. Kritiker von Präsident George Bush sehen als Ursache für das neue Wettrüsten die Angst vor einem US-gesteuerten Regime-Wechsel in diesen Ländern. Dieser Druck habe die Nuklear-Büchse der Pandora geöffnet.


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Anfang Februar gab der Vater des pakistanischen Nuklearwaffenprogramms, Abdul Qadeer Kahn, zu, dass er beim Verkauf von Nuklearwaffentechnologie an den Iran und Libyen eine Schlüsselrolle gespielt hatte. Amerikas oberstem Waffenaufsichtsbeamten John Bolton zufolge hat Pakistan "Technologie für die Anreicherung von Uranium und Blaupausen für Sprengköpfe an den Iran, Nordkorea und Libyen" verkauft. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Blaupausen noch andere Abnehmer gefunden haben.

Vertuschung?

Der wissenschaftliche Hilfsdienst des US-Kongresses (CRS) berichtete, dass die Kooperation zwischen Pakistan und Nordkorea in Sachen Nuklearwaffen bereits in den 1990er-Jahren verstärkt wurde. Die Bush-Regierung bezeichnete jedoch die Enthüllungen vom Februar als "großen Erfolg der Geheimdienste". Es sei ein "enormer Sieg", zitierte der "San Francisco Chronicle" Bolton. Die Bush-Regierung akzeptierte offiziell die Versicherung des pakistanischen Präsidenten Pervez Mu- sharraf, wonach Khan in Eigenverantwortung gehandelt hat. Es wird jedoch allgemein von einer Vertuschung durch Washington ausgegangen.

Der US-Sicherheits- und Verteidigungsexperte John Pike von "Global Security" merkt dazu im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" an: "Pakistan war immer ein sehr guter Partner für die USA im Krieg gegen den Terror, da die USA, und das schließt den Präsidenten mit ein, immer bereit waren, in der Öffentlichkeit über die Aktivitäten bei der Verbreitung von Nuklearwaffen die Unwahrheit zu sagen und diese Aktivitäten waren eine gängige Politik der pakistanischen Regierung."

Des weiteren stellten zwei politische Parteien von ehemaligen pakistanischen Premierministern Vermutungen an, dass Khan nur ein Sündenbock war. Er wurde übrigens gleich nach seinem Geständnis begnadigt.

Atomwissen gegen Schulden

Dem CRS zufolge arbeiten Pakistan und Nordkorea schon lange in Sachen Raketentechnologie zusammen. Der Hilfsdienst vermutet auch, dass während einer Devisen-Krise in Pakistan im Jahr 1996 Nuklearwaffentechnologie weitergegeben wurde, um Schulden in Nordkorea abzuzahlen. Außerdem zitiert der CRS "einige Berichte", wonach Pakistan 1998 für Nordkorea eine Plutonium-Bombe getestet hat.

Ein Beweis dafür sind die Spuren von Plutonium, die Aufklärungsflugzeuge an der Stelle der Detonation nachgewiesen haben. Eine pakistanische Bombe wäre mit Uranium bestückt gewesen, so Pike. "Im Laufe der Geschichte waren es immer wieder Staaten, die sich existentiell bedroht fühlten und begründete Angst vor einem Regime-Wechsel hatte, die ,die Bombe' wollten." Die Hintergründe für diese Angst im Fall von Nordkorea sind bekannt.

A-Waffen zur Abschreckung

"Nuklearwaffen sind die einzigen Waffen, die die USA abschrecken könnten", erläutert der Nuklearwaffen-Experte Joseph Cirincione, Abteilungsleiter für die Nicht-Verbreitung von atomaren Waffen bei der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden, gegenüber der "Wiener Zeitung". Bestätigt wird Cirinciones Behauptung durch die Aussage des Direktors eines US-Nuklearwaffenlabors, Paul Robinson: "Einige Leute haben die Schlussfolgerung gezogen, dass die USA mit Kernwaffen, aber nicht mit chemischen oder biologischen Waffen abgehalten werden kann - dem kann ich nicht widersprechen."

Im August 2003 sagte Robinson außerdem: "Meiner Ansicht nach ist der Atomwaffensperrvertrag kein echter Vertrag zur Waffenkontrolle." Viele namhafte US-Bürger, darunter der frühere Präsident Jimmy Carter, fürchten tatsächlich um die Zukunft des Vertragswerkes. Zwischen dem Druck der USA und der Aussetzung und Vernachlässigung des Vertrages durch die Bush-Regierung zerbröckeln die internationalen Strukturen, die die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen garantierten.

Unter anderem verstoßen die USA mit ihrem Streben nach mehr Nuklearwaffen eindeutig gegen Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrages - die Verpflichtung zur Reduktion von Nuklearwaffen.

"Mini-Atombombe"

Die größten Bedenken hat der Kongress derzeit wegen der Entwicklung einer sogenannte "Mini-Atombombe", die auch unterirdisch gelegene Bunker zerstören können soll. Diese Waffen "passen gut ins Präventivschlag-Schema, das Bush bevorzugt", berichtete die britische Nachrichtenagentur BBC im August 2003.

Überraschend - sowohl für die Opposition als auch für die Regierungspartei im Kongress - war die Vorlage eines Fünf-Jahres-Budgetplans für Nuklearwaffenprojekte, der insgesamt fünf Mrd. Dollar veranschlagt. Vor zwei Jahren waren es noch 45 Mill. Dollar. Der wahre Preis solcher Nuklearwaffen-Programme ist jedoch nicht in Geld zu berechnen.

Schlechtes Beispiel USA

Zahlreiche internationale Sicherheitsexperten warnen vor dem Gefahrenpotential eines neuen weltweiten nuklearen Wettrüstens. "Wenn die mächtigste Militärnation der Welt meint, sie braucht Nuklearwaffen für ihre nationale Sicherheit, warum sollten es andere Länder, dann nicht auch machen", gibt Cirincione zu bedenken. Er warnt, dass nicht nur Amerikas Feinde, sondern auch seine Verbündeten in das Wettrüsten einsteigen könnten.

Eine Bestätigung dieser Befürchtungen kann im Fall Brasiliens gesehen werden. Vor kurzem hat das Land Schlagzeilen gemacht, weil es Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Zugang zu einer neuen Anlage für die Anreicherung von Uranium verwehrt hatte. Zurückblickend ist zu bemerken, dass Präsident Luiz Inácio Lula da Silva während seiner Wahlkampagne prägnant formuliert hatte: "Wenn jemand mich bittet, meine Waffen abzugeben und nur eine Steinschleuder zu behalten, während er auf mich mit einer Kanone zukommt, was nützt mir das?" Brasilien hat zur Zeit angeblich kein Waffenprogramm aber die Folgen der US-Atompolitik, scheinen sich bereits abzuzeichnen.

Was Russland angeht, berichtet der Geschäftsführer der Arms Control Association, Daryl Kimball, der "Wiener Zeitung", dass "der US-russische Abrüstungsprozess in jeder Hinsicht gestoppt wurde". In der russischen Zeitung "Iswestija" wurde vor kurzem der Vize-Chef des russischen Generalstabs, Generaloberst Yuri Baluyevsky, zitiert: "Wir werden gezwungen sein, die Entwicklung unseres strategischen Nuklearwaffenarsenals zu ändern, je nachdem wie die Pläne Washingtons aussehen".

Für Cirincione umfassen die Pläne der US-Regierung die Ausweitung des Militarismus: "Sie glauben an die Maximierung der US-Militärmacht, nicht an die Schaffung einer internationalen Gesetzgebung oder weltweiter Normen" - genau das sollte aber im Interesse der USA liegen, fügt Cirincione hinzu. Der neue spanische Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero argumentierte ähnlich: "Terror wird mit Gesetzen bekämpft . . . Das, glaube ich, sollten Europa und die internationale Gemeinschaft diskutieren." Politische Experten sehen jedoch eine ganz andere Diskussion auf der Agenda der US-Regierung.

"Wenn Warnungen aus Washington Teheran nicht beeindrucken, vielleicht tun es dann ein paar Marschflugkörper, die auf ihre Atomanlage in Busheir gerichtet sind", konnte man im Leitartikel des "Wall Street Journal" am 6. April lesen. Befürchtet wird, dass der Iran Nuklear-Pläne erworben hat. Derzeit wird an einer großen Anlage für Urananreicherung gebaut, obwohl es im Iran keine Reaktoren gibt, die das nukleare Produkt dieser Anlage verbrauchen könnten.

Inspektoren der IAEA untersuchen diese Vorgänge. Spekulationen zufolge besteht die Möglichkeit, dass die USA oder Israel einen Anschlag auf nukleare Ziele im Iran verüben, um das Land zu stoppen, genug spaltbares Material für die Herstellung von Waffen zu erzeugen. Pike gibt zu bedenken, dass dieses Unterfangen wenig durchdacht ist, da ein Angriff auf jegliche geheimen Programme Schwierigkeiten mit sich bringt. Auch die politische Situation spricht gegen einen solchen Schritt.

Obwohl eine Reihe von politischen Beobachtern glaubt, dass der Iran gerade eine Atomwaffe baut, ist die Mehrheit der Ansicht, dass diese für Verteidigungszwecke eingesetzt würde. "Es ist klar, dass der Iran nicht Israel auslöschen will, sondern die USA, oder jede andere ausländische Macht, daran hindern will, ihn einzuschüchtern", sagt der Atomexperte Christopher Paine vom Rat zur Verteidigung natürlicher Ressourcen, im Interview mit der "Wiener Zeitung". Aber auch Defensivwaffen können einschlagen.

Saudi-Arabien soll durch Rabatte auf Öllieferungen Pakistans Atomprogramm unterstützt haben. "Wahrscheinlich hat jede pakistanische Bombe mit einer geraden Seriennummer einen kleinen Aufkleber auf dem steht: ,Eigentum von Saudi Arabien'", so Pike.

Doch das führt zu der sehr ernsten Annahme, dass Saudi Arabien aufrüsten wird sobald es der Iran tut. Ausgelöst werde ein solcher Schritt durch langjährige Differenzen zwischen den Staaten. Treffend formuliert Pike, dass Ägypten dann "dem Club" beitreten wird wollen, und das würde zu einem tödlichen Wettrennen in der Region führen. Eine ähnliche Situation bestehe in Asien, so Pike, wo die Nuklearwaffen Nordkoreas den Samen für ein genauso beunruhigendes Szenario darstellen.

Die derzeitige globale Instabilität wurde durch den "Druck" der USA verursacht, sind sich viele Politexperten einig. Ein Regimewechsel bei den US-Wahlen im November wäre der Weg zurück in Richtung weltweite Stabilität.